Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

Читать онлайн книгу.

Chronik eines Weltläufers - Hans Imgram


Скачать книгу
erhalten sollte. Das war fast ein Vermögen für mich. Natürlich sagte ich zu.

      Als es so weit war, machte ich mich am Morgen auf den Weg. Da ich ja das Handwägelchen hinter mir herzog, musste ich den weiteren Weg über Penig und die Peniger Brücke nehmen und nicht den kürzeren mit dem Kahn über die Mulde. Es war schon ziemlich später Nachmittag, als ich dort bei dem Sohn unseres Nachbarn ankam. Da er sich aber noch bei der Arbeit befand, musste ich warten, bis es fast dunkel wurde. Er nahm mich mit zu seinen zukünftigen Schwiegereltern, wo auch seine Braut wohnte. Hier bekam ich zuerst ein tüchtiges Abendbrot, was ich von zu Hause in dieser Menge überhaupt nicht kannte. Ich glaube, so satt gegessen wie an diesem Abend hatte ich mich noch nie. Hier erfuhr ich auch auf meine Frage, warum dieses kleine sächsische Amerika überhaupt so hieß: Weil man diese Ansiedlung und die Fabrik nur über die Zwickauer Mulde erreichen konnte, musste man ein kleines Fährboot besteigen, das an einem Seil von einem zum anderen Ufer, also über den Teich gezogen wurde. „Über den Teich“ aber zogen damals diejenigen, die nach Amerika fuhren, also nannte man die Ansiedlung einfach „Amerika“. Ich durfte in dieser Nacht bei den Schwiegereltern unseres Nachbarsohnes, die ein eigenes kleines Häuschen besaßen, schlafen. In diesem Haus würde auch später das junge Paar wohnen. Am nächsten Morgen, nachdem ich Kaffee getrunken und zwei große Stücke Brot mit Marmelade gegessen hatte, machte ich mich mit dem Leiterwägelchen wieder auf den Rückweg. Für die braven Leute schien es selbstverständlich zu sein, mir auch noch ein belegtes Brot mit auf den Heimweg zu geben, denn der war ja für einen Schuljungen doch sehr lang und anstrengend.

      Und so war ich tatsächlich schon während meiner Schulzeit in Amerika gewesen.

      1. ERSTE NORDAMERIKA-REISE (1860-1861)

      Dienstag, 28. Februar 1860:

      An einem kalten Wintertag, es war Samstag, der 28. Januar 1860 gewesen, hatte ich meinen verschneiten Heimatort am Rande des sächsischen Erzgebirges verlassen, und genau vier Wochen später landete ich in New York.1

      Samstag, 31. März 1860:2

      Unerquickliche Verhältnisse in der Heimat, der Wunsch, meine Kenntnisse zu erweitern und meine Angehörigen besser unterstützen zu können, hatten mich über den Ozean in die Vereinigten Staaten getrieben. Ich hätte in den Oststaaten recht wohl ein gutes Unterkommen gefunden, aber es zog mich nach Westen. Bald auf diese und bald auf jene Weise für kurze Zeit tätig, verdiente ich mir so viel, dass ich heute in St. Louis ankam.

      Freitag, 20. April 1860:

      Schon zwei Tage nach meiner Ankunft in St. Louis wurde ich in einer deutschen Familie Hauslehrer. Dort verkehrte ein gewisser Mr. Henry, ein Sonderling und seines Zeichens Büchsenmacher, mit dem ich mich gut verstand. Er bastelte an einem neuen Gewehr, von dem er behauptete: „Es wird ein Stutzen, ein Mehrlader mit fünfundzwanzig Schüssen.“

      Dienstag, 15. Mai 1860:

      Heute Abend war ich wieder einmal in seiner Werkstatt. Wir diskutierten über den Zweck und die Auswirkungen eines mehrschüssigen Stutzens. Danach begann er mich nach meinen Fertigkeiten und Kenntnissen auszufragen.

      Mittwoch, 16. Mai 1860:

      Bevor heute Morgen mein Unterricht als Hauslehrer begann, prüfte er mich auf einem Schießstand und er schien mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden zu sein. Dann schleppte er mich noch zu einem Reitstall, wo ich einen Rotschimmel bändigen musste.

      Freitag, 18. Mai 1860:

      Gestern und heute Morgen vor dem Unterrichtsbeginn war ich im Reitstall, um den Rotschimmel weiter einzureiten.

      Samstag, 19. Mai 1860:

      Mr. Henry führte mich heute Nachmittag in ein Geschäft, von dem ich nur kurz die Worte ‚Office‘ und ‚Surveying‘ lesen konnte. Drei Herren empfingen uns recht freundlich und das Gespräch mit ihnen drehte sich hauptsächlich um Feldmesserei, wobei mich die drei immer wieder mit Fragen konfrontierten, die ich nach bestem Wissen und Gewissen beantwortete. Ich war ganz unbefangen und merkte nicht, dass man mich dabei einer ausgedehnten Prüfung unterzog.

      Sonntag, 3. Juni 1860:

      Zwei Wochen nach unserem sonderbaren Besuch in der Vermessungskanzlei wurde ich zu einem ‚dinner‘ eingeladen. Anwesend war auch ein Westmann, der Sam Hawkens hieß. Ich war vollkommen perplex, als man mir mitteilte, dass ich ab jetzt Surveyor, also Feldmesser, der ‚Atlantic and Pacific Company‘ sein sollte. Die neue Bahnstrecke, deren Teil-Trasse ich mit zu vermessen hatte, lag zwischen dem Quellgebiet des Red River und dem Canadian. Die drei bewährten Führer Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker sollten uns dorthin bringen.

      Montag, 4. Juni 1860:

      Als ich heute Morgen zunächst von der deutschen Familie Abschied genommen hatte, suchte ich auch noch Mr. Henry auf, von dem ich mich ebenfalls verabschiedete. Er schenkte mir den Rotschimmel und gab mir den Bärentöter als Waffe mit. Danach brachen wir in das Indianergebiet auf.

      Samstag, 1. September 1860:

      Wir standen im Anfang des September und waren bereits drei Monate in Tätigkeit. Zwischen Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker, die man nur ‚das Kleeblatt‘ nannte, und mir hatte sich ein gutes Verhältnis herausgebildet. Sam Hawkens betrachtete es außerdem als Selbstverständlichkeit, mir in meiner recht knapp bemessenen Freizeit die Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die ein ‚guter Westmann‘ haben sollte. Er wusste auch, dass ich mir von allen Messungen eine Abschrift anfertigte, die ich in einer leeren Sardinen-Büchse in meiner Brusttasche aufbewahrte.

      Sonntag, 2. September 1860:

      Es war Sonntag früh, als Mr. White, der Leiter der westlich nächsten Gruppe, in unser Lager kam. Als einer der Westmänner Streit mit mir anfangen wollte, schlug ich ihm die Faust an die Schläfe, dass er betäubt liegen blieb. Mr. White meinte: „Man sollte Euch Shatterhand nennen.“ Dieser Vorschlag schien dem kleinen Hawkens zu gefallen: „Ein Greenhorn und schon einen Kriegsnamen! Old Shatterhand!“ Sam Hawkens und ich begleiteten Mr. White dann ein Stück auf dem Heimweg. Beim Zurückreiten in unser Lager entdeckten wir eine kleine Herde Bisons. Ich musste den Leitstier erschießen, um mein Leben zu retten. Sam schoss eine Büffelkuh. Ein anderer Bulle schlitzte seinem Pferd den Leib auf, sodass wir es erschießen mussten. Wir versorgten uns mit dem nötigen Fleisch der Büffelkuh, beluden mein Pferd und gingen zu Fuß zu unserem Lager zurück.

      Montag, 3. September 1860:

      Sam Hawkens nahm mich mit auf Mustangjagd, da er ja ein neues Pferd brauchte. Wir trafen tatsächlich auf eine Mustangherde, worunter sich auch ein Maultier befand, das wir fingen. Als wir wieder ins Lager kamen, hatte man es eine beträchtliche Strecke vorgeschoben, weil während unserer Abwesenheit fleißig vermessen worden war.

      Dienstag, 4. September 1860:

      Wir verlegten unser Lager in den oberen Teil des Tals. Kurze Zeit darauf traf ich ohne Gewehr auf einen Grizzlybären, der einen unserer Westmänner zerfleischen wollte. Schnell stand ich neben ihm, holte aus und stieß ihm das Messer zweimal zwischen die Rippen. Ich hatte meinen ersten Grizzly erlegt! Kurz danach erschien ein Indianer, der sich Klekih-petra nannte und vom Stamme der Mescalero-Apatschen war. Hinzu kamen noch zwei andere Indianer, und zwar Vater und Sohn. Der Vater hieß Intschu tschuna und der Sohn Winnetou, der mit mir ungefähr im gleichen Alter stand. Intschu tschuna forderte uns auf, sofort die Messungen einzustellen und das Gebiet zu verlassen, das seinem Stamm gehöre. Er gab uns eine Antwortfrist, bis beide wieder zurück seien, um die Pferde zu holen. Ich kam mit Klekih-petra ins Gespräch, wobei ich erfuhr, dass er Deutscher war, die Heimat aber nach der Revolution 1848 hatte verlassen müssen und nun bei den Mescaleros als der Lehrer Winnetous lebte. Als Intschu tschuna und Winnetou mit den drei Pferden zurückkamen, legte der betrunkene Rattler sein Gewehr auf Winnetou an und schoss. Klekih-petra warf sich dazwischen und wurde von Rattlers Kugel tödlich getroffen. Seine letzten Worte richtete er in deutscher Sprache an mich: „Bleiben Sie bei ihm – ihm treu – mein Werk fortführen…!“ Kurz darauf war er tot. Die beiden Indianer hoben die Leiche aufs Pferd, banden sie da fest und ritten langsam davon.

      Mittwoch, 5. September 1860:

      Obwohl


Скачать книгу