Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Mark Twain
Читать онлайн книгу.Alte, denk ich, wird sich freuen, wenn er’s sieht – es ist gut seine zehn Dollar wert. Als ich ans Ufer kam, war Pap noch nicht in Sicht. Und wie ich das Kanu in eine kleine Bucht lenk, so ne Wasserrinne, ganz mit Kletterranken und Weiden zugehängt, kommt mir ne andre Idee: lieber versteck ich’s gut und, statt mich in den Wald zu verdrücken, wenn ich abhaue, fahr ich so fünfzehn Meilen flussab und kampier ein für allemal an einem Ort, und da wird’s mir dann nicht so dreckig gehn, wie wenn ich mich zu Fuß durchschlage.
Es war ziemlich nah bei der Hütte, und die ganze Zeit kam’s mir vor, wie wenn ich den Alten hörte; aber dann hatte ich das Kanu versteckt. Und ich dann nichts wie raus und um nen Weidenbusch gespäht, und da steht der Alte ein Stück weiter unten am Weg und legt mit der Flinte grad auf nen Vogel an. Er hatte also nichts gesehn.
Als er herkam, hab ich schwitzend ne stramme Angelleine rausgehoben. Er meckerte ein bisschen, weil ich so langsam war, aber ich hab ihm erzählt, ich war in den Fluss gefallen, deswegen hätt ich so lang gebraucht. Ich wusste, er würd merken, dass ich nass war, und da würd er sowieso nachbohren. Wir nahmen fünf Katzenwelse von den Leinen und gingen heim.
Als wir uns nach dem Frühstück hinlegten, um auszuschlafen – beide waren wir noch ziemlich matt –, hab ich mir überlegt, wenn ich irgendwie Pap und die Witwe davon abhalten kann, mich zu verfolgen, dann ist das bestimmt sichrer, wie wenn ich mich auf mein Glück verlasse, um weit genug von hier wegzukommen, bevor sie mich vermissen; es kann ja immer allerhand passieren. Also, zuerst ist mir ne Weile gar nichts eingefallen, aber auf einmal hat Pap sich kurz aufgestützt, um noch nen Riesenschluck Wasser zu trinken, und sagt:
»Wenn sich wieder mal einer hier rumtreibt, weckst du mich, klar? Der Kerl hatte nix Gutes im Sinn. Ich hätt ihn abgeknallt. Nächstes Mal weckst du mich, verstanden?«
Dann ließ er sich wieder fallen und schlief weiter – aber was er da gesagt hatte, hat mich genau auf die Idee gebracht, die ich suchte. Ich denk mir, jetzt kann ich’s so einrichten, dass keiner auf die Idee kommt, mich zu verfolgen.
So gegen zwölf sind wir aufgestanden und flussauf am Ufer lang. Der Fluss stieg jetzt ziemlich schnell, und ne Menge Treibholz schwamm auf den Fluten vorbei. Nach ner Weile kommt ein Floßstück an – neun fest verbundne Stämme. Wir sind mit dem Boot raus und bugsierten sie an Land. Dann aßen wir zu Mittag. Jeder andre als Pap hätte abgewartet und den ganzen Tag durchgehalten, um noch mehr rauszufischen. Aber das war nicht seine Art. Neun Stämme waren ihm genug für einmal; er musste gleich ins Dorf rüber und sie losschlagen. Und so hat er mich eingeschlossen, nahm das Boot und fuhr gegen halb vier mit dem Floß im Schlepptau los. Vermutlich würd er diese Nacht nicht mehr zurückkommen. Ich hab gewartet, bis er weit genug weg sein musste, und dann nichts wie raus mit der Säge und wieder an den Balken. Noch bevor er am andern Flussufer war, war ich aus dem Loch draußen; er und sein Floß waren grade noch ein Pünktchen weit drüben auf dem Wasser.
Ich nahm den Sack mit Maismehl und trug ihn zu meinem Kanuversteck, schob die Kletterranken und Äste beiseite und legte ihn in mein Kanu; dann machte ich dasselbe mit der Speckseite, dann mit dem Whiskykrug; ich nahm den ganzen Kaffee und Zucker, der da war, und alle Munition; ich nahm die Ladepfropfen; ich nahm den Eimer und die Kürbisflasche; ich nahm nen Schöpflöffel und ne Blechtasse, meine alte Säge und zwei Decken, die Pfanne und den Kaffeetopf. Ich hab die Angelleinen und Streichhölzer und noch andres Zeug genommen – alles, was auch nur einen Cent wert war. Ich hab den Laden ausgeräumt. Fehlte mir noch ne Axt, aber es war keine da, nur die beim Holzhaufen draußen, und ich wusste, warum ich die noch dalassen wollte. Ich holte die Flinte, und dann war ich fertig.
Ich hatte den Boden ganz schön plattgetreten beim Rauskriechen aus dem Loch und dem Rausschleppen von so viel Zeug. Also hab ich ihn, so gut’s ging, von außen wieder hergerichtet, indem ich Erde auf die Stelle streute, was den glatten Boden und das Sägmehl zudeckte. Dann hab ich das Balkenstück wieder eingesetzt, zwei Steine darunter gelegt und einen dagegengelehnt, um’s festzuhalten – der Balken war nämlich an der Stelle nach oben gebogen und hat den Boden nicht ganz berührt. Wenn man vier, fünf Fuß weit entfernt stand und nicht wusste, dass er abgesägt war, hätt man’s nicht mal geahnt; und außerdem war das die Rückwand von der Hütte, und es war nicht grad wahrscheinlich, dass da einer rumschnüffelt.
Bis zum Kanu stand überall Gras; also hatte ich wohl keine Spur zurückgelassen. Ich bin hin und hab überall nachgeschaut. Ich stand am Ufer und spähte übern Fluss. Alles sicher. Da nahm ich die Flinte und ging ein Stück in den Wald auf die Suche nach ein paar Vögeln, als ich plötzlich ein wildes Schwein seh; Schweine verwildern schnell wieder in den Talauen hier, wenn sie von den Präriefarmen weglaufen. Ich schoss den Burschen und nahm ihn mit ins Lager.
Ich nahm die Axt und schlug die Tür ein – ich hab dabei ziemlich drauflos gehackt und gedroschen. Ich holte das Schwein rein, schleppte es nach hinten, fast bis an den Tisch, hackte ihm mit der Axt in den Hals und hab’s zum Ausbluten auf die Erde gelegt – ich sag Erde, weil’s Erde war – hartgestampft und ohne Dielen. Dann nahm ich nen alten Sack und stopfte ne Menge Steine rein – soviel ich schleppen konnte –, und den hab ich dann, von wo das Schwein lag, zur Tür geschleift und durch den Wald zum Fluss runter und dann ins Wasser gekippt – und runter sank er auf Nimmerwiedersehn. Man konnte leicht sehn, dass was übern Boden geschleift worden war. Wär doch bloß Tom Sawyer da, ging’s mir durch den Kopf: ich wusste, dass er sich für solche Art von Unternehmen interessiert und immer mit Extrafeinheiten garniert. Keiner konnte mit solchen Sachen so auftrumpfen wie Tom Sawyer.
Zum Schluss hab ich mir ein paar Haare ausgerissen, schmierte die Axt gut mit Blut ein, klebte die Haare ans stumpfe Ende und warf sie in ne Ecke. Dann hab ich das Schwein genommen und mit der Jacke an meine Brust gehalten (so konnt’s nicht tropfen), bis ich ein gutes Stück weit unterhalb von der Hütte war, und hab’s dann in den Fluss gekippt. Da fiel mir noch was ein. Ich holte den Mehlsack und meine alte Säge aus dem Kanu und trug beide zur Hütte. Dann hab ich den Sack hingestellt, wo er immer stand, und schlitzte ein Loch in den Boden mit der Säge, weil’s hier keine Messer und Gabeln gab – beim Kochen machte Pap immer alles mit dem Klappmesser. Dann hab ich den Sack gut hundert Yard über die Wiese getragen und weiter durch die Weiden im Osten von der Hütte bis zu nem seichten See, der fünf Meilen breit war und voller Schilf – und auch voller Enten, möcht ich meinen, in der richtigen Jahreszeit. Am andern Ufer führte ne sumpfige Bucht oder ein Bach aus dem See und lief meilenweit fort – wohin, weiß ich nicht, aber in den Mississippi lief er nicht. Das Mehl ist rausgerieselt und ließ auf dem ganzen Weg zum See ne feine Spur zurück. Ich warf da auch Paps Wetzstein weg, es sollte so aussehn, wie wenn’s versehentlich passiert ist. Dann hab ich den Mehlsack mit ner Schnur zugebunden, damit nichts mehr rauslief, und ihn zusammen mit meiner Säge wieder zum Kanu getragen.
Es war jetzt fast dunkel; unter ein paar Weiden, die übers Ufer hingen, hab ich weiter flussab mit dem Kanu angelegt und gewartet, bis der Mond aufging. An einer Weide machte ich fest; dann hab ich nen Bissen zu mir genommen und mich dann ins Kanu gelegt, um ein Pfeifchen zu schmauchen und nen Plan zu machen. Die werden, sag ich mir, die Spur von dem Steinsack ans Ufer verfolgen und den Fluss dann mit nem Schleppnetz nach mir absuchen. Und dann folgen sie wohl der Mehlspur bis an den See und grasen den Bach ab, der aus dem See führt – um die Räuber zu finden, die mich totschlugen und die Sachen alle mitnahmen. Wie verrückt suchen die dann den ganzen Bach ab nach meinem toten Kadaver. Aber das haben sie sicher bald satt und verschwenden dann keinen Gedanken mehr an mich … Gut so; ich kann jetzt haltmachen, wo ich will. Jackson’s Island ist allemal gut genug für mich; ich kenn die Insel ziemlich gut, und so gut wie nie kommt da einer hin. Und nachts kann ich rüber zum Dorf paddeln und da rumschleichen und mir schnappen, was ich brauche. Jackson’s Island ist genau richtig.
Ich war ziemlich müde, und schon beim Gedanken dran bin ich eingeschlafen. Als ich aufwachte, wusst ich nen Moment nicht, wo ich war. Ich setzte mich auf und sah mich um, schon ein bisschen erschrocken. Dann hab ich mich erinnert. Der Fluss kam mir viele Meilen breit vor. Der Mond schien so hell, dass ich die Treibhölzer hätt zählen können, die vorbeiglitten, schwarz und still, Hunderte von Yard vom Ufer weg. Alles war totenstill, und es sah spät aus und roch auch spät. Ihr wisst, was ich meine – mir fehlen die Worte, das zu beschreiben.
Ausgiebig