Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen. Utta Keppler

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Katharina Keplerin - Mutter des Astronomen - Utta Keppler


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      Katharina muß lachen, aus allen trübseligen Gedanken heraus. »Herr Professor!« ruft sie hinauf, da er das Roß gezügelt hat und neben dem Wagen in Schritt fallen läßt. Sie fragt ihn, ob er denn nicht lang vor ihr abgereist und wo er aufgehalten worden sei? – Der Fuhrknecht kennt den berühmten Mann und hält.

      Frischlin erzählt, er sei auf dem Weg nach Stuttgart zum Herzog und am Vorabend in einer Kneipe hängengeblieben, unabsichtlich, aber ganz erwünscht.

      Sie lacht wieder, es wundert sie, daß der Dichter sie so vergnügt macht, wo doch alles so düster ist, wenn man’s recht ansieht. Dann fragt er, ob er ein Stück Wegs mitfahren dürfe im Wagen, er habe ja fast denselben Weg, und den Gaul könne er vorschirren, wenn sie gestatte.

      Aber so viel versteht Katharina von Wagen, Deichsel und Pferdezügel, daß man nicht einfach einen zweiten zum einzelnen Gaul anbinden kann; sie sagt ihm das, und der Fuhrmann fuchtelt aufgeregt, weil er seine Zeit eingeteilt hat und nicht so viel mit dem Gerede vertun mag.

      Frischlin gibt ihm Geld und vertraut ihm sein Pferd an, setzt sich zu Katharina in die offene Fuhre, und der Kutscher reitet hinterdrein – sie läßt es zu bei allen Bedenken.

      Frischlin nimmt die Zügel und zottelt los.

      »Ich hab’ lachen müssen, Herr Professor«, sagt sie nach einer Weile schüchtern, »und muß mich entschuldigen deswegen.«

      »Warum habt Ihr gelacht, Keplerin?« fragt er, eher belustigt als erstaunt. »Meinethalben? Hab’ ich so verwegen ausgesehen?«

      »Ja, auch. Aber Ihr habt mich vergnügt gemacht, wo ich arg traurig war.«

      Er fragt natürlich, was sie drücke; sie erzählt ihm von dem Brief und zeigt ihn vor. Frischlin hält das Pferd an, brummelt vor sich hin, als er die Unterschriften entziffert, vergleicht auch den genannten Ort und das Datum und fragt dann, ob denn der Mann, ihr Eheherr Heinrich Kepler, bei des Scherberg Truppe gewesen oder woher sie das letztemal Botschaft bezogen habe? Sein Ton ist verwirrend, spöttisch oder überlegen, meint sie, oder unsicher.

      »Nichts davon weiß ich, der Name, den Ihr da leset, ist mir neu.« Einen Augenblick denkt sie, der Dichter, der ihr die Mitfahrt aufgedrungen hat und sein Pferd nebenher vom Fuhrknecht reiten läßt, wäre ein zudringlicher Mann; derartiges Gerede ging ja um – und er wolle sie gern glauben machen, Heinrich wäre verdorben und verschollen.

      Aber als sie ihn von der Seite ansieht, ist er so breit und bieder, wie’s nur sein kann, und sie tut ihm innerlich Abbitte. –

      Im Brief – er muß zwischendurch auf die Straße achten, die jetzt abbiegt – ist von einem Leibtrabanten die Rede; er liest es ihr vor, und da fällt ihr ein, wer gemeint sein könnte … Die Nachricht käme aus Hungaria, erklärt er zwischendurch, ob ihr Mann da gewesen sei?

      »Der Vetter, Herr, der Vetter Friedrich aus Weil der Stadt, der ist elf Jahr jünger als der Heinrich, könnt’s der sein?«

      »Möglich«, murmelt der Briefleser, »sehr möglich.« Dabei schaut er wie verschlafen in den Himmel, der jetzt sonnenflimmrig blitzt und scheint, Katharina denkt erschrocken, er dichte, wäre nicht ganz bei der Sache und beim Fahren, und – wer weiß – habe vielleicht Gesichte.

      Aber sie faßt trotz ihrer Schüchternheit nach seinem Arm und fragt eindringlich: »Ist’s gar nicht der Heinrich?«

      »Scheint so – Ungarn.« Er schaut wieder in sich hinein, und sie glaubt jetzt bestimmt und fest, er habe eine Vision. Sie selber kennt das ja auch, bloß kommt’s zu ihr nur, wenn sie bedrückt und geängstigt ist, und das kann der Dichter ja nicht sein. Denn Dichter und Professoren müssen doch eigentlich immer eine nahe Beziehung zum Himmel haben und zur ewigen Glückseligkeit …

      Er fragt, ob sie auch fahren könne. Er müsse sich etwas Wichtiges aufschreiben, und sie nimmt die Zügel. Frischlin kritzelt. Ihm ist ein Vers eingefallen.

      Er sieht den Mann, als wäre er ganz nah neben ihr: Sie will ja, daß er zurückkommt: ein Drama, wahrhaftig, ein Drama oder eine Elegie, für ihn selber und vielleicht – er lächelt bitter –, vielleicht auch für sie.

      Frischlin steigt aus, er steht am Wegrand und winkt.

      Katharina wartet solang mit ihrem Wägelchen, bis der Fuhrmann mit dem Pferd antrabt; er ist bald schon neben ihr.

      Als der Mann auf den Bock steigt und Katharina die Zügel abnimmt, steht Frischlin noch immer und hält das Tier, das unruhig hin- und hertrappelt und den Kopf wirft. Es schaut mit wilden Augen auf den neuen Reiter, der am Sattel herumtastet.

      Frischlin redet ihm zu: »Das ist dir nicht recht, daß ein anderer dich jetzt wieder reiten soll, Bukephalos? Mach mir’s nicht so schwer wie dem Alexander, ich will ja kein Mazedonierkönig werden! Komm, sei ruhig, halt still – kennst mich denn nimmer, alter Leihgaul? So … spürst jetzt die kräftigen Beine? Los, trab!«

      Er beugt sich herunter und streckt Katharina die Hand hin.

      Jetzt hat das Tier den Schenkeldruck verstanden und setzt die Hufe voreinander, langsam und dann in wiegender Gangart. Frischlin ruckt sich zurecht und schiebt sich bequem in den Sattel, halb noch nach hinten gewendet, mit wehendem Bart.

      Katharina lacht, so zwiespältig ihr zumute ist und obwohl sie die gelehrten Anspielungen nicht versteht. Aber als sie hinter dem struppigen Knecht wieder im Wagen sitzt, wird ihr doch bänglich; sie winkt und winkt, auch als sie den Reiter nicht mehr sieht.

      Es ist dämmrig, es geht gegen Leonberg zu, und sie denkt auf einmal daran, wie man sie empfangen wird. »Kommt der Johannes bald heim zum Helfen?« Und wenn sie den Kopf schüttelt – »Was? Nicht? Was nützt denn das Studieren?«

      So werden sie fragen, und nur der Großvater wird ihn in Schutz nehmen, stolz auf das »Ingenium, so ihn zum Stipendiaten würdig gemacht« …

      Und was soll sie sagen vom Nutzen des Studiums? Sie weiß, was die engen Hirne im »Städtle« unter Nutzen verstehen und ahnt, was Johannes darunter versteht. Frischlin weiß es auch, obwohl er kaum davon geredet hat, aber als der Dichter neben ihr im Wagen von der »elastischen Phantasia in der Exaktheit« gesprochen, ist’s ihr wie ein junggeborenes Wesen im Flug vor Augen gekommen, ihrem mütterlichen Instinkt nicht fremd, von liebender Angst begleitet, ein Ikarus im Aufschweben … Was wird ihr Johannes finden, der so tief gräbt, unbeirrbar und planvoll? Sie sieht, schon abendmüde, Bilder und Bilder …

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