Ein genialer Rebell - Christian Friedrich Daniel Schubart 1730-1791. Utta Keppler
Читать онлайн книгу.Mutter, Friedrichs kluger Schwester Wilhelmine, mitgebracht. Aber es fehlte ihr der Humor, die Weite und Reife, um den neuen Forderungen gewachsen zu sein; sie war zu jung, um, wie Maria Theresia, keinerlei Ansprüche an die Treue ihres Gemahls zu stellen und ihn trotzdem zu lieben, zu hochmütig, um ihr bäuerlich gutherziges Volk zu verstehen, und bald auch zu verstört, um zu alledem auch nur den guten Willen aufzubringen.
Ihr erstes Kind, eine kleine Tochter, starb nach einem Jahr; Carl ritt, jagte, tanzte und feierte, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen. Balletteusen und Sängerinnen, primitive, oft nur in ihrem Fach tüchtige Geschöpfe, waren seine wechselnden Gefährtinnen. Die fähigen Minister verabschiedete er schnell; um sich als selbständiger Herrscher zu bestätigen, ließ er unbewährte Berater Einfluß gewinnen, Kreaturen, die ihm geschickt schöntaten, zwielichtige Figuren, die ihn ausnutzten und immer mehr Ausgaben verlangten, denn es sei, so legte man ihm nahe, seine Aufgabe, den glanzvollsten Hof Europens zu präsentieren. Nur der Ruhm einzigartiger Berühmtheiten könnte diese Pracht verleihen. Unsummen brachte das Land auf, erpreßten die Werber und Finanziers, um die unübersehbare Fülle von Festen und Genüssen zu bezahlen.
Ein paarmal war Friederike, die sonst gern an Opern- und Theaterabenden teilnahm, verbittert zu ihren markgräflichen Eltern gefahren; aber sie kam immer wieder, gebeten oder gemahnt und mit Rücksicht auf den Klatsch der Höfe, kaum mehr Carl zuliebe. Dann floh sie endgültig und kam nie mehr zurück.
Christians Vater stammte aus Altdorf, der berühmten Hochschulstadt bei Nürnberg, in der auch Wallenstein studiert hatte und die später Erlangen hieß. Er bestimmte seinen Sohn für Nürnberg. Zwischen Nördlingen und Nürnberg, im Begriff, seinen Fuß in die größere Welt zu setzen, verschaffte ihm ein Freund die Gunst, in Stuttgart die Oper zu hören. Man spielte „Xerxes“ von Händel, und die Pirker, aus England kommend und unter Gluck ausgebildet, sollte die Amastris singen.
Der junge Mann aus der Provinz, schüchtern in seinem unmodischen Frack, den der Freund mit eigenen Tressen aufgebessert hatte, betrat das knarrende Parkett des obersten Ranges im Hoftheater. Der Holzbau roch dumpfig, unten summten die geputzten, gepuderten Zuschauer; oben drückte sich eine Gruppe von jungen Burschen zusammen. Die Hofloge war noch leer. Der steife gemalte Vorhang wogte im Licht der Kerzenreihen, als ein mächtiger Mann davor auftauchte: Der Musikdirektor Jomelli, „so begnadet wie füllig“, wie man sich zuflüsterte. Er wurde erstaunt betrachtet, endlich beklatscht. Aber er winkte mit der fleischigen Hand. Es sei keine erfreuliche cosa, die er zu verkündigen habe: Die célebre und von ihm hochgeachtete Primadonna Madame Pirkerin sei unpäßlich und könne nicht auftreten. Man habe deshalb schnell ein anderes Stück angesetzt, in dem sie nicht benötigt werde, ein Werk des Salieri aus Salzburg, der Mozarts Konkurrent gewesen war. Schubart begeisterte freilich auch das, wiewohl er die Marianne Pirker gern gehört hätte; später erfuhr der Freund, ein junger Musiker vom Hoforchester, die Pirker sei plötzlich verschwunden.
„Was?“ schrie Schubart aufgeregt, „das ist doch nicht möglich?“
„Doch, derlei gibt’s“, murmelte der andere betreten. „Man sagt, sie sei eine sonderliche Freundin der Herzogin gewesen, habe auch früher in Bayreuth gedient und sei des öfteren dorthin gefahren. Und dabei… aber darüber dürfe niemand reden.“
„Man kann sich’s denken“, bestätigte Schubart, „sie hat Briefe oder einen Bericht von der Herzogin mitgenommen, und was drinstand, weiß man schon.“
„Woher hörst du derlei?“ fragte der Freund.
Schubart wurde rot. „Vom Liesele“, bekannte er dann, „die hilft in der Hofküche.“
Der andere lächelte ein wenig blöde.
„Und jetzt?“ fragte Christian Schubart. „Er hat sie verhaften lassen! Ich ahne es schon!“
Der Musiker nickte; er war blaß geworden. „Und auch den Mann, den alten Pirker, und den Friseur Reich – alle miteinander“, ergänzte er flüsternd, „sie seien schon auf dem Twiel, ohne Verhör und Verhandlung…“
„Da sie zu Bayreuth des jungen Herren Sprünge gemeldet!“ sagte Schubart und sah sich unbefangen um. „Komm, Baste, oder magst lieber Drollinger genannt sein, da du nicht hörst?“
Der andere zuckte erschrocken zusammen. Drüben an der Mauer stand ein Mann und schaute herüber; er kannte ihn nicht, und Schubart hatte seinen Namen so laut gerufen.
Er zog den Freund am Ärmel mit, Schubart sträubte sich und schüttelte den Kopf.
Inzwischen trat der dunkle Mensch heran, mit raschen weichen Schritten war er plötzlich da. „Sie sind?“ fragte er.
Schubart mit seinem feinen, fast tierhaften Gespür für die Antriebe der Leute, antwortete spontan: Sie seien Reisende, Freunde des eben angekommenen Seigneur de Saingalt, der bekanntlich Gast des Herzogs sei – „Serenissimi… meinte ich“, setzte er gewandt hinzu.
Der Frager zog den schwarzen Schlapphut in die Stirn und lachte. „So, des Casanova Freunde – die kennt man hierzulande!“ Er blieb einen Augenblick stehen; während sein Gesicht im Schatten lag, verneigte er sich leicht. Dann ging er, mit den gleichen katzenhaften Wendungen, wie er sich genähert hatte.
Sebastian Drollinger nahm Schubarts Arm. „Das hätte schlecht ausgehen können“, flüsterte er, „’s war ein Spion des Herzogs – eher wie nicht!“
„Serenissimi“, verbesserte Schubart und lachte schallend. „Warum läßt er in den Gassen herumhorchen?“
„Von den Gefangenen soll niemand wissen“, meinte Drollinger, „das könnte uns übel aufstoßen, wenn ihn dein Casanovagerede nicht überzeugt hat.“
„Vielleicht erkundigt er sich bei dem Italiener“, vermutete Schubart und fing an zu trällern: „Wär ich der Herr Saingalt – ich würde nimmer kalt …“
„Still, Esel!“ zischte der Freund entsetzt, „mußt uns doch nicht noch einmal hineinreiten, du Leichtfuß!“
Ein paar Tage danach kam ein Bote zu Sebastian. Sein Name war genau vermerkt, obwohl er erst wenige Wochen in Stuttgart wohnte, und Schubart, der ohne Wissen der Eltern noch immer nicht nach Nürnberg abgereist war, saß dabei, als Drollinger das Schreiben öffnete.
„Verehrter unbekannter Freund, junger Mann!“ stand da, „des Durchlauchtigsten Sbirrene haben mich heute morgen besucht, als ich eben, noch schlaftrunken und von einer Aventure träumend, im Bette lag. Sie wollten hören, ob Sie mir bekannt? Und obgleich solches nicht zutraf, habe ich die Intrigue durchschaut und als Ihr treuer alter Freund fungieret. Nun aber wird es Zeit, diese Stadt zu meiden – tun Sie es rasch. Der Ihre, C.“
„Ich hätte wohl Lust, den Casanova wahrhaftig aufzusuchen“, eröffnete Schubart dem Freund.
„Das wäre das Dümmste, was wir tun könnten.“
„Warum?“ Schubart fing an, im Zimmer herumzutänzeln und beobachtete heiter, wie draußen die Schneeflocken wirbelten. Der andere schob Holz in den Ofen, der dieses Jahr noch nicht geheizt worden war. Es qualmte erbärmlich. „Ja, Baste, das tun wir – oder willst mich allein lassen dabei?“
„Du hörst doch, was denen geschieht, die sich bei Hof mißliebig machen“, warnte Drollinger, „ich bin drauf angewiesen, hierorts eine Stelle zu finden, mindestens Schüler, kann doch nicht den Häschern ungut auffallen.“
„Den Shirren? Er redet sie venezianisch an, der Casanova! Du, das ist ein feiner Herr, gelehrt, hört man, und weiß sich dem jungen Herzog angenehm zu machen, nicht bloß den Damen.“ Er blinzelte sehnsüchtig.
„Tu, was du magst“, murrte Drollinger, „diesmal mußt allein gehen.“
Schubart nickte. „Schad’,“ sagte er unter der Tür und war gleich danach in seinem Gasthof, einem alten Haus in einer unbeleuchteten Gasse, durch die der schmelzende Schnee den Unrat schwemmte. Schubart zog sich um. Er fragte den Wirt nach dem Quartier des Seigneur de Saintgalt und der riß die Augen auf und tuschelte ihm zu, der edle Gast bewohne den „Güldenen Schwanen“, allwo er