Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz
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Rudolf Stratz
Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes
Saga
Frauenlob. Der Roman eines jungen MannesCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1926, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507254
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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I.
Es ist nicht im Geringsten meine Absicht, mich in die Händel zwischen dem Kaiser Napoleon und dem Herrn von Bismarck zu mischen!“ sagte der kleine aus dem eben eingelaufenen Zug gestiegene Herr in einem reinen Hochdeutsch zu dem Gensdarmen, der ihn auf dem Heidelberger Bahnhof jetzt — in den Kriegs-Sommertagen von 1870 — nach Zweck und Ziel seiner Reise fragte. „Ich bin Ausländer. Ich bin russischer Untertan. Als ich im Juli Odessa verliess, um in Geschäften ins Ausland zu reisen, war der politische Himmel noch unbewölkt. In Frankfurt überraschte mich vor vier Wochen dieser unglückliche Krieg. Ich eile jetzt, dass ich mit meiner Frau und meiner Tochter hier in die Schweiz komme. Wenn ich unterwegs hier in Heidelberg noch über Nacht Aufenthalt nehme, so geschieht das rein nur in bestimmten Familien-Angelegenheiten.“
Der alte Deutschrusse öffnete die Rocknöpfe seines tadellosen, silbergrauen Wiener Sommeranzugs. Er knöpfte auch die blütenweisse Piqué-Weste auf. Er entnahm ihrer Innentasche einen Reisepass, klemmte sich den goldenen Zwicker bedächtig in das feingefurchte, von einem gepflegten kurzen Graubart umrahmte Gesicht, blätterte den Pass auf und reichte ihn dem Gensdarmen auf dem Main-Neckar-Bahnhof in Heidelberg.
„Ich bin der Kaufmann Erster Gilde und Erbliche Ehrenbürger Otto Gebauer aus Odessa. Und dies hier meine Frau Melanie, geborene Malbasá, auch aus Odessa, und meine dort geborene Tochter Katja!“ erläuterte er. Ein feiner Hauch von Kölnisch-Wasser, einer Havannah-Zigarre, tadellos frischer Wäsche ging von ihm aus. Um die beiden Damen hinter ihm wehte der Duftkreis eines starken, fremdartigen Parfüms. Etwas unbestimmt Ausländisches in Haltung und Gesichtsausdruck umgab wie eine Mauer die dreiköpfige Familie. Otto Gebauer fuhr fort:
„Mein Schwestersohn, ein junger Mensch von sechzehn Jahren, ebenfalls russischer Untertan, und aus Odessa stammend, befindet sich seit einigen Jahren hier in Heidelberg bei dem Gymnasialprofessor Ritter in Pension. Mein Neffe ist Waise. Sein Vater — auch Grosskaufmann und Ehrenbürger — und seine Mutter sind tot. Ich bin sein Vormund. Dies. der Grund meiner Anwesenheit hier. Ich will den jungen Mann schleunigst mit mir in die Schweiz nehmen, ehe die Franzosen womöglich über den Rhein kommen und Heidelberg besetzen!“
Der kleine Herr sagte das trocken, in der leisen, langsamen und nachdrücklichen Sprache eines gebietenden Finanzmanns. Der Gensdarm sah ihn wortlos an wie einen Verrückten. Ein dicker Dienstmann blieb mit offenem Mund stehen.
„Was hot der do g’sächt?“ schrie er. „Die Franzose üwwern Rhein? . . .?“
„Hebet ’en!“ riet ein verrusster Eisenbahn-Arbeiter, den Hammer zum Beklopfen der Räder in der Hand.
„Sagen Sie das nicht noch ’mal!“ Ein junges Mädchen stellte seinen Korb mit Liebesgaben hin und sprang, halb weinend vor Zorn, mit geballten Fäusten vor Otto Gebauer. „Es kommt kein Turko ’rüber! . . Es kommt keine Mitrailleus rüber! Dafür bin ich Ihnen gut!“
„Ja . . . Ich meinte ja nur . . .“ Der alte Odessaer Kaufherr sah sich vorsichtig beschwichtigend im Kreise um. Ihn verblüffte immer wieder diese lodernde Stimmung in Deutschland, das er von früher als so phlegmatisch und liebevoll gegen alles Fremde kannte. Hier auf dem Rhein-Neckar-Bahnhof, wo er von Frankfurt angekommen, verlief sich der Schwarm der Reisenden. Aber gegenüber, zwischen den roten Sandstein-Arkaden und Mauern des Odenwald-Bahnhofs wogte es unter dem tiefblauen Sonnenhimmel kornblumblau von bayrischen Uniformen und darüber dem Gewimmel schwarzer Raupenhelme, und wirbelte ein Taubengeflatter weisser Taschentücher um die aus dem schwarzen Tunnelschlund in die grüne Rheinebene hinausdampfenden Truppenzüge, und klang in Jauchzen und Jubel auf den Bahnsteigen und aus den blaugefüllten Wagenfenstern wieder und wieder durch das Rollen der Räder der Sang, den Deutschland in diesen Tagen immer und überall sang — bei Tag und Nacht vom Belt bis zum Bodensee: Fest steht und freu die Wacht — die Wacht am Rhein . . .
Otto Gebauer schaute zurück zu dem Häusergewirr Alt-Heidelbergs, das sich zwischen Neckar und Königstuhl schmiegte. Feierlich-riesenhaft, in der Nachmittagsonne in rotem warmen Leben aus Waldgrün leuchtend, stand mit seinen Palastruinen das von den Franzosen zerstörte Schloss unter dem blauen Himmel des 2. September 1870.
„Das Volk ist hier noch aufgeregter als in Frankfurt, Melanie!“ sagte der kleine, ausländische Kaufherr kühl, ohne Teilnahme an dem Geschehen um ihn, zu seiner Gattin. Frau Gebauer — die geborene Malbasá — stand hinter ihm — das Schosshündchen unter dem einen Arm, mit dem anderen das langgestielte Lorgnett vor den Augen. Deren Brauen waren geschwärzt, das einst schöne, nun im Verblühtsein leere, runde Gesicht so weissgepudert, dass nur die grossen Augen der Levantinerin dunkel herauslächelten und der Anflug von Schnurrbart auf der Oberlippe unter der Reismehlschicht verschwand. Sie zupfte sich entrüstet, mit dem anspruchsvollen Auftreten einer Frau aus den ersten Kreisen der Odessaer Finanzwelt, den geblümten Kaschmirschal um die Schulter zurecht und versetzte mit tiefer, voller Stimme — kurzatmig — denn sie war umfangreich und dabei nach der Vorschrift der Mode bis zum Ersticken geschnürt:
„Ah — c’est embêtant, mon ami! Cela ne va pas à la longue!“
„Um Gotteswillen, Mama — sprich hier nicht französisch!“ Katja, die 22jährige Tochter, bog warnend die schlanke, enge Taille aus der weissen, violettgestreiften, noch krinolinenartigen Wölbung des in den Hüften weit ausladenden Glockenrocks, in dem sie, schlank, frisch und lang — ein Kopf grösser als die Eltern, wie in einem Tonnenreifen stak, und hob lebhaft die weissen Hänge-Ärmel. Ihr schönes, längliches Gesicht zeigte, wie schön die Mutter einst gewesen. Aber es war schmaler — ganz anders geistig belebt. Glänzende dunkle Augen lächelten über einem lebensneugierigen, halb offenen Mund und einer geraden regelmässigen Nase. Die Gesichtsfarbe war bräunlich, in der Blutmischung von Deutschtum und Mittelmeer.
Sie schüttelte mit dem Ungestüm der verwöhnten einzigen Erbtochter den jungen Kopf, dass die langen, unregelmässig um die Ohren baumelnden Ringellocken flogen. Die Hauptmasse des reichen dunklen Haars war nach rückwärts zu einem Chignon geballt. Von dem Hinterkopf her sass ein kleiner lackierter Matrosenhut aus weissem Wachstuch schief nach vorn in die glatte Mädchenstirn gerügt. Die krauste sich bei ihrer wiederholten Warnung:
„So gib doch schon Acht, Mama!“
Aber Madame Melanie Gebauer verachtete von Russland her das Volk — Muschiks — Iswoschtschiks — Arteltschiks — Schwerarbeiter. Diese Leute waren Luft. Sie begann laut und ungeniert, sich erhitzt fächelnd:
,,Ah! plût à Dieu, que ce petit Sacha soit chez soi . . .“
„Mama wird nicht ruhen, bis wir hier noch alle zusammen Haue kriegen!“ sagte das schöne Mädchen zu ihrem Vater — halb lachend — halb unruhig — aber doch in der Haltung einer Dame der grossen, osteuropäischen Welt. Und zugleich ging es schon los:
„Was bawwelt die do auf französisch — die dicke Madam!“
„Ob Sie gleich’s Maul halte . .“
„Die g’hört kriegsgefange!“ verkündete ein Bengel.
„Stellt sich die alti Maschin do hin und parliert druff los!“
„Hülfe!“ ächzte Madame Gebauer. Sie sprach, aus der reichen Griechenkolonie Odessa’s stammend, schlechter deutsch als ihr Mann und ihre Tochter. „Hülfe!“
„Still, Ihr Männer! Als norr kalt Blut!“
Ein vierschrötiger,