Die Wächter von Magow - Band 1: Rendezvous mit dem Rattenkönig. Regina Mars
Читать онлайн книгу.großen Augen sah er geradezu herzerwärmend niedlich aus, aber … da war etwas. Eine Ahnung, dass sich hinter der durchscheinend weißen Haut etwas verbarg. Nach Jahren hinter der Bar hatte Sofie genug Menschenkenntnis entwickelt, um die Kunden zu erkennen, mit denen etwas nicht stimmte. Und bei dieser Truppe hier klingelten alle Alarmglocken gleichzeitig.
»Euer Hobby ist es, mit Schwertern durch das Koval zu rennen.« Sie hob eine Augenbraue.
»Ja, also nein.« Er räusperte sich. »Wir sind, äh, harmlose LARPer. Live Action Roleplay. Wir tun nur so. Wir spielen ein Fantasyspiel nach.«
»Mit Vampiren und Werwölfen.« Die Fußisan-Frau schien Spaß an dem bekloppten Märchen zu haben, das sie Sofie da auftischte. »Ich bin ein Werwolf und Nat ist ein Vampir.«
»Und was ist er?« Sofie deutete mit dem Kopf auf den Mistkerl, der immer noch ihr Handy hatte. »Ein Brückentroll?«
Fußisan-Frau lachte. »Ja, genau. Jean, der Brückentroll. Siehst du, es ist alles ganz harmlos. Können wir weiterspielen?«
»Klar, sobald ihr mir eure Pappschwerter ausgehändigt habt.«
Schweigen. Die Drei sahen sich an.
»Aber dann verlieren wir das Spiel«, sagte Nat lahm.
»Mann!« Jean, der Brückentroll, übertönte selbst die Musik. »Ist doch egal, sie vergisst das eh! Können wir jetzt diesen Dämon … He!«
Sofie hatte versucht, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen. Und er hatte sich gewehrt, mit einem Griff, der dafür sorgte, dass Sofie jetzt auf dem Boden lag. Mit schmerzendem Hintern und gerissenem Geduldsfaden. Sie sprang auf.
»Gut, das war's.« Sie wollte sich gerade umdrehen und zurück zur Bar stampfen, als die Nasenlöcher der Fußisan-Frau sich wieder blähten. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde ernst. Eine Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen und sie sah sich langsam um, so vorsichtig, als würde etwas über den vor Bässen zitternden Boden kriechen. Als würde es hinter den Tänzern lauern. Sofie spürte einen kalten Lufthauch über ihren verschwitzten Rücken streichen.
»Isa? Riechst du ihn?«, fragte Nat, womit Sofie nun auch noch den letzten Namen hatte.
»Ja.« Isa legte die Hand an ihren Schwertgriff. »Er ist da.«
Rattenplage
Sofie folgte den Blicken der anderen. Das Erste, was sie sah, war eine Bewegung hinter den Tanzenden. An der Wand, ganz unten. Winzige Krallen, dunkle, kleine Körper, in die Höhe gereckte Schwänze.
»Igitt«, murmelte sie. »Ratten.«
Es waren nicht die Ersten, die sie im Koval sah. Die Gäste hätten sich ganz schön geekelt, wenn sie gewusst hätten, wie viele Fallen im Vorratsraum standen. Aber für gewöhnlich zeigten die Viecher sich nicht auf der Tanzfläche. Also, höchstens eine oder zwei. Nicht … Dutzende. Kälte rann durch Sofies Magen.
Was zur Hölle war hier los?
Ein Schrei erklang, irgendwo hinten in der Halle. Die Musik setzte einen Moment lang aus und genau in diesem Moment brüllte jemand. Erst eine Frau, dann noch eine, dann mischten sich Männerstimmen in die Kakophonie, die zu angstverzerrtem Kreischen wurde. Zwischen den Füßen der Tanzenden wuselte und wimmelte es. Modriger Gestank waberte durch die Luft.
Sofie drehte sich langsam um die eigene Achse. Überall Hilferufe, überall Panikausbrüche, das Tanzen wurde zu Schubsen und Rempeln, und dem Versuch, voranzukommen, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren.
Die drei Trottel mit den Schwertern stürmten los, in entgegengesetzte Richtungen. Sie sah, wie Jean zwei bullige Kerle zur Seite rammte, wie Isa unter einem Stehtisch durch tauchte und verschwand. Nat wurde von einer Horde panischer Junggesellinnen gerammt und konnte knapp verhindern, dass er von ihnen niedergetrampelt wurde.
Etwas streifte Sofies Knöchel. Als sie nach unten sah, blickten ihr glänzend schwarze Augen entgegen. Gelbe Zähne leuchteten unter der behaarten Schnauze, dann huschte die Ratte weiter. Die nächste trippelte über Sofies Fuß.
»Ekelhaft«, flüsterte Sofie, Würgereiz unterdrückend. »So verdammt ekelhaft.«
Sie musste hier raus. Egal, woher die Viecher kamen, sie musste zum Ausgang, nach draußen, weg von hier. Das dachten leider auch alle anderen. Um den Ausgang sah sie geballte Leiber, wild fuchtelnde Hände. Schmerzensschreie hallten zu ihr herüber. Die Leute steckten fest.
Die Musik stoppte.
Sofie sah sich nach dem DJ um und entdeckte, dass er ebenfalls versuchte, zum Ausgang zu kommen. Ratten trippelten über seinen Laptop, der verlassen auf dem Pult stand. Es stank. Nach Schweiß und Panik, und dazwischen waberte Kanalgeruch, faulig und beißend. Die unzähligen haarigen Körper brachten ihn mit sich. Und den nach Blut. Zwischen den wuselnden Leibern, die den Boden bedeckten lagen winzige, zertrampelte. Ratten, die den Davonstürmenden nicht schnell genug ausgewichen waren. Und … Oh, verdammt. Sofie sah Blut an nackten Beinen herunterlaufen. Bisswunden.
Die hohen Kreischlaute der Flüchtenden und die noch höheren Kreischlaute, die die Ratten ausstießen, gellten in Sofies Ohren.
Raus, dachte sie. Du kannst dir später überlegen, was für ein Wahnsinn das hier ist. Raus.
Aber der Eingang war verstopft. Sie würde durch das Lager fliehen müssen, hinter der Bar. Schon als sie sich umdrehte, hörte sie Dennis schreien.
Ihr Atem stockte. Dennis ruderte wie wild mit den Armen. Sein Gold-Schneidezahn funkelte in dem aufgerissenen Mund, Blut lief über seine tätowierten Arme. Ratten schwärmten über ihn. Ratten, die an seinem Körper hochkletterten, die sich von seinem Brüllen nicht abschrecken ließen. Wenn er eine erwischte und von sich schleuderte, kam sofort eine nach. Sofie sah sein Hawaiihemd nicht mehr vor grauschwarzen Leibern.
»Dennis!« Sie sprintete los. Etwas quietschte unter ihrer Sohle, hoch und fiepsig, wand sich und sie rutschte aus. Sie knallte mit dem Hinterkopf auf den Boden.
Einen Moment lang war alles weg. Eine Sekunde lang sah sie Lichter, Sterne, grelle Scheinwerfer, die alle auf sie gerichtet waren. Dann schoss der Schmerz durch ihren Schädel. Sie brüllte, griff um sich, wollte sich hochstemmen. Alles, was sie fühlte, war Fell. Warmes Fell, lebendige, kleine Leiber, winzige Rippen. Ein haarloser Schwanz glitt zwischen ihren Fingern hindurch. Beißender Gestank verätzte ihre Nase. Krallen trippelten über ihre Wange.
Sie wollte aufstehen, drehte sich, wand sich, doch sie fand keinen Halt in diesem Meer aus haarigen Körpern. Sie schoben sich unter sie, windend und stinkend und plötzlich bewegte sie sich. Die Scheinwerfer glitten über ihr weg, sie sah das Kaugummi an der Unterseite eines Stehtischs, so viel, wie Stalaktiten hing es herunter und …
Ich werde von Ratten fortgetragen, dachte sie. Fast hätte sie gekichert, aber sie war zu beschäftigt damit, sich nicht vor Ekel zu übergeben.
»Hilfe«, krächzte sie, viel zu leise.
Doch sie wurde gehört. Eine kräftige Hand packte ihren Oberarm und riss sie hoch. Zähne blitzten und der Boden unter ihren Füßen war wieder fest. Winzige Körper flüchteten kreischend.
»Hallo, Süße.« Isa zwinkerte und ließ sie los.
»Hallo«, würgte Sofie hervor. »Oh Gott.« Dann kotzte sie Isa auf die Sandalen, was die mit einem mitleidigen Schultertätscheln quittierte.
»Das ist bald vorbei«, hörte Sofie. »Wir finden jetzt diesen Rattenkönig, machen den rund und dann können wir alle nach Hause gehen. Und du erinnerst dich an nichts, versprochen.«
»Wie soll ich eine Scheiß-Rattenplage vergessen? Die wollten mich entfüh...« Die letzten Worte gingen in einem trockenen Würgen unter.
»Entführen?« Isa lachte herzlich. »Na klar. Sorry, ich muss los. Meine Kumpel sind in Schwierigkeiten.«