Glam. Simon Reynolds
Читать онлайн книгу.er den dunklen Künsten und begab sich auf einen höheren Pfad, auf dem er Erleuchtung und Selbstbeherrschung erreichte – und übernatürliche Kräfte wie die, seine Körperform zu verändern und zu fliegen. Manche buddhistischen Vorstellungen fanden auch Eingang in frühe Bowie-Songs wie »Karma Man« und »Silly Boy Blue« vom Debütalbum. Letzterer diente auch als Hintergrundmusik für Aufführungen von »Jetsun and the Eagle« und handelt von der faszinierenden Eigenartigkeit Tibets. Der Song enthält Referenzen auf »yak-butter statues« und Konzepte wie die Wiedergeburt, die Überseele und chela, ein Wort, das »Schüler« bedeutet und gewöhnlich dem »Guru« gegenübersteht.
Wenn der musikalische Ausdruck von Bowies ernsthaftem Interesse an asiatischer Spiritualität etwas infantil wirkt, tut man gut daran, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass er 1969 gerade einmal 22 Jahre alt war. Als jugendlicher Autodidakt wurde sein Interesse von verschiedensten Ideen geweckt – Buddhismus, Nietzsche, Oscar Wildes Ästhetizismus, Warhol und einige mehr. Daraus entstand eine sich noch entwickelnde Weltanschauung, deren einzelne Teile streckenweise noch miteinander unvereinbar waren. Im Gegensatz zu vielen von uns, die als Jugendliche vorläufige Gedanken über Kunst und Leben in ihre Tagebücher kritzelten oder später für Collegemagazine Essays verfassten, die schnell in Vergessenheit gerieten (zum Glück), blieben Bowies Jugendwerke der Nachwelt erhalten: Sie wurden auf Vinyl gepresst, das bis heute im Umlauf ist, und zudem später in hohen Auflagen wiederveröffentlicht. Durch YouTube, Songtextarchive und Fan-Webzines (mit umfangreichen Interviewarchiven) sind sie außerdem jedem offen zugänglich.
Man muss Bowie zugutehalten, dass er sich nicht vormachte, den großen Durchblick zu haben. 1972 gab er zu, »beim besten Willen kein Intellektueller« zu sein: »Ich würde mich eher als einen tastenden Denker beschreiben. Ich lese die Dinge auf …« In einem früheren Porträt bestritt er die intellektuelle Kompetenz seiner kompletten Branche: »Wir sind nicht die großen Denker unserer Zeit, wie man wegen der ganzen Interviews, die wir geben müssen, meinen könnte.« Stattdessen behauptete er, dass Musiker und Kritiker von »echter Reflexion« genauso weit entfernt seien wie ihre Gegner der politischen Rechten, die Rock als degenerierten Müll betrachteten: »Wir […] sind genauso naiv und engstirnig.«
Bowies Beziehung zum Buddhismus allerdings war von Intensität geprägt: Er war wahrhaftig auf der Suche nach Antworten. Aber was genau reizte ihn so an Mahayana, der größten Schule des tibetischen Buddhismus? Mahayana besteht aus einer komplizierten Ansammlung von Prinzipien und Konzepten, steckt dabei voller Widersprüche und schlägt Uneingeweihte so vor den Kopf. Ein paar der Themen haben dennoch einen bemerkenswerten Bezug zu Bowies Karriere. »The Songs of Milarepa«, so der Titel, unter dem Milarepas Schriften bekannt sind, betont die Notwendigkeit der Abspaltung, auch vom eigenen Körper. Bowie selbst hat gesagt, dass ihn »die Idee der Vergänglichkeit« nie in Ruhe gelassen habe: das Selbst als Hirngespinst, eine trügerische Illusion, die dünnste aller Membranen beim Verdecken einer profunden Leere. Im Buddhismus ist diese innere Leere aber nichts sorgenerregendes oder nihilistisches: Das wahre Ich ist das Kein-Ich, eine positive Leere, die sich von der eingebildeten »Substanz« einer öffentlichen Persönlichkeit unterscheidet. Wirklichkeit, die Welt der Erscheinungen, ist maya – ein Wort, das »Illusion«, »Magie« und »Traum« bedeuten kann. Aber nach der Mahayana-Leere ist auch das Selbst eine »magische Show«, nichts weiter als ein Spiegeltrick.
Diese Vorstellungen – die Alltagswelt als Illusion, das wahre Selbst als unsterbliche Essenz – haben gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Gnostizismus, den Bowie auf seiner spirituellen Suche später erkunden würde: eine antiweltliche Einstellung, die Betrachtung der sogenannten Realität entweder als dunstige Einbildung oder gescheiterte Kreation einer falschen Gottheit. Der Welt abzuschwören bedeutet, Verlangen und Leid hinter sich zu lassen und so Klarheit zu erlangen.
Sich auf die Jagd nach dem Ruhm und Glanz der Popwelt zu begeben, scheint dem zu widersprechen. Gleichzeitig passt die Idee des leeren Selbst aber auch gut zu einer Karriere, die auf konstanten Veränderungen und Verwandlungen beruht, denn sie bietet quasi eine leere Leinwand für die Persönlichkeit. Hier harmoniert der Buddhismus unerwartet mit den performativen Vorstellungen von Geschlechts- und Eigenkonstruktion, die Camp und Drag zugrunde liegen.
Mit seiner Mischung aus Mahayana und der Camp-Theatralität Lindsay Kemps entwickelte Bowie eine Psychologie des Wandels und der Wandelbarkeit. Der Titel der Bowie-Retrospektive im Victoria and Albert Museum von 2013 spiegelt das gut wider: »David Bowie Is …« In verschiedenen Bereichen der Ausstellung wurde dieser Satz dann vervollständigt. Die vielsagendste Variante: »David Bowie Is … Making Himself Up.«*
Der Bowie der 1960er war noch ein Kind seiner Zeit, und die war von Wahrheit und Wirklichkeit besessen. Dementsprechend ärgerte er sich darüber, dass sein Selbst keinen authentischen Kern hatte. Doch mehr und mehr freundete er sich mit der Idee an, dass jedes Bild und jede Person der Öffentlichkeit gefakt ist, eine Täuschung. Denn so kann man Persönlichkeiten an- und wieder ausziehen, als wären sie Kostüme. »Für mich ist es viel realistischer anzunehmen, dass all das hier (Kleidung, Haare, Gestik) ich bin, dass sich dahinter nicht mehr verbirgt«, so Bowie in einem Interview. »Alles ist an der Oberfläche und ich bevorzuge es so.«
Bowie war auf ein Problem gestoßen, das sich durch die gesamte Rockgeschichte zieht und allen Kunstformen, die sich auf Vorstellungen von Realität und Naturalismus stützen, gemein ist: Durch Wiederholungen und fortlaufende Zeit wird jede einst schockierende, »echte« künstlerische Ausdrucksform früher oder später zur Gewohnheit. In der Pop- und Rockgeschichte hat sich dieser Prozess mehrmals wiederholt: Rock ’n’ Roll, Punk, HipHop – alles wurde zu einem Code, den Außenseiter jederzeit imitieren können, eine Tradition, die ihre originelle Funktion und ihre ursprünglichen Zusammenhänge überlebt hat. Ähnlich verhält es sich mit der Schauspielkunst: Jeder Versuch, deren Glaubwürdigkeit bei der Abbildung von Wirklichkeiten auf eine neue Ebene zu bringen (etwa mit Method Acting), ist letzten Endes gekünstelt – und damit genauso unauthentisch wie die Methoden, an denen sich Schauspieler sonst orientieren.
Wenn alle Versuche, die Wahrheit in Songs oder auf der Bühne zu repräsentieren, zum Scheitern verurteilt sind, wird die Lüge zur aufrichtigeren Alternative. Sich dazu bekennen, ein Scharlatan oder Poser zu sein, ist damit authentisch. Bowie gab 1974 in einem Gespräch mit Burroughs unverhohlen zu, dass er seine Meinung oft ändere: »Ich stimme mit dem, was ich sage, meistens nicht wirklich überein. Ich bin ein schrecklicher Lügner […]. Ich werde oft mit Dingen konfrontiert, die ich mal gesagt habe […], [aber] man kann nicht sein ganzes Leben lang auf einem Punkt beharren.« Das Konzept der Integrität war bloße Einbildung. Wir alle erfinden uns im Laufe unseres Lebens immer wieder neu.
Aus diesem philosophischen und spirituellen Durcheinander entstand schließlich Bowies Gewinnstrategie: ständige Imagewechsel (was man heute »Rebranding« nennen würde). Daraus ging nicht nur ein erfolgreicher Popstar hervor, sondern die einflussreichste Figur der Rockmusik der 1970er-Jahre. Die »David Bowie Is …«-Ausstellung inspirierte einen Werbetexter und Designjournalisten namens Jude Stewart zu einem Artikel mit dem Titel »Sechs Dinge, die ich von David Bowie über Branding gelernt habe«. Darin enthalten waren Lektionen wie »Authentizität ist überbewertet«, »Begründe deine Marke auf Verben, nicht auf Nomen« (in anderen Worten: Lass dich nicht auf einen Stil oder eine Methode festnageln) und »Eine Marke vervielfacht ihren Einfluss durch den Miteinbezug von Kultur« (heißt etwa: Es ist okay, Ideen aus anderen Bereichen der Pop- und Hochkultur zu klauen.)
Diese Herangehensweise – und die Idee, mit jedem Album Sound und Image zu wechseln – ist im Pop heute so weitverbreitet (was größtenteils Bowies Verdienst ist), dass es schwer ist, sich vorzustellen, wie unglaublich neu sie Anfang der 1970er war. Sowohl in Großbritannien als auch in Amerika betrachtete seriöse Rockkultur Hypes mit Argwohn und verlangte von Bands, ihren Beitrag durch jahrelanges, mühsames Touren durch das Land zu leisten. Fast jede angesehene Band dieser Zeit konzentrierte sich auf eine bestimmte Sache, an der sie dann graduell arbeitete. Man denke an die Stones, Clapton, Fleetwood Mac oder The Grateful Dead … an quasi jede. Integrität kam von Beständigkeit und Hingabe.
Eine weitere Weisheit Jude Stewarts war, dass »große Marken der Kultur den Weg weisen«. Auf Bowie