Politik – Eine Zukunft für die Zukunft. Anand Buchwald

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Politik – Eine Zukunft für die Zukunft - Anand Buchwald


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Menschen auch nie, und auch oft erst, nachdem dieser Impuls kleingemacht und verwässert wurde, öffnet sich das Bewusstsein dann ein wenig dieser Neuerung.

      Ein beschleunigtes Bewusstsein dagegen ist immer bereit, über das bereits Bekannte hinauszugehen und einen neuen Standpunkt einzunehmen. Es wird die Idee unvoreingenommen prüfen in Hinblick auf das Wissen und die Erfahrung der Vergangenheit, die Möglichkeiten der Gegenwart und das Potenzial für die zukünftige Entwicklung. Es sieht die Möglichkeiten, den Gesamtkontext, die Gefahren und die Auswüchse und wird entsprechend reagieren. Ein beschleunigtes Bewusstsein reagiert unmittelbar, weil es nicht in der Vergangenheit lebt und aus dieser heraus handelt, sondern in der Gegenwart verankert und zukunftsorientiert ist. Es ist frei beweglich und kann auf jede Entwicklung unmittelbar, spontan und angemessen reagieren. Und darum befindet es sich immer auf der Höhe seiner Zeit.

      Wenn immer mehr Menschen zu diesem neuen Bewusstsein, zu dieser Beschleunigung und diesem konstanten Fortschritt übergehen, dann wird das politisch, sozial, kulturell und wissenschaftlich zu einer Blüte führen, die etwa das Erblühen der hellenischen Kultur dagegen verblassen lässt. Mit diesem Bewusstsein, das für eine globale Wahrnehmung und Identifikation offen ist, würden Kriege, Dominanzstreben, Macht- und Verteilungskämpfe und das übliche politische Hickhack, die Revierkämpfe und das prinzipielle und obligatorische Gegeneinander der Vergangenheit angehören und unbedingter Zusammenarbeit und unbegrenztem globalem Fortschritt Platz machen.

      Um zu dem Bild des Gleichgewichts zentrifugaler und zentripetaler Kräfte zurückzukehren, bedeutet Bewusstseinsbeschleunigung zuerst einmal die Überwindung des Beharrungswillens, des Konservierungsfaktors, der dafür sorgt, dass man ein erreichtes Gleichgewicht unter allen Umständen beibehalten möchte und uns zu der Annahme verleitet, wir hätten mit der Etablierung im Erwachsenenleben unsere Entwicklung abgeschlossen und bräuchten den Rest unseres Lebens nur noch ernten. Solche Bewusstseinssysteme sind in der Regel klein, inhaltsarm, verschlossen und unbeweglich. Aber jede Ernte ist irgendwann eingebracht, und für eine neue Ernte muss man neu säen. Jedes Mal, wenn man nach innen wächst oder sich nach außen öffnet, legt man einen Samen und erntet dessen Früchte, wenn man ein neues Kräftegleichgewicht etabliert hat, das eine größere Sphäre umfasst. Das ist erst einmal ein Step-and-Go-Ablauf, der zu kleinen oder großen Entwicklungssprüngen führt, und eine gute Voraussetzung für das Einsetzen der Beschleunigungsphase. Diese bedeutet das permanente Ausbringen neuer Samenkörner, so dass immer wieder neue Körner keimen, während gleichzeitig andere wachsen, zur Blüte gelangen und Früchte tragen. Das Bewusstseinswachstum geschieht dann immer weniger sprunghaft, sondern in zunehmend kleineren aber auch einfacheren und schnelleren Schritten. Wenn man so mehr Übung bekommt, die Wachstumsprozesse besser versteht und damit auch effizienter fördern kann, wird aus der Abfolge von Sprüngen eine geschmeidige, kontinuierliche Bewegung, die in ihrer Geschwindigkeit wächst und sich als Bewusstseinsbeschleunigung manifestiert, als ein Bewusstsein, das die Dinge wahrnimmt wie sie sind, und immer bereit ist, ohne weitere Verzögerung die folgerichtigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln.

      Es gibt sogar noch eine Steigerung, wenn die Geschwindigkeit so hoch ist, dass das Bewusstsein überall gleichzeitig ist, wenn es eins ist mit der Welt, dem Universum und seinen Bewegungen. Dann ist es in der Gegenwart angekommen, überblickt diese und kann wie ein Künstler schöpferisch werden. Es hat dann die Möglichkeit, nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren, zu gestalten. Wenn man vorher von der Zukunft geträumt und mühsam versucht hat, die nötigen Weichen zu stellen, so kann man mit einem globalen, simultanen Bewusstsein der Gegenwart die Zukunft bewusst gestalten und statt in die Zukunft hineinzustolpern, in diese hineinwachsen.

      Dieses Bewusstseinswachstum ist selbst in seinen grundlegendsten Formen in der Politik kaum zu finden. Und vermutlich werden die vielversprechendsten Talente und Ideen und Entwicklungen vom politischen Leben und dem politischen Alltag mit seinen faulen und machtdominierten Kompromissen bereits im Keimlingsstadium gefressen, um die politische Mittelmäßigkeit und das politische Bewusstseinsgleichgewicht – denn es gibt nicht nur ein persönliches Bewusstseinsgleichgewicht, sondern auch ein politisches – auf niedrigem Niveau stagnieren zu lassen. Das politische Bewusstsein, das im Sein und Wirken der Politiker Ausdruck findet und das auch in den übrigen Menschen existiert, seien sie nun politisch interessiert oder nicht, hat wie ein Mensch auch einen Entitätscharakter und ist darum auch der Dynamik der zentrifugalen und zentripetalen Kräfte unterworfen. Und so wie der einzelne Mensch die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln und im Bewusstsein zu wachsen, so steht auch der Wesenheit der Politik diese Möglichkeit offen.

      Aber diesen Entitätscharakter hat nicht nur die Politik. Der Mensch und jeder andere biologische Organismus ist nur die kleinste Einheit einer Entität, sozusagen eine Zelle oder ein Organ von etwas Größerem. Die nächst größere Einheit bildet die Familie; das kann die biologische Familie sein, der man sich verbunden fühlt, oder die eigene Familie, die man selbst gründet, sei es nun eine monogame Kleinfamilie, ein Freundeskreis oder eine große polyamore Familie. Solange man sich miteinander verbunden und als Teil von einem größeren Ganzen fühlt, bildet man eine Art gemeinsamen Organismus, in dem jeder eine Aufgabe hat. Das Familienoberhaupt bildet – meist – den Kopf, andere bilden den Körper, die ausführenden Organe, das Herz... Allerdings sollte man diese Analogie nicht zu weit treiben, da jede Untereinheit prinzipiell polyfunktional ist und oft auch so agiert. Je umfangreicher eine solche Familie ist, je mehr sich die einzelnen Mitglieder mit dieser Familie identifizieren und je intensiver die Kommunikation ist, desto stärker und klarer bilden sich auch die beiden nicht-physischen Aspekte eines jeden Organismus aus: Bewusstsein und Seele, wobei man nicht den Fehler machen darf, Bewusstsein mit dem Denkwesen und seinen Vorgängen gleichzusetzen. Bewusstsein ist die vom Denken unabhängige Wahrnehmung seiner selbst, und der Charakter ist zum Teil Ausdruck des Bewusstseins. Ein weiterer – kleiner – Teil des Charakters kommt von der Interaktion mit der Umgebung, vom Versuch, sich selbst zu definieren und sich abzugrenzen, vom Verhalten der Gruppe und den Eigenheiten des Einzelnen, von den Beziehungen innerhalb der Gruppe, von Vorlieben, gemeinsamen Interessen... Den anderen, größeren Anteil an der Charakterbildung hat, neben dem Bewusstsein, die Seele. Diese ist die innere Natur eines Organismus, die Kraft, die ihn zusammenhält und ihm Individualität verleiht, sein wahres inneres Wesen, der Urgrund der Fähigkeit zu Liebe, Freude, Mut, Einheit und Zusammenarbeit.

      Nach der Familie gibt es natürlich noch größere Wesenheiten: den Clan oder Stamm, das Viertel, den Ort, die Region, die Volksgruppe, das Land, die Nation. All diese Organisationsformen haben ein Bewusstsein und eine Seele, deren wir uns ganz vage bewusst sind und deren konstituierender Bestandteil wir in gewissem Rahmen auch sind. Je nachdem, wie sehr wir uns dessen bewusst sind und wie sehr wir uns mit diesem einzelnen Organismus identifizieren und vor allem auch in diesen einbringen, bildet sich auch dessen Charakter, dessen Bewusstsein und Seele aus, basierend zum Teil auch auf dessen Vergangenheit und Geschichte, zum Teil auf seiner Gegenwart und viel zu wenig auf seiner Zukunftsorientiertheit. Die Qualität, mit der sich die Mitglieder eines solchen Organismus in diesen einbringen, und die bewusste oder unbewusste Identifikation mit ihm bestimmen seinen Charakter, den Grad seiner Bewusstheit und Individualisierung und die Stärke und Formung seiner Seele.

      Das Bewusstsein, vor allem, wenn es nicht sehr weit entwickelt ist und keinen oder nur einen schwachen Kontakt zu seiner Seele hat, neigt dazu, sich abzugrenzen und sich zu etwas Besonderem hochzustilisieren, denn in diesem Stadium ist es verletzlich und seiner selbst nicht sicher. Die Folge ist ein pubertäres Verhalten: ein Hervorheben der eigenen Werte, ein Kleinmachen von anderen und pöbeln und stänkern, und auf der Ebene der Nation entsteht daraus natürlich der Nationalismus mit seinen Auswüchsen.

      Dieser ist in gewissem Rahmen durchaus nützlich, wird aber meist völlig überzogen ausgelebt. Nützlich ist er insofern, als er hilft, den Charakter, das Bewusstsein und die Seele einer Nation auszuformen und zu individualisieren – wenn man dabei in der Lage ist, die wahren Werte einer Nation herauszuarbeiten. Aber dies geschieht meist auf sehr harte, ausschließliche, egoistische und konservierende Weise. Das heißt, es wird einmal festgelegt, wie der Charakter zu sein hat, und dann wird alles dafür getan, dass es auch so bleibt oder wird. Doch dabei ist der Wert dieses Bildes eher zweitrangig. Und wenn dann noch versucht wird, dieses Bild mit Gewalt durchzusetzen, dann entsteht daraus blinder, dummer und ausgrenzender Nationalismus.

      Aber


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