Ulrike Woytich. Jakob Wassermann

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Ulrike Woytich - Jakob Wassermann


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Urteil in Zweifelsfällen für massgebend, wandte sich bei diskreten Verkäufen vor allem an ihn und rühmte seine geschäftliche Sauberkeit. Mit Hilfe dieser auserlesenen Klientel hatte er sich auch Absatzgebiete zu erschliessen vermocht, die nur wenig andern zugänglich waren; sein Name hatte bei der Aristokratie Englands und Frankreichs wie auch bei den reichen amerikanischen Sammlern einen guten Klang, und mit ziemlicher Regelmässigkeit schickte er grosse Sendungen von oft unermesslichem Wert ins Ausland.

      Die Frage, ob er als vermöglicher Mann gelten dürfe, wurde von verschiedenen verschieden beantwortet. Die einen bejahten sie unbedingt. Sie sagten, er werde so seine Viertelmillion in Sicherheit gebracht haben. Gulden? eine Viertelmillion Gulden? Natürlich, warum denn nicht? Eine Viertelmillion Gulden. Andere bestritten dies und nannten eine weit geringere Summe, siebzig- oder achtzigtausend. Wieder andere, zum Beispiel der Handschuhfabrikant Schlitteis, der sein Gewölbe gegenüber dem Myliusschen hatte, verstieg sich zu schlechthin phantastischen Zahlen und behauptete, er müsse, niedrig veranschlagt, vier- bis fünfmalhunderttausend Gulden besitzen. Doch diesem lachte Ulrike ins Gesicht und sagte, er sei vielleicht ein begabter Märchenerzähler, an seinen geschäftlichen Blick hingegen glaube sie nicht; ein Mann von derartigem Reichtum werde was Besseres anzufangen wissen, als Tag für Tag in einem düstern Loch zu lauern und Bric-à-bracs zu verschachern; solche Verdrehtheit traue sie einem sonst leidlich vernünftigen Menschen nicht zu.

      Fräulein von Elmenreich war der Ansicht, dass er nach bürgerlichen Begriffen allerdings wohlhabend zu nennen sei, dass aber bei der Besonderheit des Handels, den er treibe, sein Barvermögen kaum zu bestimmen wäre. Der Wert der Dinge sei schwankend; er müsse sie bisweilen unter dem Preis losschlagen; Berechnungen gingen oft fehl, Erwartungen würden getäuscht. Freilich käme es vor, dass gewisse Objekte ganz ausserordentlich im Preise stiegen; so habe sie selbst anno dreiundsiebzig, im Jahr des grossen Krachs, einen Gobelin um zweihundert Gulden verkauft, der heute unter Brüdern das Sechsfache wert sei. So oft sie daran denke, sei ihr das Weinen nah.

      „Die Wahrheit zu gestehen, geh ich nie ohne Bangigkeit an Mylius vorüber,“ sagte das alte Fräulein; „hie und da treff’ ich ihn, etwa in der Dämmerung im Hausflur. Er grüsst, ich danke, das ist alles. Aber solche finstern Geldnaturen strömen einen bösen Zauber aus. Sie lieben den Fetisch in ihren Kassen, wie ein Mensch von Herz das Lebendige liebt, mit derselben Hingebung, derselben Leidenschaft. Von dieser gottlosen Liebe wird ihr Blut dick und schwarz und man spürt förmlich, wie sich die Seele in Ängsten windet. Da geht er dann hin, geht die Stiege hinauf, still wie ein Gespenst. Was er hat, macht ihn zittern, was er nicht hat, macht ihn zittern.“

      „Ganz richtig,“ entgegnete Ulrike Woytich, „aber vor Gespenstern fürcht ich mich nicht. Gespenster nehm ich nicht an. Werden sie zudringlich, so rückt man ihnen an den dürren Leib und ruft: ‚Gelobt sei Jesus Christus.‘ Das halten sie nicht aus und verduften. Gruseln kenn ich nicht, das muss ich erst lernen wie der im Märchen, der extra dazu auszog.“

      Wie sich Ulrike bald überzeugen konnte, genoss Mylius allenthalben den Ruf eines Mannes von Verlass und streng rechtlichen Grundsätzen. Anfangs hatte er es nicht eben leicht gehabt in der Stadt der Leichtherzigkeit, als protestantischer Zuzügling. Man war den Leuten seines Schlages und seiner Herkunft nicht grün. Verspottete man nicht ihre Genauigkeit, so beargwöhnte man ihren Fleiss; erregten sie nicht Anstoss durch die schroffe Absage an das mittuerische Wesen, so ärgerte man sich über die korrekte Führung. Doch mit der ihm eigenen Zähigkeit hatte er sich festgesetzt und Boden gewonnen.

      Eigentliche Freunde hatte er nicht, vertrauten Umgang keinen. Das Familienleben galt als musterhaft und man rühmte die Artigkeit und Wohlerzogenheit der Kinder, die bescheidene Führung und das gefällige Wesen der Frau. Viele bedauerten freilich die Töchter. Sie durften auf keinen Ball gehen, keine Einladungen annehmen, Ausflüge nur machen, wenn sie nichts kosteten. Selbst die kleinste Eisenbahnfahrt musste erfeilscht und erbettelt werden. Josephe war die einzige, für die es keine Entbehrung war. In frühen Jahren schon wurde über ihre Frömmigkeit gesprochen und man wunderte sich darüber. Manche wollten nicht begreifen, wie eine Protestantin es überhaupt anstelle, fromm zu sein; Protestantismus, erklärten sie, sei doch gar kein Glauben, sondern Ketzerei und Leugnung, da seien die Juden noch besser dran. Aus den ersten Gesprächen mit Christine erfuhr Ulrike, dass das junge Kind auch die Mutter zu seinen Anschauungen bekehrt hatte; eine Zeitlang hatte Christine sie bei jedem Kirchgang begleitet, und sie gestand, dass es ihr selbst merkwürdig genug gewesen sei, da sie in aufklärerischen Tendenzen erzogen worden war und eine ganz andere Jugend gelebt hatte. Ihr Grossvater hatte Merck noch gekannt, den Freund Goethes; die Mutter hatte als junges Mädchen im Brentanoschen Kreise verkehrt und war mit Arnim, Görres und Friedrich Schlegel in einem Briefwechsel gestanden, der zu den gehüteten Schätzen des Familienarchivs gehörte; eines Besuches von Wilhelm von Humboldt bei ihren Eltern entsann sie sich mit Stolz.

      Ihre geistige Verfassung, sie suchte es mit ihren Worten zu umschreiben, war Produkt und Nachklang jener innerlich bewegten Romantik, die dann plötzlich wie von einem Eissturm von der deutschen Erde fortgeweht war und einst ein anderes Deutschland hatte ahnen lassen als das unter Kanonendonner vor den Mauern von Paris erstandene. Aber diese Grundfarbe war längst verblasst in ihr; das ehemals lebendig Gewesene war keine Wirklichkeit mehr, nur Phantasiespiel, aus dem sie bei seltenen Anlässen den Mut schöpfte, sich zur Fürsprecherin ihrer Kinder zu machen, wenn es galt, ihnen eine Freude zu bereiten und dem Mann die Erfüllung eines Wunsches abzuschmeicheln. In allem übrigen herrschte eine grosse Stille in ihrem Dasein, eine schläfrige und unfrohe Stille; und so war es auch mit den Kindern, Josephe vielleicht ausgenommen, die ihr eigenes, verschlossenes und oft schwer erratbares Leben hatte; schläfrige und unfrohe Stille lagerte über ihnen. Wenn man am Morgen die Fenster in der Wohnung öffnete, wunderte man sich immer, dass unten auf der Gasse Menschen gingen, dass da draussen eine Welt war. Nach und nach nahm diese Welt den Charakter gefährlicher und feindseliger Fremdheit an. Mylius unterliess es auch bei keiner schicklichen Gelegenheit, vor ihr zu warnen, vor ihren Verführungen, ihrer Verderbtheit, ihrer Hohlheit und ihrer Mitleidlosigkeit. Es klang glaubhaft genug, und so war noch mehr Grund, sich ganz, ganz stille zu verhalten.

      Alles das nahm Ulrike begierig zur Kenntnis. Ausbeute und Hinweis in Fülle. Das Feld lag offen da. Zunächst war, um die Hauptschwierigkeit aus dem Weg zu räumen, eine Auseinandersetzung mit Onkel Klemens nötig, dem Hofrat, der ihrer als Logiergast überdrüssig war, obgleich sie von den in England gemachten Ersparnissen lebte und in seinem Haus nur eine greuliche Mansarde bewohnte, in der die Mäuse rumorten und durch deren Fensterfugen der Sturmwind pfiff. Er hatte ihr Empfehlungen für Paris verschafft, sie sollte ehestens fort, nach seinem Willen möglichst weit fort, und nun musste sie ihn vertrösten und etwas ersinnen, um ihn nicht als Dränger hinter sich zu haben, bis ihr Plan eine taugliche Form gewonnen hatte.

      Dabei ist die Frage noch nicht beantwortet: worin bestand eigentlich ihr Plan? was lockte sie? was trieb sie, ihre Kräfte zu sammeln, um in der einen vorgesetzten Richtung zu wirken? Wollte sie sich einnisten in dem friedlichen Bürgerquartier und mit Halbgefangenen eine magere Kost teilen? So gross war ihr Hunger nicht und so klein ihr Ehrgeiz nicht. Folgte sie einer Neigung, einer Herzenslaune, einer mitfühlenden Regung, einer neugierigen bloss? Es war ganz und gar nicht ihre Art, denn sie gab sich nicht für Geringes her, und es fiel ihr nicht im Traum ein, sentimentalen Anwandlungen zuliebe ihre Zeit und ihre Aussichten zu opfern.

      Also hatte ihr unvergleichlicher Spürsinn in dieser bresthaft engen Welt Möglichkeiten des Gelingens und Emporkommens entdeckt, die den Augen minder scharfblickender Leute, wie du, Leser, und ich, Berichterstatter, es sind, sich entziehen? Ohne Zweifel war es so, denn darauf dürfen wir uns verlassen, dass Ulrike Woytich immer dort zu finden ist, wo es um die Hauptsache geht.

      Zunder im trockenen Holz

      Sie sagte sich, dass es unklug wäre, wenn sie gleich anfangs ihre neuen Freunde in zu rascher Folge besuchte. Sie liess sich jedesmal bitten, schob den Termin hinaus, beteuerte, sie wolle nicht aufdringlich sein, war bestürzt, als sich Christine darüber verstimmt zeigte, kam am versprochenen Tag doch nicht, liess sich wieder bitten, behauptete, Josephe vertrüge noch keine Gesellschaft, Esther und Aimée gingen ihr aus dem Weg, musste eines bessern belehrt werden und wurde endlich zur Zwanglosigkeit überredet. Es war vortrefflich abgestuft; sie warb keinen Augenblick,


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