Der Nachsommer. Adalbert Stifter
Читать онлайн книгу.Aussicht, die man hier genießt. Setzt Euch nur zu mir nieder und betrachtet das Wenige, was uns heute der verschleierte Himmel gönnt.“
Wir setzten uns auf die Bank unter der Esche, so daß wir gegen Mittag schauten. Ich sah den Garten wie einen grünen Schoß schräg unter mir liegen.
An seinem Ende sah ich die weiße mitternächtliche Mauer des Hauses, und über der weißen Mauer das freundliche rote Dach. Von dem Gewächshause war nur das Dach und der Schornstein ersichtlich.
Weiterhin gegen Mittag war das Land und das Gebirge kaum zu erkennen wegen des blauen Wolkenschattens und des blauen Wolkenduftes. Gegen Morgen stand der weiße Turm von Rohrberg, und gegen Abend war Getreide an Getreide, zuerst auf unserm Hügel, dann jenseits desselben auf dem nächsten Hügel, und so fort, soweit die Hügel sichtbar waren. Dazwischen zeigten sich weiße Meierhöfe und andere einzelne Häuser oder Gruppen von Häusern. Nach der Sitte des Landes gingen Zeilen von Obstbäumen zwischen den Getreidefeldern dahin, und in der Nähe von Häusern oder Dörfern standen diese Bäume dichter, gleichsam wie in Wäldchen beisammen. Ich fragte meinen Nachbar teils nach den Häusern, teils nach den Besitzern der Felder.
„Die Felder von dem Kirschbaume gegen Sonnenuntergang hin bis zu der ersten Zeile von Obstbäumen sind unser“, sagte mein Begleiter. „Die wir von dem Kirschbaum bis hieher durchwandert haben, gehören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen Gebäuden, die Ihr da unten seht, welche unsere Wirtschaftsgebäude sind. Gegen Mitternacht erstrecken sie sich, wenn Ihr umsehen wollt, bis zu jenen Wiesen mit den Erlenbüschen. Die Wiesen gehören auch uns und machen dort die Grenze unserer Besitzungen. Im Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung von Weißdorn, wo Ihr die Straße verlassen habt. Ihr könnt also sehen, daß ein nicht ganz geringer Teil dieses Hügels von unserm Eigentume bedeckt ist. Wir sind von diesem Eigentume umringt wie von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue bricht,“
Mir fiel bei diesen Worten auf, daß er vom Eigentume immer die Ausdrücke uns und unser gebrauchte. Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kinder einbeziehen. Mir fiel der Knabe ein, den ich im Heraufgehen gesehen hatte, vielleicht ist dieser ein Sohn von ihm.
„Der Rest des Hügels ist an drei Meierhöfe verteilt“, schloß er seine Rede, welche unsere nächsten Nachbarn sind. Von den Niederungen an, die um den Hügel liegen und jenseits welcher das Land wieder aufsteigt, beginnen unsere entfernteren Nachbarn.“
„Es ist ein gesegnetes, ein von Gott beglücktes Land“, sagte ich.
„Ihr habt recht gesprochen“, erwiderte er, „Land und Halm ist eine Wohltat Gottes. Es ist unglaublich, und der Mensch bedenkt es kaum, welch ein unermeßlicher Wert in diesen Gräsern ist. Laßt sie einmal von unserem Erdteile verschwinden, und wir verschmachten, bei allem unserem sonstigen Reichtume vor Hunger. Wer weiß, ob die heißen Länder nicht so dünn bevölkert sind und das Wissen und die Kunst nicht so tragen wie die kälteren, weil sie kein Getreide haben. Wieviel selbst dieser kleine Hügel gibt, würdet Ihr kaum glauben. Ich habe mir einmal die Mühe genommen, die Fläche dieses Hügel, soweit sie Getreideland ist, zu messen, um auf der Grundlage der Erträgnisse unserer Felder und der Erträgnisfähigkeit der Felder der Nachbarn, die ich untersuchte, eine Wahrscheinlichkeitsrechnung zu machen, welche Getreidemenge im Durchschnitte jedes Jahr auf diesem Hügel wächst. Ihr würdet die Zahlen nicht glauben, und auch ich habe sie mir vorher nicht so groß vorgestellt. Wenn es Euch genehm ist, werde ich Euch die Arbeit in unserem Hause zeigen. Ich dachte mir damals, das Getreide gehöre auch zu jenen unscheinbaren, nachhaltigen Dingen dieses Lebens wie die Luft. Wir reden von dem Getreide und von der Luft nicht weiter, weil von beiden so viel vorhanden ist und uns beide überall umgeben. Die ruhige Verbrauchung und Erzeugung zieht eine unermeßliche Kette durch die Menschheit in den Jahrhunderten und Jahrtausenden. Überall, wo Völker mit bestimmten geschichtlichen Zeichnungen auftreten und vernünftige Staatseinrichtüngen haben, finden wir sie schon zugleich mit dem Getreide, und wo der Hirte in lockreren Gesellschaftsbanden, aber vereint mit seiner Herde lebt, da sind es zwar nicht die Getreide, die ihn nähren, aber doch ihre geringeren Verwandten, die Gräser, die sein ebenfalls geringeres Dasein erhalten. – Aber verzeiht, daß ich da so von Gräsern und Getreiden rede, es ist natürlich, da ich da mitten unter ihnen wohne und auf ihren Segen erst in meinem Alter mehr achten lernte.“
„Ich habe nichts zu verzeihen“, erwiderte ich; „denn ich teile Eure Ansicht über das Getreide vollkommen, wenn ich auch ein Kind der großen Stadt bin. Ich habe diese Gewächse viel beachtet, habe darüber gelesen, freilich von dem Standpunkte der Pflanzenkunde, und habe, seit ich einen großen Teil des Jahres in der freien Natur zubringe, ihre Wichtigkeit immer mehr und mehr einsehen gelernt.“
„Ihr würdet es erst recht“, sagte er, „wenn Ihr Besitztümer hättet oder auf Euren Besitztümern Euch mit der Pflege dieser Pflanzen besonders abgäbet.“
„Meine Eltern sind in der Stadt“, antwortete ich, „mein Vater treibt die Kaufmannschaft, und außer einem Garten besitzt weder er noch ich einen liegenden Grund.“
„Das ist von großer Bedeutung“, erwiderte er, „den Wert dieser Pflanzen kann keiner vollständig ermessen, als der sie pflegt.“
Wir schwiegen nun eine Weile.
Ich sah an seinen Wirtschaftsgebäuden Leute beschäftigt. Einige gingen an den Toren ab und zu, in häuslichen Arbeiten begriffen, andere mähten in einer nahen Wiese Gras, und ein Teil war bedacht, das im Laufe des Tages getrocknete Heu in hochbeladenen Wägen durch die Tore einzuführen. Ich konnte wegen der großen Entfernung das Einzelne der Arbeiten nicht unterscheiden, so wie ich die eigentliche Bauart und die nähere Einrichtung der Gebäude nicht wahrnehmen konnte.
„Was Ihr von den Häusern und den Besitzern der Felder gesagt habt, daß ich sie Euch nennen soll“, fuhr er nach einer Weile fort, „so hat dies seine Schwierigkeit, besonders heute. Man kann zwar von diesem Plätze aus die größte Zahl der Nachbarn erblicken; aber heute, wo der Himmel umschleiert ist, sehen wir nicht nur das Gebirge nicht, sondern es entgeht uns auch mancher weiße Punkt des untern Landes, der Wohnungen bezeichnet, von denen ich sprechen möchte. Anderenteils sind Euch die Leute unbekannt. Ihr solltet eigentlich in der Gegend herumgewandert sein, in ihr gelebt haben, daß sie zu Eurem Geiste spräche und Ihr die Bewohner verstündet. Vielleicht kommt Ihr wieder und bleibt länger bei uns, vielleicht verlängert Ihr Euren jetzigen Aufenthalt. Indessen will ich Euch im allgemeinen etwas sagen und von Besonderem hinzufügen, was Euch ansprechen dürfte. Ich besuche auch meiner Nachbarn willen gerne diesen Platz; denn außerdem daß hier auf der Höhe selbst an den schönsten Tagen immer ein kühler Luftzug geht, außerdem daß ich hier unter meinen Arbeitern bin, sehe ich von hier aus alle, die mich umgeben, es fällt mir manches von ihnen ein, und ich ermesse, wie ich ihnen nützen kann, oder wie überhaupt das Allgemeine gefördert werden möge. Sie sind im ganzen ungebildete, aber nicht ungelehrige Leute, wenn man sie nach ihrer Art nimmt und nicht vorschnell in eine andere zwingen will. Sie sind dann meist auch gutartig. Ich habe von ihnen manches für mein Inneres gewonnen und ihnen manchen äußeren Vorteil verschafft. Sie ahmen nach, wenn sie etwas durch längere Erfahrung billigen. Man muß nur nicht ermüden. Oft haben sie mich zuerst verlacht und endlich dann doch nachgeahmt. In vielem verlachen sie mich noch, und ich ertrage es. Der Weg da durch meine Felder ist ein kürzerer, und da geht mancher vorbei, wenn ich auf der Bank sitze, er bleibt stehen, er redet mit mir, ich erteile ihm Rat, und ich lerne aus seinen Worten. Meine Felder sind bereits ertragfähiger gemacht worden als die ihrigen, das sehen sie, und das ist bei ihnen der haltbarste Grund zu mancher Betrachtung. Nur die Wiese, welche sich hinter unserem Rücken befindet, tiefer als die Felder liegt und von einem kleinen Bache bewässert wird, habe ich nicht so verbessern können, wie ich wollte; sie ist noch durch die Erlengesträuche und durch die Erlenstöcke verunstaltet, die sich am Saume des Bächleins befinden und selbst hie und da Sumpfstellen veranlassen; aber ich kann die Sache im wesentlichen nicht abändern, weil ich die Erlengesträuche und Erlenstöcke zu anderen Dingen notwendig brauche.“
Um meine Frage nach dem einzelnen seiner Nachbarn zu unterbrechen, die er, wie ich jetzt einsah, nicht beantworten konnte, wenigstens nicht wie sie gestellt war, fragte ich ihn, ob denn zu seinem Anwesen nicht auch Waldgrund gehöre.
„Allerdings“,