Wirklichkeiten. Kurd Lasswitz

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Wirklichkeiten - Kurd Lasswitz


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ist, als das Körperliche; denn wirklich sei nur das, was wirkt oder leidet, und das kann ihrer Ansicht nach nur der Körper. Daher ist sowohl die Seele als selbst die Gottheit ein Körper, und auch alle Eigenschaften der Körper haben eine materielle Grundlage; sie gelten als körperliche Ausströmungen der Dinge. Das Zusammenwirken dieser Eigenschaften, das sie sich als eine gegenseitige Durchdringung der Körper mit ihren Ausströmungen vorstellen, denken sie sich nun vermittelt durch einen die ganze Welt durchsetzenden Lebenshauch, das »Pneuma«. Es ist dies eine warme luftartige Substanz, ein feuriger Dunst, daraus alle Dinge hervorgegangen sind, und in das sie sich einst in einem ungeheuren Weltbrande wieder auflösen werden, um diesen Prozeß bis ins Unendliche zu wiederholen. Dieser Weltäther also ist die Urkraft; aber da durch sie die gesamte Welteinrichtung zweckmäßig geordnet ist, so muß sie auch zugleich die Weltseele, die Gottheit selbst sein. Als Vernunft und als Verhängnis enthält so der Weltäther das gemeinsame Gesetz für alles Geschehen. Durch Verdichtung und Verdünnung erzeugt er die Elemente und gibt den Dingen die Spannung, den »Tonos«, die innere Intensität ihres Wesens, Lebens und Beseelung.

      Als im sogenannten Neuplatonismus, vornehmlich durch Plotinus im dritten Jahrhundert nach Christus, die Lehren Platons neues Leben gewannen, wurde nun auch die Theorie der Weltseele weiter ausgebildet. Bei Plotin beruht das ganze Dasein der Körperwelt überhaupt auf der Weltseele, die allein den Körpern die Teilnahme an der Idee, d.h. an der unendlichen Weltvernunft, und damit an der Existenz und dem Leben verleihen kann. Nicht die Seele tritt in den Körper ein, sondern sie erfüllt Universum als ein Ganzes, ohne Quantität, ohne Masse, und sie läßt den Körper in sich eintreten. Ihre Selbstbewegung ist die Zeit, und indem der Körper in die Weltseele eintritt, erhält er erst Existenz in der Zeit, er entsteht als sinnlich wahrnehmbares Wesen; sie gibt ihm das Gesetz (Logos) seines Seins in der Erfahrungswelt. Die sinnliche Erscheinungswelt hat also ihren gesetzlichen Zusammenhang in der Wechselwirkung, die als Weltseele das Leben des Universums bedingt.

      Will man diese Verbindung und Wechselwirkung der Körper im Interesse der Naturerkenntnis verwerten, so liegt es nahe, nach einer Veranschaulichung zu suchen, und dadurch wird man sich wieder der stofflichen Auffassung der Weltseele als Weltäther nähern. Diese Veranschaulichung findet sich schon in der neuplatonischen Schule selbst. Platon hatte ja bereits gelehrt, daß die Weltseele zwischen den Ideen und den sinnlichen Dingen, entsprechend dem geometrischen Gesetz, vermittle. Dieses Gesetz ist der Raum. Bei den Stoikern erfüllt die Weltseele den Raum. Nun wird der Raum mit der Weltseele selbst für identisch erklärt. Bei Proklus, im fünften Jahrhundert nach Christus, wird der Raum als ein körperliches und beseeltes Wesen betrachtet, das aus dem feinsten Lichte besteht. Das Licht zeigt ein Beispiel der gegenseitigen Durchdringlichkeit von Körpern; so scheint es begreiflich, wie die Weltseele die Körper in sich aufnehmen kann; als lichterfüllter Raum enthält sie die Materie; als lebendige Seele bewegt sie diese; als Gesetz der Wechselwirkung gestaltet sich die Materie zur Ordnung der sinnlichen Dinge. In jedem Zustand ist bereits durch das Wesen der Weltseele der folgende Zustand angelegt, die Tendenz zur Veränderung ist das Wirkliche, was den Dingen als Weltseele innewohnt. Wer nur wüßte, wie diese Tendenz im einzelnen Falle beschaffen ist! Was muß hier an dieser Stelle geschehen, in diesem, Samenkorn, damit es aufgeht, in diesem Fieberkranken? damit er gesundet, in dieser Schmelzmasse, damit sie sich in lauteres Gold verwandelt?

       Wer das wüßte, der wäre der Herr der Natur, der große Magus, der die Dinge verwandeln könnte, nicht als ein Zauberer, sondern als ein Wissender ihrer Gesetze. Jeder Zustand ist eine reale und gesetzliche Bedingung der folgenden Zustände; alle Körper stehen durch die räumlich-seelische Kraft des Weltäthers in Wechselwirkung: dieser allgemeine Gedanke ist als Bedingung einer Naturwissenschaft und Naturbeherrschung vom Altertum der Neuzeit überliefert. Aber die Vorstellung ist zu unbestimmt; daher bleibt sie phantastisch. Die Wissenschaft verlangt die Kenntnis des einzelnen, isolierten Vorgangs, die Kenntnis des quantitativen Gesetzes zur Berechnung dessen, was wirklich eintreten muß.

      Wir überspringen das Jahrtausend, dessen geistiges Leben fast durchaus vom kirchlichen Interesse erfüllt ist. Das sechzehnte Jahrhundert ist angebrochen, die großen Umwälzungen der Kulturgeschichte haben begonnen. Die Gedanken sind in ihrer Verbreitung nicht mehr beschränkt auf die handschriftliche Vervielfältigung; die Erde ist umsegelt, ihre Kugel steht nicht mehr im Mittelpunkte der Welt, und es gibt Länder, in welchen der Bannstrahl des Papsttums die neue Auffassung der Dinge nicht mehr erreicht. Die Wissenschaft kann aus ihrem Schlummer erwachen. Aber eine Naturerkenntnis gibt es noch nicht. Die Wechselwirkung der Körper ist noch nicht mathematisch gefesselt, die Weltseele feiert zunächst ihre Auferstehung als Spiritus mundi.

      Im ganzen sechzehnten Jahrhundert stellt man sich die Körperwelt als belebt vor, und diese Weltseele ist zugleich körperlicher Natur, ein Weltgeist, Spiritus, und ein Element, das den andern übergeordnet ist. Die Auffassung stimmte insoweit mit Aristoteles, als auch er eine allgemeine Lebenswärme, einen Weltäther, als fünftes Element zugelassen hatte. Diese »quinta essentia« die Quintessenz der Alchymisten, hat jetzt durch die Verschmelzung mit den stoischen und neuplatonischen Vorstellungen die Bedeutung des Prinzips aller Wechselwirkung gewonnen. Wer sie herzustellen vermag, der beherrscht die Umwandlung der Dinge; sie ist der eigentliche Stein der Weisen. Agrippa von Nettesheim († 1535) erzählt, er habe den Spiritus mundi selbst aus Gold gezogen, aber nicht mehr Gold daraus machen können, als das Gewicht des Goldes betrug, aus welchem die Quintessenz extrahiert wurde. Denn als ausgedehnte Größe kann sie nicht über ihr eigenes Maß hinaus wirksam sein.

      Dieser Versuch ist indessen bereits kennzeichnend für den jetzt erfolgenden Übergang von der Weltseele zu quantitativen Gesetzen. Agrippa mißt die Menge des aufgelösten und des aus der Lösung wieder niedergeschlagenen Goldes, und er bemerkt die Äquivalenz; die Weltseele ist hier eine extensive, mit der Wage bestimmbare Größe. Mag auch immer noch das physische Geschehen als Tätigkeit eines in den Elementen wirksamen Lebensgeistes aufgefaßt werden, dieser Lebensgeist hat doch die Vertrauen erweckende Eigenschaft, Gewicht und Ausdehnung zu besitzen. Er ist nicht mehr der phantastische Kobold, der nur der dunkeln Verschwörungsformel gehorcht, sondern es ist Hoffnung, daß ein durchsichtiges Gesetz seine Umwandlung bestimmt. Siegreich drängt sich dem Bewußtsein der Zeit die klare Überzeugung auf: Wohl mag die Natur ein Reich der Geister sein, aber diese Geister sind nichts anderes als die Gesetze, nach denen die Körper aufeinander wirken; es gibt keine Willkür im Naturgeschehen; die Natur ist erkennbar.

      Es war das große Verdienst des berühmten Arztes Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, daß er die Auffassung der Natur als einen gesetzlichen Umwandlungsprozeß zur Geltung brachte. Zwar beruht auch nach ihm die Wirksamkeit der Elemente auf den in ihnen befindlichen »Archei« oder Lebensgeistern. In jedem Elemente steckt ein »Fabrikator«, ein Arbeiter, der für uns durch den Befehl Gottes sorgt Tag und Nacht. Aber dieser Archeus soll die Gesetzmäßigkeit der Welt nicht aufheben, sondern gerade begründen. Die Archei sind nach Ansicht des Paracelsus nicht persönliche Geister, sondern Naturkräfte, die schaffenden Prinzipien oder wirkenden Kräfte in den Dingen, sie wirken nur als stoffliche Elemente. Das Sein der Dinge ist ihr Wirken. Das Leben des Wassers ist seine Flüssigkeit, das des Feuers seine Flüchtigkeit, die wesentlichen Eigenschaften der Dinge sind das, was ihr Leben ausmacht. So wird bei Paracelsus das Leben zum chemischen Prozeß, und damit bereitet er den Übergang zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch Maß und Zahl vor. An Stelle der Elemente des Aristoteles, die durch die sinnlichen Eigenschaften »Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit« definiert waren und sich somit jeder exakten Bestimmung entzogen, setzt er die unzerlegbaren Grundsubstanzen, auf welche die chemische Analyse führt. Diese kann die experimentelle Untersuchung mit Hilfe der Wage ermitteln; und so zeigt sich doch wenigstens ein Punkt, wo die Erfahrung, durch eigenes Zusehen und Probieren sich der Natur zu. bemächtigen vermag.

      Immer aber waren diese Prozesse noch zu kompliziert, als daß die damaligen Mittel der Erkenntnis einen tiefer greifenden Erfolg hätten erzielen können. Es mußten einfachere Probleme gefunden werden, um aus der Mannigfaltigkeit der sinnlichen Erfahrung Ereignisse herauszulösen, die eine mathematische Darstellung gestatteten. Dies waren die Aufgaben, welche Astronomie und Mechanik darboten; Kepler und Galilei brachten die Lösung.

      Kepler


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