Geliebtes Heim am Berge. Lise Gast

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Geliebtes Heim am Berge - Lise Gast


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oder so wie jetzt.“

      „Im Winter hab ich wieder mehr“, tröstete Frau Jahnecke. Es tat ihr selbst leid für das Kind — das wuchs so allein zwischen all den Erwachsenen auf, hatte kränkliche, überängstliche Eltern, eine freundliche, aber doch ziemlich strenge und sehr gewissenhafte Hauslehrerin...

      „Du müßtest eine Freundin haben, Erika, weil du doch keine Geschwister hast“, sagte sie herzlich, „Reni hat immer schrecklich viel Freundinnen und Freunde. Ihr Poesiealbum ist schon voll, sie wünscht sich zum Geburtstag ein neues!“

      Sie brach ab. Renis Brief war ihr eingefallen — der klang ja nun nicht gerade übermäßig lustig. Erika konnte das natürlich nicht wissen, sie fuhr in dem leise betrübten Ton fort, der so viel schlimmer ist als Verdrossenheit und Nörgelei:

      „Ja, Reni hat’s gut! Immer mit andern Kindern zusammen sein dürfen — das denke ich mir himmlisch. Wieviel sind da immer im Heim? Fünfzig? Da muß man doch herrlich spielen können. Und der Spaß abends im Schlafsaal!“

      „Du hast doch dafür immer deine Mutter da“, sagte Frau Jahnecke leise. Erika wandte den Kopf nach ihr und sah sie an, nur einen Augenblick. Sie, ein Kind, das nur mit Erwachsenen zusammenkam, hatte eine viel feinere Witterung für die Stimmung der andern um sie her als sonst vielleicht ein zwölfjähriges Kind.

      „Bangt sich Reni nach Ihnen, Frau Jahnecke?“ fragte sie still. Die Frau antwortete nicht gleich. Sie lenkte das Pferd in einen Feldweg und ließ es in Schritt fallen, klopfte ihm den Hals. Dann schwang sie sich vom Sattel und fing Erika auf, die auch herunterrutschte.

      „Willst du hier auf mich warten, Erika? Mit dem Pallasch? Dann spring’ ich schnell über die Koppel zum Inspektor hinüber und sprech’ mit ihm, und du kannst rückzu wieder mitreiten. Willst du inzwischen Renis Brief lesen? Ich bekam ihn heute früh.“

      Sie gab ihn dem Kind und nickte ihm zu, freundlich und herzlich. Dann kroch sie durch den Koppelzaun und ging über das kurze, federnde Gras hinüber nach dem Vorwerk, wo sie die Gestalt des Inspektors erkannt hatte.

      Erika hatte den kurzen Brief sogleich überflogen. Sie sah ihn, im Gras sitzend und die Hunde, die immerfort mit ihr spielen wollten, abwehrend, noch einmal langsam durch, genau und sehr aufmerksam. Sie wußte seit vielen Jahren von Reni, es war ja klar, daß Frau Jahnecke oft mit ihr von der Tochter sprach. Gesehen hatte sie Reni noch nie, aber sie kannte alle Bilder, die Tante Mumme schickte. Als Reni sich Zöpfe wachsen ließ, wollte auch Erika welche haben und daß Renis Zöpfe hell waren wie verblaßtes Gold und ihre dunkelbraun, fast schwarz, das hatte sie oft gewurmt — sie fand nun einmal blondes Haar schöner. Frau Jahnecke tröstete sie — „Es ist Schneewittchenhaar“, hatte der Doktor einmal gesagt, als Reni ihm ein Bild von Erika zeigte, „wunderschön — bei einem Mädel wie dir hätte die Frau Königin sagen müssen: Ach hätt ich doch ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so goldig wie ein Bilderrahmen!“ Erika mußte lachen, als sie daran dachte.

      Dann aber wurde sie wieder ernst. Reni tat ihr leid, aber eigentlich war es doch ein bißchen kläglich, so zu jammern. Eine solche Pause dauerte doch wohl nicht länger als einige Tage, und dann kamen wieder neue Kinder. Und der Doktor würde ja auch einmal wiederkommen — sie konnte sich nicht vorstellen, daß man sich nach einem Erwachsenen ernstlich bangen könnte. Sie, die immerzu mit Erwachsenen zusammen und noch keinen einzigen Tag von den Eltern getrennt gewesen war ...

      Sie saß und sann. Erika hatte schon manches ausgebrütet, wenn sie so allein da hockte, die Hände um die Knie gefaltet, und ins Weite guckte. Sie fuhr zusammen, als Frau Jahnecke, auf dem weichen Boden unhörbar ausschreitend, hinter sie getreten war und ihr die Augen zuhielt. „Wer ist’s? Schwer zu raten, was?“

      „Frau Jahnecke, ich hab’ mir was ausgedacht, was Wunderschönes — aber die wunderschönen Sachen werden fast nie wirklich“, sagte sie, als sie wieder zusammen auf dem Pallasch saßen und sich vorwärts wiegen ließen, „soll ich es Ihnen verraten? Es ist etwas für meinen Geburtstag, jedenfalls wünsch’ ich es mir dazu!“

      „Ja? Dann sag’s nur, alle Wünsche kann man nicht erraten“, ermunterte Frau Jahnecke. Erika zögerte.

      „Aber bitte nicht sofort wieder nein sagen“, bat sie ängstlich, „meistens heißt es sofort nein, wenn ich mir was ausgedacht hab’!“

      „Armes Kind“, bedauerte Frau Jahnecke sie lachend und ein bißchen spottend, „bekommt keinen einzigen Wunsch erfüllt! Jetzt erst wieder die beiden Hunde, voriges Jahr das Pony ...“

      „Ja, aber drauf reiten darf ich nicht, und kutschieren auch nicht, wenigstens fast nie“, rief Erika, „und nicht mal radfahren darf ich — Vater denkt, ich fall’ runter oder komm’ unter ein Auto, und Mutter meint, ich überanstreng’ mich — hier, wo alles eben ist und nirgends ein Berg!“

      „Und keins von den Büchern, die man sich wünscht, bekommt man“, neckte Frau Jahnecke; sie wußte, daß gerade vorige Woche ein großes Bücherpaket gekommen war: Erika las viel und konnte davon nie genug bekommen.

      „Ach, Sie lachen mich ja doch bloß aus“, schmollte Erika, „nein, ich wünsch’ mir diesmal etwas ganz anderes. Was Schönes, nicht nur für mich ...“

      „Also schieß los, ich bin gespannt!“

      „Passen Sie auf: Reni müßte herkommen. Für immer, für ganz. Sie müßte immer mit in meinem Zimmer schlafen und mit mir zusammensein, beim Lernen und beim Schularbeiten machen und nachmittags, wenn wir frei haben. Und sie müßte auch ein Pony bekommen und Hunde — oder einen von meinen — und wir wären dann immer zu zweien — denn es gefällt Reni doch dort gar nicht mehr, sie schreibt doch ganz traurig. Finden Sie das nicht? Vielleicht ist die Tante Mumme gar nicht mehr nett zu ihr, es gibt doch Leute, die große Kinder nicht leiden mögen, bloß kleine. Im Dorf die Frau vom Lehrer — die war immer so nett zu mir und schenkte mir immer was, wenn ich hinkam, aber jetzt sieht sie mich gar nicht mehr an. Da hab ich die Marie gefragt, die älteste von dort, und die sagte: Mutter ist so. Die Kleinen frißt sie auf vor Liebe, aber auf uns schilt sie ...“

      „Kindskopf du“, lachte Frau Jahnecke, „ihr Großen ärgert uns eben mehr als die Kleinen!“

      „Aber wir würden Sie gar nicht ärgern, Reni und ich“, versprach Erika eifrig und mit ganz glühenden Backen — sie war sonst meist ziemlich blaß und farblos. Jetzt aber sah sie entzückend aus in ihrer Begeisterung, lebendig und munter. „Wir würden uns sicher herrlich verstehen, ach, und es müßte so wunderschön sein, nicht immer allein sein zu müssen.“

      „Ja, das wäre schön für dich“, meinte Frau Jahnecke leise. „Dir wäre es schon zu gönnen!“

      „Würden Sie denn wollen? Daß Reni wirklich ...“

      Erika vermochte gar nicht zu Ende zu sprechen, so aufgeregt war sie. Frau Jahnecke war am Ende wirklich dafür, vielleicht sprach sie sogar mit den Eltern ...

      „Können Sie nicht — ich meine, vielleicht könnten Sie mit Mutti sprechen und ihr sagen ...“

      „Ach, Kind, ich! Ich kann doch nicht zu deiner Mutter gehen und ihr sagen: Ich möchte gern, daß meine Reni herkommt und es hier wie eine Prinzessin hat. Daß sie ein Pony bekommt und zwei Hunde, ein wunderschönes rosa überzogenes Bett, vierzehn Puppen ...“

      „Frau Jahnecke, Sie machen Unsinn“, maulte Erika lachend, „außerdem hab ich nur dreizehn Puppen. Und Reni spielt doch gar nicht so gern mit Puppen, sagten Sie mal, — na ja, wenn sie auch immer Freundinnen da hat, braucht sie ja auch keine —!“ Das klang so bitter, daß Frau Jahnecke Erbarmen fühlte. Sie wurde ernst.

      „Erika, du bist doch gar nicht mehr so klein, du kannst schon vieles verstehen, was Reni noch nicht kapiert“, sagte sie freundlich. „Glaubst du nicht, daß ich Reni sehr gern hier hätte? Daß das schon immer mein heißester Wunsch war — aber manche Wünsche erfüllen sich eben nicht!“

      „Warum denn nicht? Es würde doch herrlich gehen“, meinte Erika, hartnäckig an ihrem Plan festhaltend. „Warum soll ich denn immer allein bleiben? Wenn ich schon


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