Seewölfe - Piraten der Weltmeere 685. Jan J. Moreno

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 685 - Jan J. Moreno


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mich vorerst niemand, weil ich lieber Prügel in Kauf nahm, als mich der Gefahr auszusetzen, von der See verschluckt zu werden. Der von den Winterstürmen aufgewühlte, tosende und schäumende Atlantik war mir unheimlich.

      Vor zwei oder drei Tagen hatte mir der Profos aus ebendiesem Grund hart zugesetzt und angedroht, er würde mich grün und blau schlagen, wenn ich nicht bald zu mehr als zum Dreckschrubben und Wasserholen zu gebrauchen sei. Wenig später waren wir in schlechtes Wetter geraten, und seitdem wälzte ich mich unruhig in meiner Koje und wußte, daß ich das Ziel der „Seawind“ nie erreichen würde, das angeblich im Süden des schwarzen Kontinents lag. Ich hatte munkeln hören, daß der Kapitän Sklaven an Bord nehmen wollte.

      Vor Hunger und Erschöpfung mußte ich doch eingeschlafen sein, denn als irgendwann erregte Stimmen ins Vorschiff drangen, war die See ruhiger geworden.

      Verwirrt stemmte ich mich auf den Ellenbogen hoch. Die von der Decke herabhängende Ölfunzel schwang hin und her, der flackernde Schimmer des brennenden Dochtes reichte gerade aus, mich die Deckenbalken erkennen zu lassen. Dreck und verkrustetes Salz hingen an den Plankennähten, an vielen Stellen tropfte Wasser und offenbarte den schlechten Zustand der Galeone. Jetzt, nach dem Sturm und den Brechern, die über das Schiff hinweggegangen waren, war es schlimmer als je zuvor.

      Ich lauschte und versuchte die Stimmen zu verstehen, die inzwischen wirr durcheinander schrien. Schritte polterten über die Decks und hasteten die Niedergänge hinauf.

      Ein Donnerschlag in allernächster Nähe ließ mich zusammenzucken.

      Unmittelbar darauf vernahm ich von achtern her ein Krachen und Splittern, wie ich es nie zuvor gehört hatte.

      Die „Seawind“ wurde angegriffen, das war mir sofort klar. Aber was konnte ich, Clinton Wingfield, gerade zehn Jahre alt, dagegen tun? Das Grauen sprang mich an, ich zerrte mir die Decke über den Kopf und rollte mich zusammen, so gut ich eben konnte, ohne daß sofort wieder mein Magen rebellierte.

      Das Dröhnen weiterer Kanonenschüsse klang nun zwar gedämpft, war aber immer noch deutlich zu hören. Ich versuchte gar nicht erst, meine Angst zu unterdrücken, denn ich fror erbärmlich, und meine Zähne klapperten haltlos wie das Rigg im Sturm.

      Urplötzlich zerrte mir jemand die Decke weg.

      „Steh auf, Bursche, oder ich prügele dich an Deck!“ Der Profos schlug sofort zu, sein Handrücken traf mich an der Schulter und drückte mich gegen die Wand.

      Er ließ mir keine Zeit der Besinnung, sondern packte mich mit seinen schwieligen Händen und zerrte mich hoch. Ehe ich mich versah, spürte ich seine Pranke rechts und links im Gesicht, und jeder Schlag trieb mich einen Schritt zurück.

      „Du bist krank, was? Absaufen wirst du, wenn du dich nicht bald bewegst. Hilf den Geschützmannschaften!“

      „Wir werden – angegriffen?“ brachte ich stockend hervor, während ich, unbarmherzig angeschoben, die Stufen des Niedergangs hinaufstolperte. Meine Nase blutete von den beiden Ohrfeigen, aber das nahm ich nur am Rande wahr.

      Eine kalte Brise schlug mir entgegen, kühlte meine brennenden Wangen und linderte meine Benommenheit. Leichter Nieselregen fiel, und Dunst hing über dem Wasser, aber nicht deshalb blieb ich jäh stehen, sondern weil ich das fremde Schiff entdeckte, das knapp zweihundert Yards achterlich segelte.

      Die Dreimastgaleone mit den stark gelohten Segeln führte die Farben Galiciens auf Fock und im Topp. Sie war ein schlankes, schnelles Schiff und der „Seawind“ sicherlich in jeder Hinsicht überlegen.

      Zweimal blitzte es drüben im Vorschiff auf. Bis ich den Geschützdonner vernahm, waren die Geschosse schon heran. Eins riß eine mächtige Fontäne aus der See, das andere fuhr krachend und splitternd durch unsere Achterdecksverschanzung. Trümmerstücke regneten nach allen Seiten. Die Schreie eines verwundeten Decksmanns gingen mir durch und durch.

      Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle herumgeworfen, mich unter Deck verkrochen und auf das unvermeidliche Ende gewartet. Aber der Profos war anderer Meinung. Er drosch mir die Hand zwischen die Schulterblätter, daß ich beinahe unter die nächste Lafette geschleudert wurde und mir das Wasser in die Augen schoß.

      „Da hast du deinen neuen Pulveraffen, Masterson!“ rief er laut. „Nimm ihn ordentlich ran!“

      Die bisherigen Helfer waren übel zugerichtet. Mir drehte sich der Magen um, ich würgte, aber nur noch der Geschmack von Galle stieg in mir hoch.

      Eine Kugel hatte das Schanzkleid an der Stückpforte aufgerissen. Von scharfkantigen Splittern regelrecht aufgespießt, lag ein Toter neben der Lafette. Seine gebrochenen Augen schienen mich anzustarren.

      Ein zweiter Mann lehnte in sich zusammengesunken an einem Stützpfosten. Er war verwundet, blutete aus Mund und Nase und nahm kaum noch wahr, was um ihn herum geschah.

      Meine kindlichen Vorstellungen von einem Seegefecht stimmten in keiner Weise mit der Wirklichkeit überein. Wie konnten Menschen nur so grausam sein? Trotz allem fiel es mir unsagbar schwer, den Blick abzuwenden. Wahrscheinlich sah es nirgendwo an Deck besser aus. Wo die Kugeln der Spanier einschlugen, brachten sie Tod und Verderben.

      Masterson glotzte mich tückisch an, als wolle er mich lieber gleich über Bord werfen, dann brüllte er mit sich überschlagender Stimme: „Faß mit an! Ausrennen!“

      Er war ein übler Kerl, untersetzt, stiernackig, mit blutunterlaufenen, tief in den Höhlen liegenden Augen und abstehenden Ohren. Sein abstoßendes Äußeres versuchte er durch Brüllen zu überdecken.

      Da ich nicht sofort das richtige Tauende erwischte, hagelte es wüste Beschimpfungen.

      Das schwere Geschütz auszurennen – immerhin eine Basilisk mit 4000 englischen Pfund Rohrgewicht –, kostete unheimlich Kraft. Ohne die mehrscheibigen Blöcke hätten wir es zu dritt niemals geschafft.

      „Her mit der Fackel!“

      Über den Rand des Rohres hinweg peilte Masterson die Spanier an. Sein Gesicht verzerrte sich zur Grimasse, als ich ihm endlich die blakende Pechfackel reichte.

      „Spanische Bastarde“, fauchte er, „fahrt zur Hölle!“

      Ich schaffte es gerade noch, zur Seite zu springen. Das Dröhnen der Pulverexplosion zerriß mir schier die Trommelfelle. Die zurückgeschleuderte zweirädrige Lafette rollte hautnah an mir vorbei. Masterson grinste nur infam, dann hetzte er mich herum, daß mir im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen verging.

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