Weges Rand. Angelika Heller

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Weges Rand - Angelika Heller


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Kommen und Gehen auch nicht mehr warm, musste ich noch den grausigen Ofen anzünden, wozu man einen Zündstreifen an den Anzünder halten musste, während zur richtigen Zeit die richtige Menge Öl heraustropfen sollte, wofür eigentlich jeder mindestens drei Versuche brauchte und es manchmal gar nicht klappen wollte. Mir gelang es damals beim siebenten Mal – mit einigen Unterbrechungen.

      Also, das hatte ich auch hinbekommen; alle Kinder waren mittags noch wohlauf, habe mir aber doch wirklich sehr gewünscht, dass die Erzieherin am nächsten Tag wieder kommen möge, was sie glücklicherweise auch tat.

      Allerdings hatte ich in dem Winter darauf dann einmal das Vergnügen eine ganze Woche lang dieses nach Rudolf Steiners Pädagogik geführte Haus – nun ja, also so größtenteils wenigstens, ich habe auch nicht alles immer mitgemacht, die Eurythmie zum Beispiel habe ich immer verweigert – alleine zu managen, aber immerhin haben ein Geschwisterpärchen und zwei einzelne Kinder zuhause bleiben können und dürfen, und so waren es dann nur noch sieben Kinder zwischen drei und sechs Jahren.

      Also, man kann mich offensichtlich immer und überall guten Gewissens alleine lassen; das wird schon schiefgehen, irgendwie, sie macht das schon und sagt dann auch alle ihre Termine ab usw.

      Wäre halt nur schön, wenn das nicht ganz so häufig vorkäme und wenn die Handwerker endlich mal fertig wären. Außerdem darf die Heizung, bitte, auch endlich mal warm werden!

      Ben fehlt

      Jedes Mal, wenn ich an dieser einen Unterführung vorbeikomme.

      Immer noch.

      Bis vor etwas mehr als sechzehn Monaten hatte er dort für zweieinhalb Jahre sein Nachtlager.

      Ich bin sehr oft dort vorbeigegangen, manchmal habe ich auch einen langen Umweg gemacht, weil dort Ben ist – war. Er saß oder lag auf seinem Schlafsack und hat meistens gelesen, aber jedes Mal hat er sofort sein Buch weggelegt, um sich mit mir zu unterhalten. Ben, der beschlossen hatte, auf der Straße zu leben und der nie wieder mit irgendjemandem zusammenwohnen konnte und wollte.

      Wir haben über alles geredet in dieser Zeit, die mir viel Halt gegeben hat, als alles um mich herum sich in Sand aufzulösen schien und darunter nur scharfe Kanten oder völlige Leere blieben. Aber vor allen Dingen haben wir in diesen endlosen Nächten über Bücher gesprochen; diese Leidenschaft hat uns sehr verbunden. Das eine oder andere Buch, von dem er meinte, er hätte es so gerne mal gelesen, und das nur noch antiquarisch zu erwerben war, habe ich ihm dann besorgt und mitgebracht.

      Er hat sich immer sehr gefreut über meine Geschenke, aber ich weiß nicht, ob er je wusste, wie viel mir diese Begegnungen wirklich bedeutet haben – jetzt noch bedeuten. Und er ist fort und ich denke so oft an ihn, vor allem, wenn ich nachts durch diese Unterführung gehe.

      Ben, du fehlst!

      Do you like it?

      Als ich aufsah, blickte ich in eine verspiegelte Sonnenbrille und darunter ein unglaublich strahlendes Lachen, und mir wurde bewusst, dass er das wohl schon mindestens zweimal gefragt haben musste.

      Dieses verlängerte Maiwochenende in Berlin war nicht nur ein paarmal buchstäblich ins Wasser gefallen, auch kamen die Treffen, auf die ich mich so gefreut hatte, alle nicht zustande. Und was die Unterkunft betraf, nun, die wollte ich doch lieber aus meinem Gedächtnis löschen.

      Getröstet hatte ich mich dann damit, dass ich mich mit vielen neuen Büchern eingedeckt und den mir bisher noch neuen Stadtteil Steglitz erkundet hatte. Dabei war ich auch für eine Neuproduktion das erste Mal im zauberhaften Schlossparktheater. Die wunderschöne Anlage mit dem feinen Ambiente würde mich ganz sicher noch für einige auch schon angekündigte Vorstellungen anlocken.

      Im verwunschen anmutenden Garten der evangelischen Matthäuskirche habe ich auch in einer Regenpause etwas verweilt und die 1883 gepflanzte Luther-Eiche bewundert. Durch die Bogengänge wandelnd und die alten Grabplatten studierend hatte ich den Sonntagabend verbracht. In die Kirche wollte mich das große Eingangsportal allerdings nicht lassen. Das war wohl nach dem Gottesdienst abgeschlossen worden. Also nur ein Rundgang und noch einmal durch das fast kniehohe Gras im wiederbeginnenden Regen zurück zur U-Bahn-Station.

      Und nun, an diesem Montagmorgen, lehnte ich im Untergeschoss des Berliner Hauptbahnhofs an der Seite der Rolltreppe, vertieft in einen der neu erworbenen Thriller aus der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz, um die Wartezeit auf den Zug zu überbrücken.

      Der Strahlemann ließ nicht locker »You do? It’s so great!«, lachte er wieder. Dabei drehte er sich mit seinem knallbunten wadenlangen Strickmantel hin und her und kicherte und gluckste vergnügt.

      »Yeah, absolutely great.« Nun musste ich auch lachen, der Kerl war so glücklich und freute sich so. »Forget the grey sky, just have a sunny day!«, gluckste der bestimmt schon mindestens fünfzigjährige schlaksige Mann, deutete nach oben und drehte sich immer weiter nach links und rechts, wobei der Mantel um ihn herumtanzte. Wie ein hüpfender und springender fröhlicher Regenbogen sah das aus und malte bunte Streifen auf den grauen Bahnsteig. Als der Zug einfuhr, tänzelte er noch einmal an mir vorbei, wirbelte seinen Mantel herum, zauberte Farben in das fade Grau.

      »Have a great and sunny day!«, jubelte er noch einmal und dann war er die Rolltreppe hinauf verschwunden.

      Als ich auf meinen Sitzplatz am Fenster fiel und die Frau neben mir zeitgleich mit mir auch ihr dickes Buch aufschlug, lächelten wir einander an und nickten einander zu.

      Ja, das würde nun aber ein wirklich guter Montag werden, so viel stand jetzt schon einmal fest.

      Eines Abends am Bahnsteig

      Nun hebt sie den Kopf von dem Pappkarton auf ihren Knien, schiebt sich eine Strähne ihres langen Haares hinters Ohr und schaut in die Ferne. Es muss wohl der Pfeifton der sich schließenden Türen am übernächsten Bahnsteig gewesen sein, der sie abgelenkt hat. Gedankenverloren stützt sie das Kinn auf den Handballen und seufzt leise, lässt dann den Blick hinaufgleiten zum nachtblauen Himmel, durchzogen von Stromleitungen und den Lichtstreifen der Werbeanzeigen und Bahnhofslaternen. Mit dem Kopf im Nacken seufzt sie wieder und verweilt dann ein wenig in dieser Position. Die junge Frau ist mir vorher schon aufgefallen, da sie auf der letzten Bank des Bahnsteigs sitzt, mit einem Pappkarton auf den angezogenen Beinen und den Füßen auf einem grauen Korb. Es scheint nicht, als ob sie auf einen Zug warten würde; die halten hier an diesem Flügelbahnhof sehr viel weiter vorne und so weit draußen ist es auch viel kälter. Ich bin auch nur so weit den Bahnsteig entlang, weil ich die Abendstimmung am Bahnhof liebe und einfach noch nicht wieder alleine zuhause sein möchte. Jetzt seufzt sie noch einmal und lässt das Kinn sinken, um sich wieder ihrer vorherigen Beschäftigung zuzuwenden. Es ist nicht, wie ich erst dachte, ein Tablet, sondern es sind bunte Schnipsel, die sie wie ein Puzzle aneinanderfügt. Irgendetwas scheint nicht ganz richtig zu sein, sie nimmt den Kopf etwas zurück, runzelt die Stirn, puzzelt neu zusammen und dann wieder anders. Etwas ungeduldig wirft sie die Teile durcheinander, wobei eines zu Boden flattert. Bevor sie die Beine von ihrem Korb nehmen kann, um es aufzuheben, komme ich schnell näher, bücke mich und reiche ihr das Stückchen aus festem Papier. Es ist ein Fetzen eines größeren Fotos, ca. DIN A4 wie ich jetzt erkennen kann, allerdings nicht wirklich, was darauf zu sehen ist. Sie bedankt sich, legt das Teilchen zu den anderen und seufzt wieder ein bisschen. Jetzt frage ich sie, ob alles okay ist und ob sie nicht sehr friert. Nicht so schlimm, meint sie und wir schauen ein bisschen vor uns hin. Ich lächele sie an und meine, dass ich Bahnhöfe liebe. Ja, sie auch, nur fährt sie eigentlich nie fort. Dabei schiebt sie die Fototeile ein bisschen hin und her, rückt sie wieder zusammen, breitet sie wieder aus.

      »Eine schöne Erinnerung?«, frage ich sie. Sie seufzt, nickt ein bisschen.

      »Ja, aber kaputt«, ist ihre leise Antwort. Ich nicke ihr zu; ich weiß, was sie meint. Wir schauen wieder beide in die Ferne. Etwas lauter seufzend als zuvor räumt sie die Teile in die Tasche ihres Parkas, packt den Karton und hebt beim Aufstehen den Korb hoch. Langsam gehen wir nebeneinander den leeren Bahnsteig zurück Richtung Bahnhofshalle. Bei dem ersten Kiosk bleiben wir stehen, sie schaut vor sich hin, dreht sich halb weg, dann wieder zu mir.


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