Der Untertan. Roman. Heinrich Mann

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Der Untertan. Roman - Heinrich Mann


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Vorfall. Diederich rühmte den Kommilitonen das wahrhaft ritterliche Verhalten des Grafen.

      »Ein wirklicher Edelmann verleugnet sich doch nie.«

      Er machte den Mund klein wie ein Mausloch und stieß in langsamer Schwellung die Worte hervor:

      »F – formen sind doch kein leerer Wahn.«

      Immer wieder rief er Gottlieb Hornung als Zeugen seines großen Augenblickes auf.

      »So gar nichts Steifes, wie? O! auf einen doch immerhin gewagten Scherz kommt es solchem Herrn nicht an. Eine Haltung dabei: t–hadellos, kann ich euch sagen. Die Erklärungen Seiner Erlaucht waren so durchaus befriedigend, daß ich meinerseits unmöglich –: Ihr begreift, man ist kein Rauhbein.«

      Alle begriffen es und bestätigten Diederich, daß die Neuteutonia in dieser Sache durchaus anständig abgeschnitten habe. Die Karten der beiden Edelleute wurden bei den Füchsen umhergereicht und zwischen den gekreuzten Schlägern am Kaiserbild befestigt. Kein Neuteutone, der sich heute nicht betrank.

      Damit endete das Semester; aber Diederich und Hornung hatten für die Heimreise kein Geld. Das Geld fehlte ihnen schon längst für fast alles. Mit Rücksicht auf die Pflichten des Verbindungslebens war Diederichs Wechsel auf zweihundertfünfzig Mark erhöht worden; und doch [45]übermannten ihn die Schulden. Alle Quellen schienen ausgepumpt, nur dürres Land sah man, verschmachtend, sich dahindehnen; – und endlich mußte man wohl, so wenig dies Rittern angestanden hätte, über die Zurückforderung dessen beraten, was sie selbst im Lauf der Zeiten an Kommilitonen verliehen hatten. Gewiß war mancher Alte Herr inzwischen zu großen Geldern gelangt. Hornung fand keinen; Diederich verfiel auf Mahlmann.

      »Bei dem geht es«, erklärte er. »Der war bei gar keiner Verbindung: ein ganz gemeiner Ruppsack. Dem werd ich mal auf die Bude steigen.«

      Aber als Mahlmann ihn erblickte, brach er ohne weiteres in sein riesenhaftes Lachen aus, das Diederich fast vergessen hatte, und das ihn sofort unwiderstehlich herabstimmte. Mahlmann war taktlos! Er hätte doch fühlen sollen, daß hier in seinem Patentbureau mit Diederich die ganze Neuteutonia moralisch zugegen war, und hätte Diederich um ihretwillen Achtung erweisen sollen. Diederich hatte den Eindruck, als sei er aus der kraftspendenden Gesamtheit jäh herausgerissen und stehe hier als einzelner Mensch vor einem anderen. Eine nicht vorhergesehene, unliebsame Lage! Um so unbefangener trug er seine Sache vor. O! er wolle kein Geld zurück, das würde er einem Kameraden niemals zugemutet haben! Mahlmann möge nur so gefällig sein, ihm für einen Wechsel zu bürgen. Mahlmann lehnte sich in seinen Schreibsessel zurück und sagte breit und selbstverständlich:

      »Nein.«

      Diederich, betroffen:

      »Wieso, nein?«

      »Bürgen ist gegen meine Prinzipien«, erklärte Mahlmann.

      [46]Diederich errötete vor Entrüstung. »Aber ich habe doch auch für Sie gebürgt, und dann ist der Wechsel an mich gekommen, und ich mußte für Sie hundert Mark blechen. Sie haben sich gehütet!«

      »Sehen Sie wohl? Und wenn ich jetzt für Sie bürgen wollte, würden Sie auch nicht bezahlen.«

      Diederich riß nur noch die Augen auf.

      »Nein, Freundchen«, schloß Mahlmann; »wenn ich Selbstmord begehen will, brauch ich Sie nicht dazu.«

      Diederich faßte sich, er sagte herausfordernd:

      »Sie haben wohl keinen Komment, mein Herr.«

      »Nein«, wiederholte Mahlmann und lachte ungeheuerlich.

      Mit äußerstem Nachdruck stellte Diederich fest: »Dann scheinen Sie überhaupt ein Schwindler zu sein. Es soll ja gewisse Patentschwindler geben.«

      Mahlmann lachte nicht mehr; die Augen in seinem kleinen Kopf waren tückisch geworden, und er stand auf. »Nun müssen Sie rausgehen«, sagte er, ohne Erregung. »Unter uns wäre es wohl wurst, aber nebenan sitzen meine Angestellten, die dürfen so was nicht hören.«

      Er packte Diederich an den Schultern, drehte ihn herum und schob ihn vor sich her. Für jeden Versuch, sich loszumachen, bekam Diederich einen mächtigen Knuff.

      »Ich fordere Genugtuung«, schrie er, »Sie müssen sich mit mir schlagen!«

      »Ich bin schon dabei. Merken Sie es nicht? Dann will ich noch einen rufen.« Er öffnete die Tür. »Friedrich!« Und Diederich ward einem Packer überliefert, der ihn die Treppe hinabbeförderte. Mahlmann rief ihm nach:

      »Nichts für ungut, Freundchen. Wenn Sie ein [47]andermal was auf dem Herzen haben, kommen Sie ruhig wieder!«

      Diederich brachte sich in Ordnung und verließ das Haus in guter Haltung. Um so schlimmer für Mahlmann, wenn er sich so aufführte! Diederich hatte sich nichts vorzuwerfen; vor einem Ehrengericht wäre er glänzend dagestanden. Etwas höchst Anstößiges blieb es, daß ein einzelner sich so viel erlauben konnte; Diederich war gekränkt im Namen sämtlicher Korporationen. Andererseits war es nicht zu leugnen, daß Mahlmann Diederichs alte Hochachtung wieder beträchtlich aufgefrischt hatte. »Ein ganz gemeiner Hund«, dachte Diederich. »Aber so muß man sein …«

      Zu Hause lag ein eingeschriebener Brief.

      »Nun können wir fortmachen«, sagte Hornung.

      »Wieso wir? Ich brauch mein Geld selbst.«

      »Du machst wohl Spaß. Ich kann hier doch nicht allein sitzen bleiben.«

      »Dann such’ dir Gesellschaft!«

      Diederich schlug ein solches Gelächter auf, daß Hornung ihn für verrückt hielt. Darauf reiste er wirklich.

      Unterwegs sah er erst, daß der Brief von seiner Mutter adressiert war. Das war ungewöhnlich … Seit ihrer letzten Karte, sagte sie, sei es mit seinem Vater noch viel schlimmer geworden. Warum Diederich nicht gekommen sei.

      »Wir müssen uns auf das Entsetzlichste gefaßt machen. Wenn du unsern innigst geliebten Papa noch einmal sehen willst, o dann säume nicht länger, mein Sohn!«

      Bei dieser Ausdrucksweise ward es Diederich ungemütlich. Er entschloß sich, seiner Mutter einfach nicht zu glauben. »Weibern glaub ich überhaupt nichts, und mit Mama ist es nun mal nicht richtig.«

      [48]Trotzdem tat Herr Heßling bei Diederichs Ankunft gerade die letzten Atemzüge.

      Von dem Anblick überwältigt, brach Diederich gleich auf der Schwelle in ein ganz formloses Geheul aus. Er stolperte zum Bett, sein Gesicht war im Augenblick naß wie beim Waschen; und mit den Armen tat er lauter kurze Flügelschläge und ließ sie machtlos gegen die Hüften klappen. Plötzlich erkannte er auf der Decke des Vaters rechte Hand, kniete hin und küßte sie. Frau Heßling, ganz still und klein selbst noch bei den letzten Atemzügen ihres Herrn, tat drüben dasselbe mit der linken. Diederich dachte daran, wie dieser verkümmerte schwarze Fingernagel auf seine Wange zugeflogen war, wenn der Vater ihn ohrfeigte; und er weinte laut. Die Prügel gar, als er von den Lumpen die Knöpfe gestohlen hatte! Diese Hand war schrecklich gewesen; Diederichs Herz krampfte sich, nun er sie verlieren sollte. Er fühlte, daß seine Mutter das gleiche im Sinn hatte, und sie ahnte seine Gedanken. Auf einmal sanken sie einander, über das Bett hinweg, in die Arme.

      Bei den Kondolenzbesuchen hatte Diederich sich zurück. Er vertrat vor ganz Netzig, stramm und formensicher, die Neuteutonia, sah sich angestaunt und vergaß darüber fast, daß er trauerte. Dem alten Herrn Buck ging er bis zur äußeren Tür entgegen. Die Beleibtheit des großen Mannes von Netzig ward majestätisch in seinem glänzenden Gehrock. Würdevoll trug der den umgewendeten Zylinderhut vor sich her; und die andere, vom schwarzen Handschuh entblößte Hand, die er Diederich reichte, fühlte sich überraschend zartfleischig an. Seine blauen Augen drangen warm in Diederich ein und er sagte:

      »Ihr Vater war ein guter Bürger. Junger Mann, werden Sie [49]auch einer! Haben Sie immer Achtung vor den Rechten Ihrer Mitmenschen! Das gebietet Ihnen Ihre eigene Menschenwürde. Ich hoffe, wir werden hier in unserer Stadt noch zusammen für das Gemeinwohl arbeiten. Sie werden jetzt wohl fertig studieren?«

      Diederich


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