Charlotte von Schiller. Utta Keppler

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Charlotte von Schiller - Utta Keppler


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war er ihr Gast, ein unermüdlich schreibender, eingemauert von Bücherbergen und monatelang von ihrer Hilfe abhängig gewesen. Damals, so wußte man, war der „Don Carlos“ entstanden.

      Man nahm sich Zeit – Frau von Wolzogen zeigte ihren Gästen bei bequemen Wagenfahrten Stuttgart und seine Umgebung, die Filderhöhen und das Neckartal, lauter harmonische Eindrücke, fast zu harmonisch für die leicht gereizten Nerven Karolines, die ein paarmal mit betontem Stöhnen auf Beulwitzens banale Bemerkungen reagierte; heiter und dankbar aufgenommen von Lotte, der ein lieblich-sanft geschwungener Bergrücken, schimmerndes Licht im Fluß, Weinberge im Abendglanz kleine dichterische Anwandlungen verschafften, die sie – ihrem Alter entsprechend – erfreut registrierte und abends im Gastbett als etwas epigonenhafte Reime zu Papier brachte.

      Den Besuch der berühmten Hohen Carlsschule mochten sich die Damen nicht versagen. Er gehörte, vom Herzog empfohlen, für gebildete Gäste sozusagen zum obligaten Programm.

      Lotte hatte später, wohl doch unter dem Eindruck von Schillers Erzählungen, über den bedrückenden Anblick berichtet, den die reihenweise aufmarschierten Burschen, die auf Befehl und im gleichen Rhythmus beteten und ähnlich abgezirkelt aßen, im Speisesaal der „Hohen Schule“ gemacht hatten: Uniformiert, mit exakt gedrehten Zöpfen, mußten sie gleichsam täglich die unentrinnbare Autorität ihres Brotherrn spüren, der ihnen bei festlicher Gelegenheit als gütiger Mäzen vorgeführt Wurde.

      „Meine Söhne“ – das war freilich nicht nur eine vertrauenheischende Floskel, sondern traf die Wahrheit in einigen Fällen genau: Carl hatte in seiner geliebten und gepflegten Anstalt wirklich etliche seiner „Nebensöhne“, und einige, wie der Herr von Ostheim, wurden von Lehrern und Aufsehern wahrscheinlich mit mehr Nachsicht behandelt als etwa der Eleve Schiller, der „nur“ der Sohn des Feldschers Caspar war.

      Der hatte es freilich durch seine zähe Tüchtigkeit schließlich bis zum Hauptmann, sogar am Ende zum Major gebracht, und das war gewiß ein seltener Fall, da das Offizierkorps sich fast nur aus dem Adel rekrutierte, eine Regel, die sich lang wirksam hielt und noch über hundert Jahre hin galt.

      Frau von Wolzogen hatte den Besuch bei den Eltern ihres Bauerbacher Schützlings angemeldet. Man fand die Schillers auf der Solitude und plauderte, ein wenig gehemmt wohl, auch mit der Schwester Christophine, die Lottes hübsches „blaues Jäckelchen“ bewunderte.

      Elisabeth Dorothea Schillerin, die geborene Kodweiß, Wirts- und Bürgermeisterstochter, war eine geduldige, gütige Frau, bescheiden und gescheit und mit ein bißchen schelmischem Humor, den sie wohl neben dem knorrigen Mann nötig hatte.

      Der Vater Caspar hatte sich durch schwere Jahre in Feldzügen und Seuchenzeiten durchgeschlagen, hatte seine wache, „vorspringende“ Intelligenz, seine geistige Neugier dabei kaum befriedigen können, aber, oft genug todmüde, nach dem bitteren gefährlichen Dienst noch gelesen und gelernt. Nur als Feldscher durfte er ein Weniges von der Sehnsucht nach medizinischem Wissen, physiologischen und anatomischen Zusammenhängen stillen.

      Er sah gewiß auch Ungerechtigkeiten und Übergriffe, nahm Anstoß an dem – wie er es nannte – „Lotterleben des Hofes“, aber seine militärische Disziplin und seine Ehrfurcht vor der gottgegebenen Obrigkeit hielten jede obstinate Regung im Zaum. Seine Vorstellung von Korrektheit und Ordnung nahm ihm auch jedes Verständnis für das großzügige Schuldenmachen des genialen Sohnes.

      Daß Dalberg Friedrich Schiller zum Theaterdichter „ernannte“, daß er gegen die Verpflichtung, jährlich drei Stücke zu liefern, ein festes Gehalt bekommen sollte – davon hielt der Vater Schiller nicht sehr viel.

      „Fiesko“ hatte – nach anfänglicher Ablehnung wegen Schillers schwäbisch gefärbter Sprache beim ersten Vorlesen – endlich in Mannheim Erfolg gehabt, aber der hielt nicht lange vor.

      Und die Schauspieler nahmen lieber die eingängigen Rollen in Ifflands Stücken an als die psychologisch anspruchsvollen des jungen Dichters, in die man sich versenken und einarbeiten mußte, ohne die herkömmlichen, üblichen Töne anzuschlagen – Pathos, Sentiment, billige Gefühlseffekte, die das wenig kritische Publikum zu Beifallstürmen und Tränenbächen rührten.

      Das alles und die pietistisch getönte Abneigung gegen das Theater als „Tummelplatz lasterhafter Bohemiens“, wie Caspar Schiller es sah, ließen ihn brummig und verlegen, wenn auch mit zurückhaltender Höflichkeit auf die Fragen nach dem Sohn antworten.

      In der bescheidenen Stube – ein Tisch, Sessel, Stühle, eine eingelegte Kommode und ein Spiegelschrank – saß man eine Weile und trank Kaffee, den Elisabeth Dorothea aus der Küche hereintrug: Eine bauchige bemalte Kanne, Goldrand tassen, dazu Hefegebäck – man war ja angemeldet gewesen.

      „Ja, der Fritz …“

      Die „Räuber“ hat man gesehen – die Zuschauer haben geschrien und geschluchzt. Es ist eine neue Art von Theater, die da gespielt wird, und doch sind’s die alten theatralischen Effekte – der schwarze und der weiße Sohn und der verhungernde Vater.

      Aber da ist eine Wandlung, Erklärung, Auffaltung des „guten“ Carl, der auf einmal zum Räuber und Mörder wird und doch edel bleibt –

      „Versteh’s, wer’s kann!“ … –, Caspar Schiller schüttelte den Kopf.

      „Warum er den Braven ,Carl‘ heißt – wie unseren Souverain?“ wollte die Mutter wissen.

      „Und ,Franz den Schurken?“ fragte Lotte dagegen.

      „Ob da die katholische Kirche nicht beleidigt ist? Franz klingt katholisch.“

      „Die wär’s noch mehr mit den wilden Szenen …: das Nonnenkloster …, und im ,Carlos’ erst …“

      „Man sagt, der echte Carlos sei mit Folter und Hunger zum Wahnsinn getrieben worden und nach einer Woche im Kerker gestorben …“, wußte Caspar.

      „Und die ,Räuber’? Ist die Geschichte irgend einmal so geschehen?“ fragte jetzt Karoline.

      „Die hätt’ er vom Schubart“, sagte die Mutter aus ihrer Ecke, wo sie neue Milch eingoß.

      „Und Schubart? Der Gefangene vom Asperg? Seit sieben Jahren gefangen?“ fragte jetzt Beulwitz, der seither geschwiegen hatte.

      Man beschloß dann, einen Besuch auf dem „Tränenund Aschenberg“ einzuplanen. Der Vater Schiller wollte das vermitteln.

      An einem Morgen, der mit leichtem Sprühregen alles grüner und blitzender machte und den hellgrauen Himmel wie ein silbrig durchschienenes Schleiertuch darüberbreitete, fuhren die Töchter mit der chère mère den ansteigenden Asperg hinauf; Beulwitz hatte sich entschuldigt.

      Droben der düstere Durchgang zwischen dem fast schwarzen Mauerwerk, Eingang in die hingestreckte, lastend getürmte Festung.

      Schubart hatte oft Besuch, sogar die Carlsschüler kamen herauf, vom Herzog geduldet, der den berühmten Gefangenen gern als Beispiel eines unbotmäßigen Untertanen vorwies, als abschreckendes Exempel dafür, wie man „so einen“ strafte.

      Der Kommandant führte die Damen auf den Wällen herum – ach, ein schöner weiter Talblick, den Schubart in Versen gefeiert hatte.

      Lotte ergriff die Vorstellung, daß ein Dichter ohne Möglichkeit des Widerhalls, ohne Wirkung auf seine Zeitgenossen, isoliert und der Stimme beraubt leben müßte; der Kommandant versäumte freilich nicht, mit dem Schauobjekt seiner Festung, dem Dichter, zugleich seine geduldige und tolerante Aufsicht zu demonstrieren – Schubart hatte 1783 und das folgende Jahr schon lange die Erlaubnis, „auf den Wällen zu ambulieren“, Klavierstunden zu geben, mit vielen Bekannten zu korrespondieren – er war, so verstand es Carl Eugen, nur noch in leichter Haft, um „sein unmäßiges Feuer zu dämpfen“, wie der Herzog das in Schillers Carlsschultagen ausgedrückt hatte; damals hatte er freilich Schiller gemeint.

      Was die gescheite Franziska, die Gefährtin des Herzogs, ihrem Carl immer wieder vorstellte, bedachte der nicht: Daß er den aufbrausenden Rebellen damit – trotz aller humanen Versorgung – zum Märtyrer machte und mithalf, das geheiligte Gebäude


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