Die stolze Nymphe. Ell Wendt

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Die stolze Nymphe - Ell Wendt


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Haus und Hof und allem, was darin lebte. Wenn sie daheim wüßten, daß sie dieses Zimmer gemietet hatte, um ein Stück unbebautes Land und ab und zu eine Schafherde zu sehen!

      Christine, in ihrem dünnen Hemdchen am offenen Fenster, war nahe daran, Mitleid mit sich selbst zu bekommen. Grundstücke als Ersatz für blumenbestickte Wiesen und grünende Felder! Aber dann rief sie sich zur Vernunft. Niemand würde sie hindern, eine Zeitlang nach Hause zu fahren, falls sie sich entschließen könnte, von Klaus getrennt zu sein. Das aber konnte sie keinesfalls. Wenn sie auch als vernünftiges, jedem Überschwang abgeneigtes Mädchen niemals zugegeben haben würde, daß die Welt ohne Klaus eine Wüste, mit ihm jedoch ein Paradies sei, so war es doch genau das, was sie im Grunde ihres Herzens empfand.

      Sie schloß das Fenster, zog ihr Hemdchen über den Kopf und wusch sich tapfer von Kopf bis Fuß mit kaltem Wasser. Dann schlüpfte sie in ihren Morgenrock und begab sich in die Küche, wo das Ehepaar Dirrmoser beim Frühstück saß. Der Taxibesitzer blinzelte ihr über seiner Kaffeetasse wohlwollend zu, während seine Gattin, fünfzigjährig, mit beträchtlichen Rundungen unter der Kittelschürze, sie mit einem Wortschwall empfing. Ihm war zu entnehmen, daß Frau Dirrmoser von einem Traum heimgesucht worden war, in dem eine schwarze Katze die Hauptrolle gespielt hatte.

      „Ausgerechnet a schwarze!“ klagte Frau Dirrmoser. Sie hatte im Traumbuch geblättert und herausgefunden, daß schwarze Katzen Trennung und Verlust bedeuteten.

      „Schau nur, daß di net derrennst!“ sagte sie drohend zu ihrem Gatten, eine Mahnung, die Herrn Dirrmoser zu einem zweiten Blinzeln an Christines Adresse und dem Stoßseufzer „O mei, die Weiber“ veranlaßte.

      „I bring Eahna glei Ihren Kaffee!“ verhieß Frau Dirrmoser. Sie rannte in der Küche umher und schuf Lärm und Aufruhr, wo vorher warme kaffeeduftende Behaglichkeit gewesen war.

      „Danke schön“, sagte Christine. „Und wenn ich einen Blick in die Morgenzeitung tun darf, nachdem Herr Dirrmoser sie gelesen hat!“

      „Hot scho!“ sagte Herr Dirrmoser gutmütig und schob die Zeitung über den Küchentisch Christine zu. „Vertiefens Eahna nur in den Roman, Fräulein.“

      „Es is ja gar nicht zwegn den Roman“, verwies ihm seine Frau, „a neue Stellung sucht das Fräulein Christel, gelt?“

      „Ja“, sagte Christine, die Zeitung unter den Arm geklemmt.

      „Und was is nacha mit’n Herrn Inschenieer?“ erkundigte sich Frau Dirrmoser boshaft.

      „Wieso?“ fragte Christine, obwohl sie genau wußte, wohin Frau Dirrmosers Frage zielte. Die Gattin des Taxibesitzers standKlaus und seinen Erfindungen durchaus skeptisch gegenüber. Sie war überzeugt, daß Klaus „nie nicht“ auf einen grünen Zweig gelangen würde, und versäumte nicht, Christine bei jeder Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen.

      „I moan, hot er no immer nix erfunden, auf das hin er Sie heiraten kennt?“ beharrte sie unerbittlich. Doch nun griff Herr Dirrmoser ein.

      „A Schloß sollt er derfinden, daß die Weiber’s Maul halten“, kam er Christine zu Hilfe, und sie lächelte ihm dankbar zu. Dann nahm sie das Tablett mit dem Frühstück und trug es in ihr Zimmer hinüber. Sie rückte den Rohrsessel vor den Tisch und kauerte sich mit hochgezogenen Knien hinein. Während sie eine Semmel mit Butter bestrich, überflogen ihre Augen den Anzeigenteil der Zeitung. Buchhalterin gesucht! Sekretärin, perfekt in Kurz- und Maschinenschrift! Direktrice für führende Modenwerkstatt! Schon wieder eine Sekretärin, diesmal mit Sprachkenntnissen! ,Lauter Stubenberufe‘, dachte Christine enttäuscht.

      Was wollte sie eigentlich? Sie liebte doch den Umgang mit Büchern. Sie setzte ihren Stolz darein, und es machte ihr Freude, das richtige Buch an den richtigen Menschen zu bringen. Der Einwand, daß es ihr im Winter mehr Freude mache als im Sommer, hatte natürlich nicht den geringsten Anspruch darauf, ernst genommen zu werden.

      ,Ich werde nachher bei Schellhorn hineinschauen‘, beschloß sie. Schellhorn war eine der größten Buchhandlungen der Stadt, und Mimi glaubte zu wissen, daß dort der Posten einer Gehilfin frei wurde.

      Christine faltete die Zeitung zusammen, dabei fiel ihr Blick auf eine Anzeige in Sperrdruck rechts unten in der Ecke:

      Junge selbständige Person, ge -

      scheit und tierliebend, zur Füh -

      rung eines frauenlosen Haus -

      halts tagsüber gesucht. Vorzu -

      stellen bei Sommerhoff, Waldham

      bei München, Alpenstraße 4.

      Christine las die Anzeige einmal, zweimal, Wort für Wort. Sie mußte lachen. Dies war die sonderbarste Anzeige, die ihr jemals vorgekommen war! Ein Mensch, der an Stelle von Ehrlichkeit, Fleiß, Erfahrung im Kochen und sonstigen Eigenschaften, die man gemeinhin von einer Haushälterin erwartet, Gescheitheit und Tierliebe verlangte, reizte ihre Neugier. Wer war Sommerhoff? Vielleicht ein Silberfuchszüchter oder ein Forschungsreisender, der sich Affen und allerlei exotisches Getier aus fernen Ländern mitgebracht hatte. Auf jeden Fall aber jemand, der auf dem Lande wohnte und vom Herkömmlichen abweichende. Wünsche hatte. Man könnte hingehen und sich ihn und seine Menagerie einmal ansehen, dachte Christine übermütig. Ansehen verpflichtete zu nichts. Aber während sie ihr Frühstück beendete, dachte sie darüber nach, wie weit sich die in der Anzeige geforderten Eigenschaften auf ihre Person beziehen ließen. Jung? Das war sie zweifellos. Selbständig? Nun, bisher hatte sie immer ganz ordentlich ihren Mann gestanden, wenn auch der Haushalt nicht gerade zum Tummelplatz ihrer Fähigkeiten geworden war. Immerhin hatte sie daheim während einer Krankheit der Mutter einmal eine Zeitlang gekocht, und niemand war dabei verhungert! Gescheit? Was das betraf, so kam es darauf an, was man darunter verstand. Klaus hatte sie neulich kurzerhand für dumm erklärt, weil sie sich nicht in den Punischen Kriegen auskannte. Aber es war nicht anzunehmen, daß ein Forschungsreisender ausgerechnet auf Geschichtskenntnisse erpicht war. Und tierliebend? Ja, ja und nochmals ja! Es wurde ihr ja schon warm ums Herz, wenn sie die Schafe auf dem Bauplatz weiden sah! Sie war mit Tieren aufgewachsen und liebte sie alle, die braunweißen Kühe und die schweren Ackerpferde, die Schweine, Enten und Hühner, Muschi die Katze, und Wackerl den Hofhund! Sie würde auch Herrn Sommerhoffs Tiere lieben, mochte es sich um Silberfüchse, Affen oder was sonst immer handeln! Ein Sommer auf dem Lande, und doch nicht so weit von der Stadt entfernt, daß es eine Trennung von Klaus bedeutet hätte! Der Gedanke gewann immer mehr an Reiz!

      Natürlich mußte sie mit Klaus darüber sprechen, aber ihm konnte es ja nur recht sein, wenn sie sich im Haushalt vervollkommnete. Am besten rief sie ihn gleich an und fuhr dann nachmittags nach Waldham hinaus. Dieser Entschluß bewirkte, daß sie sich mit dem Anziehen beeilte. Im Hinblick auf den Nachmittag wählte sie ihr Kostüm und eine weiße Hemdbluse. Nichts erweckt so überzeugend den Eindruck anspruchsloser Gediegenheit wie Hemdblusen. Christine fand diesen Eindruck bestätigt, als sie zum Ausgehen fertig ihr Bild ein letztes Mal im Spiegel überprüfte. Übrigens war es ein Kreuz mit dem Spiegel. Er besaß die Eigenschaft, alles, was er spiegelte, ungebührlich in die Länge zu ziehen. Vielleicht hatte gerade dieser Umstand Frau Dirrmoser zum Kauf gereizt, denn der Spiegel ließ ihre ausladenden Rundungen oval erscheinen, was ihr das Recht gab, sich vollschlank zu nennen. Christine hingegen verlieh er etwas Präraffaelitisches. Klaus, dem künstlerische Vergleiche fernlagen, behauptete, sie sehe aus wie jemand, der an Auszehrung leide.

      Wie dem auch sein mochte, Christine fand sich an diesem Morgen sogar im Dirrmoserschen Spiegel ganz in Ordnung, gut ausgeschlafen mit rosigen Wangen und blanken Augen, mit einem frischen Mund, der noch keinen Lippenstift brauchte, und mit dem hellblonden Gelock, das dicht und weich unter dem blauen Filzhut hervorquoll.

      „Auf Wiedersehen, Frau Dirrmoser!“ rief sie ins Nebenzimmer, wo ihre Wirtin die Ehebetten mit stickereibesetzten Paradekissen versah.

      „No, habns was gefunden, Fräulein Christel?“ Die Gattin des Taxibesitzers trat in die Tür, zu längerem Gedankenaustausch bereit. Aber Christine hatte schon die Korridortür geöffnet.

      „Vielleicht!“ rief sie fröhlich. Die Korridortür fiel ins Schloß und Frau Dirrmoser kehrte in einem Zustand qualvoller


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