Kulturkampf im Klassenzimmer. Susanne Wiesinger
Читать онлайн книгу.wollten, sie hassten und sie immer mehr auch aktiv bekämpfen wollten. So wie die Charlie-Hebdo-Terroristen, die genau deswegen von ihnen bewundert wurden.
Die Anschläge von Paris waren bei uns in der Schule noch sehr lange Thema. Im Lehrerzimmer diskutierten wir intensiv und emotional miteinander, besonders über die Reaktionen unserer Schüler. Sosehr alle über die ausdrücklichen Sympathiebekundungen entsetzt waren, wirklich überrascht war niemand. Die Veränderungen in den Jahren zuvor waren zu offensichtlich. Viele muslimische Schüler und deren Eltern hatten eine immer fundamentalistischere und radikalere Richtung eingeschlagen.
Viele meiner Kollegen hatten die Veränderung auch gespürt, wagten dennoch nicht offen darüber zu sprechen. Bis heute scheuen sich viele Lehrer, Kritik am Islam zu üben. Der Grund des Schweigens liegt in einer Verwechslung von Akzeptanz und Toleranz sowie der Sorge, als überfordert und islamophob diffamiert zu werden.
Dabei sind die Hinweise auf diesen religiösen Wandel nicht zu übersehen. Viele unserer Schüler entglitten uns zunehmend in die Welt des Glaubens. Wir konnten sie dorthin nicht begleiten. Zurückhalten konnten wir sie auch nicht. Die Gräben zwischen uns wurden größer, und wir kamen immer weniger zu ihnen durch. Jeder weitere islamistische Terroranschlag erhärtete den Verdacht: Immer mehr muslimische Schüler haben Verständnis für diese Gräueltaten. Die Sympathien für die Attentäter sind stärker als das Mitleid mit den Opfern.
Lehrer und Schüler leben in zwei völlig verschiedenen Welten, die nicht miteinander vereinbar sind. Und wir Lehrer haben das akzeptiert. Was bleibt uns anderes übrig? Wir haben nicht mehr die Kraft, gegen dieses religiöse Gedankengut unserer Schüler anzukämpfen. Es ist zu stark. Wir sind zu schwach.
Der Stadtschulrat (SSR) für Wien machte sich offenbar zum Zeitpunkt der Pariser Anschläge noch keine großen Sorgen über die Radikalisierung junger Muslime in Österreich. Frankreich sei ein anderes Land mit einer anderen Geschichte und zum Glück nicht einmal ein Nachbarland Österreichs. Bei uns schien, zumindest für den SSR und die Wiener Stadtpolitik, Integration zu funktionieren. Natürlich gab es Beispiele gelungener Integration. Man konzentrierte sich allerdings nur auf diese und übersah dabei die immer größer werdenden Brennpunkte. Als Sozialdemokratin war auch ich jahrelang davon überzeugt gewesen, dass Integration in jedem Fall gelingen müsste. Es braucht nur genügend Ressourcen und die Akzeptanz der österreichischen Mehrheitsgesellschaft. Diese Einschätzung teile ich heute nicht mehr. Schon damals sprach ich meinen Dienstgeber und die Lehrergewerkschaft auf das Thema „Politischer Islam in der Schule“ an. Bei beiden stieß ich über Jahre auf Unverständnis und Desinteresse. Oft auch auf Kritik und Ablehnung.
Nachdem sich die Anschläge in Europa, wie auch die Vorfälle mit radikalisierten Jugendlichen an Schulen gehäuft hatten, fanden dann schließlich doch einige Veranstaltungen zur Deradikalisierung an Schulen statt. Ich war mit keiner wirklich zufrieden. Die vortragenden Referenten vermittelten mir stets den Eindruck, das Problem nicht verstanden zu haben: „Ändert euch und akzeptiert die Welt, in der eure Schüler leben, wie sie ist. Dann wird Integration gelingen.“ Eine realitätsfernere und naivere Meinung konnte man nicht haben. Ich sollte akzeptieren, dass diese Jugendlichen die religiösen Gesetze unseren weltlichen vorziehen? Ich sollte mich damit abfinden, dass Mädchen nicht schwimmen gehen dürfen und mit Einsetzen ihrer Periode in einer Moschee nach einem passenden Ehemann gesucht wird? Ich sollte zusehen, wie muslimischen Schülern unser kulturelles Leben vorenthalten wird, weil es in den Augen ihrer Eltern harām (religiös verboten) ist?
Einwände vonseiten der Lehrer, die Probleme bei der Integration könnten auch an den Familien und muslimischen Communitys liegen, wurden mit der moralischen Überlegenheit der Vortragenden weggewischt. „Lehrer müssen mehr Selbstreflexion betreiben. Die Türken sind ein stolzes Volk. Das Fasten im Ramadan ist wichtig für Muslime.“ Derartige Aussagen veranlassten mich, bei den Deradikalisierungs-Experten in unseren Seminaren nicht unbedingt Verständnis zu erwarten. Also versuchte ich mein Glück im privaten Umfeld.
Doch auch meine Freunde und Bekannten, allesamt bürgerliche Linke, zeigten wenig Interesse an diesen Entwicklungen. Sie wollten nicht glauben, was ich ihnen erzählte. Ich versuchte in einigen Gesprächen zu erklären, dass muslimische Schüler nicht nur im Internet, sondern sehr wohl auch in ihren konservativen Moscheen und Verbänden bei uns in Österreich radikalisiert werden. Diese Gespräche über Integrationsprobleme führten meist zu Vergleichen mit der katholischen Kirche oder zu positiven Berichten über Reisen durch muslimische Länder, natürlich aus der Jugendzeit. Der beste Beweis für gelungene Integration war dann letztendlich der Brunnenmarkt in Wien, ein türkischer Straßenmarkt, wo man so schön Kaffee trinken und billig einkaufen kann. Angesichts dieser Ignoranz zog ich mich auch im privaten Umfeld immer weiter zurück. Bis heute ist es mir unverständlich, warum Linke den konservativen Islam verteidigen. Jahrelang haben dieselben Linken die katholische Kirche – zu Recht – kritisiert und ihre Anhänger abfällig als „Kerzlschlucker“ bezeichnet.
Als Ansprechpartner für meine Schulprobleme blieben nur noch Familienmitglieder und engste Freunde. Am nächsten waren mir aber immer meine Lehrerkollegen. Nur sie verstanden, was wirklich an Brennpunktschulen passiert. Nur sie bekamen mit, unter welchem furchtbaren Druck viele unserer muslimischen Schüler stehen und wie zerrissen sie sind. Nur mit meinen Kollegen konnte ich auch die schlimmsten Ereignisse besprechen; manchmal zynisch und desillusioniert. Lange Zeit hielt ich mich an die Vorgabe des Dienstgebers und sprach in der Öffentlichkeit nicht über die Probleme an Wiener Schulen. Die Amtsverschwiegenheit schob ich ehrlich gesagt nur vor. Der Hauptgrund war die Sorge, in die Nähe von rechtskonservativen Parteien gerückt zu werden. Einerseits entspricht das nicht meiner politischen Haltung. Andererseits könnte das zusätzliche Isolation im beruflichen wie im privaten Leben bedeuten. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Also schwieg auch ich lange Zeit.
Mein gesamtes Erwachsenenleben stand ich dem linken Rand der Sozialdemokratie nahe. Ich empfand die Aussicht, in die Nähe einer rechten Partei gerückt zu werden, als bedrohlich. Und so besprach ich Probleme nur mehr mit Kollegen, die mit ähnlichen Situationen an ihren Schulen konfrontiert waren. Wir diskutierten zum Beispiel die Motivation von Schülern, Wildschweine zu quälen und zu töten und die verharmlosende Reaktion ihrer Eltern. Wir unterhielten uns darüber, warum unsere Schüler den Ehrenmord an einer afghanischen Schülerin verteidigten, und warum Mädchen meinten, ihre Familie müsste sie töten, wenn sie einen Christen heiraten. Natürlich suchte ich in vielen Fällen auch das Gespräch mit meinem Dienstgeber. Leider nur mit geringem Erfolg. Dies machte die Arbeit mit vielen unserer Schüler nicht unbedingt einfacher.
Als ÖVP und FPÖ im Dezember 2017 an die Regierung kamen, wurde der Druck des Stadtschulrats, der Gewerkschaft, und auch der moralische Druck des privaten Umfelds, nicht über Integrationsprobleme – schon gar nicht von Flüchtlingskindern – zu sprechen, noch einmal erhöht. Meine Frustration darüber war, ehrlich gesagt, manchmal größer als jene über die neue Regierung.
Anfang Jänner 2018 ging ich zur Abschlusskundgebung der großen Demonstration gegen die neue türkis-blaue Regierung auf dem Heldenplatz in Wien. Als Sozialdemokratin kritisierte ich den geplanten Abbau im Sozialsystem, das war meine Hauptmotivation hinzugehen. Ich lauschte einer Rednerin, die uns Demonstranten aufforderte, unsere Körper schützend vor alle Moscheen zu werfen. Tosender Applaus um mich herum! Frauen mit netten Transparenten riefen spontan: „Wir werden Kopftuch tragen!“
Ich war in diesem Moment wie erstarrt und fühlte mich wirklich einsam. Ich musste die Demo fluchtartig verlassen. Natürlich darf kein Mensch aufgrund seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert werden. Meine Gedanken waren aber auch: Würden diese jubelnden Demonstrantinnen ihre Körper auch vor Moscheen werfen, mit deren Hilfe meinen Schülerinnen ein Ehemann vermittelt wird? Werfen sie den Körper auch vor jene Moscheen, die den Koran über unsere Verfassung stellen, die unsere Jugendlichen daran hindern, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren? Wirft eigentlich irgendjemand von diesen aufgeklärten und toleranten Linken seinen Körper vor ein Mädchen, dem mit Mord gedroht wird, wenn es aus starren patriarchalen Familienverhältnissen ausbrechen will?
Die Ignoranz der Sozialdemokraten in meinem beruflichen Umfeld gegenüber Problemen mit muslimischen Schülern sehe ich rein pragmatisch: Sie wollen wiedergewählt werden und ihre Posten behalten. Deswegen