Das letzte Gefecht - Tatsachenroman. Will Berthold

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Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold


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Kavallerieoffizier wandte sich an die Sabotageabteilung der militärischen Abwehr und erklärte, an neuartigen Sprengmitteln für den Einsatz hinter den russischen Linien interessiert zu sein.

      Dem Oberstleutnant Wilhelm Hotzel schmeichelte das Interesse des Besuchers, der von der Front kam. Bereitwillig zeigte er Gersdorff das in Frage kommende Arsenal: Sprengmunition, Zündkapseln und andere brisante Geräte.

      »Das deutsche Material machte einen soliden, aber meist sehr aufwendigen Eindruck«, stellt in seinem Buch »Soldat im Untergang« Gersdorff fest. »Vor allem waren die deutschen Zünder mit einem tickenden Uhrwerk versehen. Dann wurde mir Material gezeigt, das die Briten zur Versorgung französischer und holländischer Widerstandskämpfer über den besetzten Gebieten abgeworfen hatten. Durch gefaßte und umgedrehte feindliche Funkagenten hatte die deutsche Abwehr unverfängliche Verbindungen mit den Absendestellen in Großbritannien herstellen können. In sogenannten Funkspielen wurde das Material angefordert. Es brauchte dann nur eingesammelt zu werden. Auch bei fehlgeschlagenen britischen Kommandounternehmen an der Kanalküste waren größere Mengen des britischen Materials erbeutet worden.

      Der englische Sprengstoff bestand aus einer Plastikmasse, die sich in jede beliebige Form kneten ließ. Die dazugehörigen Zünder wirkten auf chemischem Weg und verursachten daher keinerlei Geräusch. Sie hatten die Form eines dicken Bleistiftes. Am oberen Ende befand sich unter der Metallhülse eine Säurekapsel über einem Draht, der eine Schraubfeder zusammendrückte und unter Spannung hielt. Der Draht war von Baumwolle umgeben. Zerdrückte man die Säureampulle, so entwich die Säure in die Watte und zerfraß in einer bestimmten Zeit den Draht, der dann die Feder freigab, welche einen Bolzen auf die Zündkapsel schnellen ließ und so die Explosion auslöste. Je nach Stärke des Drahtes gab es Zünder mit einer Zünddauer von zehn, dreißig, sechzig und mehr Minuten. Die jeweilige Zünddauer war durch farbige Ringe auf den Zündern gekennzeichnet. So hatte zum Beispiel der Zehn-Minuten-Zünder einen schwarzen Ring.«

      Freiherr von Gersdorff bat um eine Demonstration. »Die Wirkung des Sprengstoffes war erstaunlich. Wenige Gramm zerfetzten Eisenbahnschienen. Dann ließ ich an einem russischen Beutepanzer eine Ladung von zirka 250 Gramm anbringen: die Panzerkuppel wurde abgesprengt und meterweit durch die Luft geschleudert. Dieses Material mußte Tresckows Wünsche in idealer Weise erfüllen. Ich bat Oberstleutnant Hotzel, mir ein Sortiment der verschiedenen Geräte zur Verfügung zu stellen, da ich dem Feldmarschall die neuartigen Sabotagemittel zeigen wollte. Hotzel ließ mir alle möglichen Geräte, darunter auch Proben der britischen Sprengmittel, einpacken. Korrekterweise verlangte der das Lager verwaltende Feldwebel, daß ich den Empfang des im einzelnen aufgeführten Materials in einem Quittungsbuch durch meine Unterschrift bescheinige. Beim Unterschreiben fragte ich mich, ob ich mein eigenes Todesurteil unterzeichne.«

      Der englische Sprengstoff kam mit unfreiwilliger Hilfe der französischen Résistance in deutsche Hände und wurde doch dem Ursprungszweck wieder zugeführt. Es handelte sich um die gleiche brisante Mischung, die bei der Bombe gegen den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und RSHA-Chef Reinhard Heydrich ihren Zweck erfüllt hatte. Bald probten Tresckow und seine Freunde auf den Dnjepr-Wiesen den Tyrannenmord. Der willige I C mußte noch mehrmals bei der Abwehr vorsprechen und um Nachlieferung bitten, dann verliefen die Experimente erfolgreich.

      Der Diktator brauchte nur noch im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte, in Krasny Bor bei Smolensk, zu erscheinen.

      Tresckow, der Motor der Rebellen, hatte eine hohe Stirn, kühle Augen, einen geraden Mund und ein energisches Kinn. Er war ein höchst begabter, doch auch höchst ungewöhnlicher Generalstabsoffizier. Er entstammte einer Familie, in der es Dogma war, Offizier zu werden. Der Hochgebildete folgte dem Familienwunsch, und sein erster Kommandeur sagte zu ihm vor versammelter Mannschaft: »Sie, Tresckow, werden einmal Chef des Generalstabs werden oder als Revoluzzer auf dem Schafott enden.«

      Aus dem Ersten Weltkrieg war er mit einer Reihe von Auszeichnungen, doch berufslos zurückgekehrt. Vorübergehend hatte er sich einem Freikorps angeschlossen, sich dann aber entschieden, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen. Er absolvierte in Potsdam eine Banklehre, fiel auf und wurde gefördert, arbeitete dann in der Reichshauptstadt als Börsenmakler und verdiente dabei so viel Geld, daß er sich eine einjährige Weltreise leisten konnte. Tresckows Horizont hatte sich beträchtlich erweitert, als er sich 1926 von der Reichswehr reaktivieren ließ.

      Einer seiner Offizierskameraden war Rudolph Schmundt, ein glühender Nationalsozialist, der später zu Hitlers persönlichem Adjutanten aufrücken sollte. Tresckow stand der braunen Bewegung zunächst freundlich bis gleichgültig gegenüber. Erst als er begriff, daß ihre Politik zum Krieg führen mußte, wurde er zu ihrem Feind und, als er in Rußland das Mordgeschäft der Vernichtungskommandos kennenlernte, zu ihrem Todfeind.

      Im Gegensatz zu anderen Offizieren redete er wenig darüber. Er war ein geradliniger Offizier, aber auch ein Realist, der wußte, daß er sich seinem Ziel, dem Tyrannenmord, nur nähern konnte, wenn es ihm gelang, sich zu verstellen. Der scharfsinnige und scharflippige Generalstabsoffizier schaffte es, gegenüber seinen Freunden offen zu sein und doch bei Schmundt im Führerhauptquartier den Eindruck eines zuverlässigen Gefolgsmannes Hitlers zu erwecken.

      List und Verschlagenheit waren Eigenschaften, die man gemeinhin bei einem preußischen Offizier nicht vermutete; überhaupt liegen sie wenig im deutschen Nationalcharakter – falls es so etwas gibt. »Die Deutschen sind keine Verschwörer«, hatte der italienische Botschafter in Berlin, Bernardo Attolico, gespöttelt. »Zum Verschwörer gehört alles, was sie nicht haben: Geduld, Menschenkenntnis, Psychologie, Takt. Nein, sie werden alle abgeschossen werden und in Lagern verschwinden: Gegen Gewaltregierungen, welche zur vollen Anwendung ihrer Gewaltmittel jederzeit bereit sind, gibt es keine Aufstände. Um gegen solche Verhältnisse anzukämpfen wie die hiesigen, braucht es eine Ausdauer, eine Verstellungsgabe, ein Geschick, wie es Talleyrand und Fouché besaßen. Wo finden Sie zwischen Rosenheim und Eydtkuhnen einen Talleyrand?«

      Oberst von Tresckow stand die Tarnung durch. Es war die Voraussetzung seines Vorhabens, denn er brauchte das Vertrauen Schmundts, um seine Personalwünsche durchzusetzen, und der Adjutant tat ihm gerne den Gefallen, viele Gefallen. Und so wurden mit der Zeit die Nazis unter den Offizieren im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte weggelobt und durch Tresckows Gesinnungsfreunde ersetzt. Es entstand ein harter Kern von Hitler-Gegnern. Der I A mauerte den Oberbefehlshaber Fedor von Bock, seinen Vetter, mit oppositionellen Offizieren förmlich zu, nötigte ihm die Grafen Hardenberg und Lehndorff als Adjutanten auf und holte sich selbst den Rechtsanwalt und Oberleutnant Fabian von Schlabrendorff als Verbindungsmann zu dem Abwehr-Obersten Hans Oster, dem heimlichen »Geschäftsführer des Widerstandes.«

      Der »helle Sachse« – so nannten seine Freunde die rechte Hand des Admirals Canaris – leitete die Zentralabteilung am Tirpitzufer: Nach außen hin »anscheinend immer auf der Jagd nach attraktiven Frauen und neuen Pferden« (Heinz Höhne), war er tatsächlich ein Drahtzieher der Subversion, der alles wußte und vieles bewerkstelligen konnte.

      Tresckow konnte nur zweigleisig fahren: Was er bei Schmundt nicht erreichte, schaffte er über die militärische Abwehr. Der I A der Heeresgruppe Mitte war nicht der erste Offizier – freilich auf langen Umwegen –, der erkannt hatte, daß nur ein toter Hitler dem Widerstand zum Durchbruch verhelfen konnte. Die Pläne der anderen Verschwörer, den Führer gefangenzusetzen und vor Gericht aburteilen zu lassen, waren für Tresckow nur Phantastereien. Hitlers Beseitigung hielt er für die Grundvoraussetzung bei der Liquidierung des Nationalsozialismus. Da er wußte, daß es nicht leicht war, an den Diktator heranzukommen, und daß ihn bislang eine Reihe von Zufällen gerettet hatte, arbeitete er verschiedene Attentatspläne aus.

      Henning von Tresckow war nicht der erste deutsche Offizier, der versuchte, Hitler zu töten. 1938, während der Sudetenkrise, hatte sich der frühere Freikorpskämpfer und Major Friedrich Wilhelm Heinz mit einem Stoßtrupp von 40 Mann in Berlins Eisenachstraße 118 bereitgestellt, um auf ein Stichwort der Canaris-Organisation die Reichskanzlei zu stürmen und Hitler zu erschießen. Die Waffen hatte ihnen die Abwehr geliefert. Die Teilnehmer der Fronde stammten aus dem »Jungen Stahlhelm« und dem »Studentenring Langemarck«.

      Tagelang warteten die Männer, daß der Diplomat Erich Kordt, der zu ihnen gehörte, die Flügeltüren


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