Der Majoratsherr Bd. 1. Nataly von Eschstruth

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Der Majoratsherr Bd. 1 - Nataly von Eschstruth


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man sich ja schier unglaubliche Dinge von ihm, aber es scheint doch manches unwahr und übertrieben zu sein, denn man erzählte zum Beispiel noch jüngst bei Hofe, der Graf habe die Weltordnung auf den Kopf gestellt, er schlafe am Tage und wache in der Nacht. Nun sehen wir ihn aber doch soeben in heller Mittagsstunde spazieren gehen?“ — Der Apotheker hielt sein Spitzglas mit der unbehandschuhten Rechten krampfhaft umklammert. Der Wein prickelte ihm noch in der Nase.

      „Ja, ja — der Herr Graf haben aber trotzdem recht“, rief er erregt, „nur mit dem Bemerken, dass der Niedecker seine Passionen wie die Hemden wechselt! Noch vor vier Wochen lebte er ausschliesslich in der Nacht. Um zwölf Uhr wurde ihm das Diner serviert, dann ging oder rannte er vielmehr wie ein Bürstenbinder querfeldein durch den Park. Als er bei einer solchen Promenade aber in der Dunkelheit stürzte und sich den Fuss verstauchte, hat er das Nachtleben wieder aufgegeben!“

      „Unerhört, er muss in ein Tollhaus!!“ alterierte sich die Gräfin.

      „Und nun huldigt er wieder anderen Marotten?“ forschte ihr Gemahl kopfschüttelnd.

      „Es wird alle Tage schlimmer mit ihm!“ nickte der Postassistent mit fehdelustigem Blick. „Ich fuhr jüngst einmal nach Niedeck hinaus, um ein grösseres Kapital sicher hinzubringen, aber ich gestehe ehrlich ein, dass ich so viel Blödsinn nicht erwartet hätte!“ —

      „Unsinn — er ist überhaupt gar kein richtiger Graf! er heisst man bloss so!“ — grollte Vater Simmel verächtlich dazwischen.

      „Ah, interessiert mich lebhaft! Was sahen Sie zum Beispiel, mein verehrter junger Freund?“ Der Graf lächelte ihm zu und der Assistent erglühte vor Stolz.

      „Nun, hochverehrter Herr —“ antwortete er hitzig und sichtlich froh, zu Worte zu kommen und die feinen Herrschaften interessant unterhalten zu können, „wie ich zum Beispiel ankam, nahm ich an, dass man mich in das wundervolle Schloss zum Grafen führen würde. Ich sah alle Fenster erleuchtet und war überzeugt, eine grössere Gesellschaft zu treffen, obwohl ja die Dienerschaft erzählt, dass der steinreiche Mann niemals eine Menschenseele zu sich einlade — —“

      „I wo, er kauft ja nicht für fünf Pfennige in Angerwies“, brummte Simmel abermals dazwischen; ja, zu Lebzeiten der alten Herrschaften, da soll ein echt gräfliches Leben auf Niedeck gewesen sein; da wurden alle Geschäfte in der Stadt reich, — aber bei dem jetzigen da werden wir allesamt bankrott!“ —

      „Das ist ja sündhaft! Der Mann hat doch Verpflichtungen gegen die Kaufleute!“ — ereiferte sich die Gräfin, der Assistent aber fuhr nach neuem Schlucke fort: „Ich suche also den Herrn Grafen in Gedanken in seinem schönen Schloss, und wo finde ich ihn??“ —

      „Nun?“

      „In der Kutscherwohnung des Hofgebäudes!“

      „Undenkbar!!“

      „Aber wahr, Herr Graf! Jetzt weiss es ja auch schon die ganze Stadt! Ja, da hat der Niedecker die unglaubliche Hirnverbranntheit, sich in dem niedrigsten, ärmlichsten kleinen Loche einzuquartieren, wo er doch den schönsten Prachtbau des ganzen Landes sein eigen nennt! Der Kutscher mit seiner Familie wohnt nun in den schönen Parterresälen, und der Herr Graf haust in zwei winzig kleinen Käfigen in dem Hofgebäude! Jeden Abend muss das ganze Schloss von oben bis unten glänzend erleuchtet werden, aber die Zimmer stehen öde und leer, der Majoratsherr selber setzt keinen Fuss hinein.“

      „Nun —, hat er denn einen vernünftigen, stichhaltigen Grund dafür?“

      „Das man nicht wüsste!“

      Der Graf schüttelte den Kopf. „Er ist geisteskrank, so beträgt sich kein vernünftiger Mensch!“

      „Ja, man sollte es wirklich annehmen, dass eine Schraube bei ihm lose ist!“ lachte der Assessor mit glühender Stirn; die Gräfin hatte ihr goldenes Cigarrenetui aus dem Kleide gezogen und mit graziösen Fingerchen zwei Cigaretten gedreht, eine für den Assessor, eine für sich; nun sass sie und blies die blauen Rauchwölkchen durch die feinen blassfarbenen Lippen, — so ganz der Typus der eleganten Frau, für welche Bärning stets eine Leidenschaft gehabt.

      „Zum Beispiel grenzt es doch auch schon an Verrücktheit, dass er einen Marstall edelster Pferde für seine Dienerschaft hält!“ —

      „Für seine Dienerschaft?“

      „Gewiss, nur für Kutscher und Bediente, die elegante Equipage fährt täglich spazieren, ohne dass der Herr Graf jemals in derselben Platz genommen hätte. Bei Wind und Wetter trabt er zu Fuss hinter dem Wagen her, bei Hitze und Sonnenglut keucht er schweisstriefend die weitesten Wege auf Schusters Rappen, dieweil sein Marstall kaum noch die Zahl der edelsten Rosse fassen kann!“ —

      „Das ist ja einfach hirnverbrannt!“ schüttelte der Graf entrüstet den Kopf. „Wenn er dann die Reitpferde wenigstens Ihnen, meine Herren, zur Verfügung stellte und die Schönen von Angerwies in dem Wagen spazieren fahren liess!“

      Schallendes, ingrimmiges Gelächter. Dieser Filz! Dieser Geizhals! Er kennt uns ja kaum, er verkehrt ja mit keinem Menschen in der Stadt!“

      „Und doch wäre dies seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit!“ rief die Gräfin eifrig. „Er sollte alle paar Tage ein schönes, grosses Fest auf Schloss Niedeck geben und die Gesellschaft von Angerwies dazu einladen! Mon Dieu — Rüdiger — wenn wir an Stelle des verrückten Menschen wären, wie wollten wir anders für das Wohl von Land und Leuten sorgen! Bester Herr Assessor, Sie würden allerdings schlecht dabei wegkommen“ — fügte sie mit leisem Lachen und bezauberndem Blick hinzu, „Sie müssten Tag aus Tag ein mein Kavalier sein und mich zu Wagen und Ross begleiten!“

      „O, gnädigste Gräfin — kaufen Sie Niedeck!“ rief Bärning enthusiastisch, und die anderen Herren griffen stürmisch zu den Gläsern und jubelten mit weinschweren Köpfen: „Hurra! das ist eine Idee! Herr Graf, Sie müssen Niedeck kaufen!“

      Der Fremde zuckte mit seltsamem Lächeln die Achseln. „Ein Majorat kaufen, meine Herren? Dieses Kunststück machen Sie mir einmal vor!“ Er strich langsam den spitzengedrehten Schnurrbart, dann hob er in jähem Entschluss den Kopf.

      „Meine Herren“ — rief er laut — „können Sie schweigen?“ —

      „Herr Graf! — Wie das Grab!“ — klang es zurück, während die weinseligen Gesichter sich voll fiebernden Interesses über den Tisch neigten. „Ihr Vertrauen ist uns königliche Ehre!“ —

      „Nun denn, meine Herren — Sie sehen in der Gräfin und mir die künftigen Besitzer von Schloss Niedeck! Ich habe die Ehre, mich Ihnen bekannt zu machen — last not least! ... Ich bin Rüdiger, Graf zu Niedeck.“ —

      Wie gelähmt vor Überraschung sassen die Herren, einen Augenblick herrschte beklommenes Schweigen, dann erhob sich der Apotheker, verneigte sich tief und schuldbewusst und stotterte: „Wir hatten keine Ahnung, Herr Graf ... ich bitte für uns alle ganz unterthänigst tausendmal um Entschuldigung, dass wir es gewagt haben, so sehr abfällig von Ihrem hochgeborenen Herrn Vetter zu sprechen!“ —

      Der Graf schüttelte lachend den Kopf, streckte dem Sprecher herzlich die Hand entgegen und drückte sie lebhaft.

      „Mein verehrter Herr“ — lachte er — „ich bitte Sie um alles, keine Exküsen! Sie haben die volle, lautere Wahrheit gesagt, welche ich Wort für Wort unterschreibe! — Meine Herren! Ich bin für gewöhnlich nicht so schnell mit Bekanntschaften machen, aber ich muss gestehen, dass Sie alle mir einen so ausserordentlich sympathischen Eindruck machen, dass ich das Gefühl habe, guten, langjährigen Freunden gegenüber zu sitzen, und dass dies noch in Wirklichkeit durch lange Jahre der Fall sein möge — darauf, meine Herren, lassen Sie uns die Gläser leeren! — Meine zukünftigen Gäste auf Schloss Niedeck, sie leben hoch!“

      Ein brausendes Hurra erfüllte das Zimmer. Wie ein wahrer Rausch überkam es die geschmeichelten Herren. — Sie warfen sich in die Brust, als habe sie das Wort des Grafen allesamt zu Rittern geschlagen, — sie schüttelten und drückten ihm die Hände mit einem Enthusiasmus, als gälte es, ein einiges Deutschland zu feiern. Ein vereinigtes „Angerwies


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