Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2 - Augustinus von Hippo


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Abel? Denn wenn auch diese zwei allein genannt werden, so ist daraus doch nicht zu folgern, daß sie die einzigen waren, die bis dahin aus Adam hervorgegangen waren; sie werden eben genannt im Zusammenhang mit der Reihenfolge der zu erwähnenden Zeugungen. Es heißt ja von Adam[237] , daß er Söhne und Töchter gezeugt habe, und keines von diesen Kindern ist mit Namen aufgeführt; niemand kann also, ohne sich auf das Gebiet der gewagten, ja kecken Behauptungen zu begeben, bestimmt sagen, das wievielte Kind Adams Seth gewesen ist. Adam konnte ja von oben eine Andeutung erhalten haben, als er die Geburt Seths mit den Worten begrüßte: „Denn Gott hat mir einen andern Samen erweckt an Stelle Abels“, und diese Worte wären dann auf Seths Heiligkeit zu beziehen, die bestimmt war, an Stelle der Abels zu treten, und drückten nicht aus, daß Seth der Zeit nach als der erste nach Abel geboren worden wäre. Wenn es dann weiter heißt[238] : „Seth aber lebte 205 Jahre [oder nach der hebräischen Überlieferung: 105 Jahre] und zeugte den Enos“, so kann doch nur Unbesonnenheit diesen Enos ohne weiters als Seths Erstgeborenen bezeichnen und uns die verwunderte Frage auf die Lippen drängen, wie denn so viele Jahre hindurch Seth unverheiratet geblieben ohne allen Vorsatz der Enthaltsamkeit oder seine Ehe ohne Kinder geblieben sei, zumal da es doch auch von ihm heißt: „Und er zeugte Söhne und Töchter, und es waren alle Tage Seths 912 Jahre, da starb er“. Und so wird auch weiterhin von allen, deren Lebensjahre angegeben werden, ausdrücklich bemerkt, daß sie Söhne und Töchter zeugten. Und demnach läßt sich überhaupt nicht ersehen, ob der, dessen Zeugung jeweils erwähnt wird, gerade der Erstgeborene sei; im Gegenteil: weil es unwahrscheinlich ist, daß die Urväter so lange Jahre hindurch entweder noch nicht geschlechtsreif oder ohne Gattin oder ohne Nachkommenschaft gewesen wären, so ist es auch unwahrscheinlich, daß die jeweils angeführten Söhne ihre Erstgeborenen gewesen wären. Vielmehr hat der Verfasser der heiligen Geschichte, da er beabsichtigte, an der Hand der Zeugungsfolgen unter Angabe der Zeitverläufe zu der Geburt und dem Leben Noes zu gelangen, in dessen Lebenszeit die Sündflut fällt, nur eben jene Zeugungen erwähnt, welche in die Reihenfolge der Abstammung einschlagen, nicht jene, welche für die Eltern die ersten gewesen.

      Um allen Zweifel zu beseitigen, daß es sich wirklich so verhalten haben kann, will ich ein Beispiel einschalten, das eine solche Absicht und ihre Einwirkung auf Zeugungsberichte deutlicher machen kann. Wo der Evangelist Matthäus die Abstammung des Herrn dem Fleische nach an der Reihenfolge der Vorfahren dem Gedächtnis der Nachwelt überliefern will, beginnt er mit Abraham und sagt, in der Absicht, zunächst auf David zu gelangen[239] : „Abraham zeugte den Isaak“; warum sagt er nicht: den Ismael, den doch Abraham zuerst zeugte? „Isaak aber“, fährt er fort, „zeugte den Jakob“; warum sagt er nicht: den Esau, der doch Isaaks Erstgeborener war? Eben weil er über diese beiden nicht zu David hätte gelangen können, Darauf folgt: „Jakob aber zeugte den Judas und dessen Brüder“; war Judas etwa Jakobs Erstgeborener? „Judas zeugte den Phares und Zarat“; auch von diesen Zwillingen war keiner des Judas Erstgeborener, vielmehr hatte er vor ihnen bereits drei Söhne gezeugt. Der Evangelist hielt sich also in der Reihenfolge der Zeugungen lediglich an die, über welche er zu David und von da an sein weiteres Ziel gelangen konnte. Daraus ist zu ersehen, daß auch unter den Urmenschen vor der Sündflut nicht die Erstgeborenen, sondern jeweils die erwähnt wurden, über welche die Reihenfolge der Zeugungen ununterbrochen bis auf den Patriarchen Noe herabgeführt werden konnte; und so brauchen wir uns über die schwierige und unnötige Frage wegen deren spät eintretender Geschlechtsreife nicht den Kopf zu zerbrechen.

      

       16. Für die ersten Ehen galt ein anderes Recht als für die späteren

      

      [240] . Da nun das Menschengeschlecht nach der ersten Vereinigung zwischen dem aus Staub gebildeten Mann und seiner aus der Seite des Mannes genommenen Gattin der Verbindung von Männern und Frauen bedurfte, um sich durch Zeugung zu mehren, und keine anderen Menschen da waren als nur eben Kinder jenes ersten Paares, so nahmen die Männer ihre Schwestern zu Frauen; das erzwangen im grauen Altertum die Verhältnisse ebenso unausweichlich, wie es später die Religion für verwerflich erklärte. Man nahm jetzt mit vollem Recht Rücksicht auf die Liebe, und daher sollten die Menschen, für die ja die Eintracht nützlich und schicklich war, durch die Bande vielfältiger Verwandtschaftsverhältnisse aneinandergekettet werden; es sollte nicht ein einzelner in sich allein viele Verwandtschaftsverhältnisse vereinigen, sondern diese sollten sich einzeln über Einzelmenschen verteilen und so eine möglichst große Zahl von Menschen erfassen, um das genossenschaftliche Leben fester in Liebe aneinanderzuketten. Vater und Schwiegervater z. B. sind Bezeichnungen für zwei Verwandtschaftsverhältnisse. Und also erstreckt sich die Liebe über eine größere Zahl, wenn einer einen andern zum Schwiegervater hat als den Vater. Beides zugleich aber mußte der eine Adam seinen Söhnen wie seinen Töchtern sein, als sich die Brüder und Schwestern ehelich verbanden. So war auch Eva, sein Weib, ihren Kindern beiderlei Geschlechtes sowohl Schwiegermutter als auch Mutter; wären das zwei verschiedene Frauen gewesen, eine Mutter und eine Schwiegermutter, so würde sich vielfältiger das Band der genossenschaftlichen Liebe geknüpft haben. Schließlich vereinigte nun auch die Schwester, indem sie zugleich Gemahlin wurde, zwei Verwandtschaftsverhältnisse in sich; wären sie auf zwei Einzelpersonen verteilt worden, von denen die eine Schwester, die andere Frau ist, so würde sich die genossenschaftliche Beziehung an Zahl der in ihren Kreis gezogenen Menschen vermehrt haben. Aber hierzu gebrach es damals an aller Möglichkeit, da es keine anderen Menschen gab als Brüder und Schwestern vom ersten Menschenpaare her. Es mußte also, sobald es eben möglich war, so eingerichtet werden, daß aus der nun vorhandenen Auswahl Gemahlinnen, die nicht mehr Schwestern waren, heimgeführt wurden und nicht nur die Nötigung zur Schwesterheirat aufhörte, sondern diese selbst als ein Unrecht galt. Denn wenn auch noch die Enkel des ersten Menschenpaares, die nun schon Geschwisterkinder zu Frauen nehmen konnten, mit ihren Schwestern Ehen eingegangen hätten, so wären in einem Einzelmenschen schon nicht mehr bloß zwei, sondern drei Verwandtschaftsverhältnisse entstanden, von denen jedes auf einen andern hätte verteilt werden sollen, um die Liebe durch möglichste Ausdehnung der Verwandtschaft ineinanderzuflechten. Es wäre nämlich ein Einzelmensch seinen Kindern, nämlich dem ehelich verbundenen Geschwisterpaar, Vater, Schwiegervater und Oheim gewesen; und ebenso die Frau jenes Einzelmenschen den beiden Kindern Mutter, Tante und Schwiegermutter; und das eheliche Geschwisterpaar wäre zueinander nicht nur Geschwister und Eheleute, sondern auch Vetter und Base gewesen als Kinder von Geschwistern. Alle diese Verwandtschaftsverhältnisse aber, die den einen Menschen mit dreien verbinden, würden ihn mit neun verbinden, wenn jedes von ihnen auf einen andern ginge [Dies ist indes bei der Ehe von Geschwisterkindern, wovon doch nach dem Zusammenhang die Rede ist, nicht der Fall, vielmehr beschränkt sich hier das neunfache Verwandtschaftsverhältnis auf sechs Personen.]; es wären dann für den Einzelmenschen gesondert voneinander vorhanden eine Schwester, eine Gemahlin, eine Base, ein Vater, ein Oheim, ein Schwiegervater, eine Mutter, eine Tante, eine Schwiegermutter; und so würde sich, nicht eng zusammengezogen über ein paar Menschen, das Band der Vergesellschaftung weiter und vielfacher schlingen in zahlreichen Verwandtschaften.

      Daran sehen wir denn, als das Menschengeschlecht wuchs und sich mehrte, auch die gottlosen Verehrer der vielen und falschen Götter festhalten, mit einer Zähigkeit, daß, selbst wenn schlechte Gesetze Ehen unter Geschwistern gestatteten, doch die gute Sitte lieber schon vor der Freiheit zurückschreckt und Schwestern zur Ehe zu nehmen, obwohl das in den ersten Zeiten des Menschengeschlechtes völlig freistand, so sehr verabscheut, als hätte es niemals freistehen können. Das Herkommen hat eben eine große Macht über das menschliche Gemüt, es anziehend oder abstoßend; und da in diesem Falle das Herkommen unmäßige Begier in Schranken hält, so gilt es mit Recht für frevelhaft, es umzustoßen oder zu verletzen. Denn wenn es schon unrecht ist, aus Habsucht die Ackergrenze zu verrücken, wieviel schlimmer dann, aus unreiner Lust die durch die Sitte geheiligte Grenze einzureißen! Bezüglich der Ehen unter Geschwisterkindern aber haben wir auch in unseren Tagen die Beobachtung gemacht, wie selten, im Hinblick auf den Verwandtschaftsgrad, der dem zwischen Geschwistern am nächsten steht, wirklich geschah, was gesetzlich doch immerhin freistand, da kein göttliches Gesetz es verwehrte und auch noch kein menschliches dagegen erlassen war[241] . Indes auch vor einer erlaubten Tat schreckte man zurück wegen der großen Nähe einer unerlaubten, und was man mit dem Geschwisterkind


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