Gundula, du wirst es schaffen. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.liefen auseinander, blieben nach ein paar Metern noch einmal stehen, winkten sich zu, um dann endgültig davonzujagen.
Gundula schloß die Haustür auf, rannte die Treppe hinauf, öffnete die Wohnungstür, stürzte in ihr Zimmer und wechselte rasch den linken Schuh. Befriedigt sah sie auf ihre Füße. Sie hatte jetzt zwei gleiche, zwei rote Schuhe an. Der Vater würde nichts von ihrem Mißgeschick merken.
Sie wollte die Wohnung schon wieder verlassen, als ihr noch etwas einfiel. Sie lief zu ihrem Pult, öffnete es, fand den kleinen Pappkasten mit ihrem Geld in der hinteren Ecke. Ohne es zu zählen – sie wußte es auswendig, daß es sieben Mark und fünfundachtzig Pfennig sein mußten –, schüttete sie den ganzen Inhalt in ihre Manteltasche, warf die leere Pappschachtel achtlos in das Pult zurück und jagte davon.
Herr Berendt erwartete sie schon vor dem Eingang des großen Bankhauses, in dem er arbeitete. Sie gingen zusammen in ein kleines Lokal ganz in der Nähe, und Gundula bekam das Wiener Schnitzel, das sie sich gewünscht hatte. Es schmeckte ihr großartig.
Auf dem Kriegspfad
Gundula war nicht traurig, als sie allein zurückblieb. Wenigstens blieb ihr jetzt noch Zeit, bis zum Treffen mit Leni etwas sehr Wichtiges zu erledigen. Sie wollte ein Geschenk für ihren kleinen Bruder kaufen.
In einem Eckhaus in der Bahnhofstraße lag das größte Spielzeuggeschäft der Stadt. Gundula hatte schon oft vor den Fensterscheiben gestanden und sich die Nase plattgedrückt. Es gab immer die herrlichsten Dinge zu sehen – Puppenkarussels, elektrische Eisenbahnen, Flugzeuge, Schaukeln, Fahrräder und wunderbar angezogene Puppen mit Klappaugen und lockigem Haar. Aber heute hatte Gundula es eilig. „Ich möchte ein Geschenk für meinen Bruder kaufen“, erklärte sie hocherhobenen Hauptes der Verkäuferein, „ein Geburtstagsgeschenk!“
„Ach so“, sagte die Verkäuferin, „wie alt wird denn der Kleine?“
Gundula zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten; es schien ihr zu dumm, der Verkäuferin zu erklären, daß der Bruder gerade heute erst auf die Welt gekommen war. „Sieben Mark und fünfundachtzig kann ich ausgeben“, sagte sie statt dessen.
„Na, das ist ja schon ganz schön.“ Die Verkäuferin ging voran zu einem der Tische. „hat dein Bruder schon eine Anlage für eine elektrische Eisenbahn?“ fragte sie.
Gundula schüttelte den Kopf.
„Wie wär’s dann mit einer Eisenbahn zum Aufziehen? Sehr hübsch, paß mal auf!“
Die Verkäuferin holte einen Karton unter der Theke hervor, packte eine kleine Lokomotive aus, zog sie mit einem Schlüssel auf; sie zeigte Gundula einen kleinen Hebel. „Siehst du, hier kann man sie verstellen … man kann sie immer im Kreis herumlaufen lassen oder auch geradeaus oder in einer großen Kurve, verstehst du? Das ist eine schöne Sache!“
Gundula entschloß sich, die Lokomotive zu nehmen.
„Zu Weihnachten oder zum nächsten Geburtstag kannst du deinem Bruder dann noch einen Anhänger dazukaufen“, sagte die Verkäuferin, „das heißt, wenn sie noch heil ist.“
Als Gundula mit dem Paket unter dem Arm das Spielzeuggeschäft verließ, fühlte sie sich sehr stolz und glücklich. Eine Eisenbahn war lange Jahre ihr heißester Wunsch gewesen, aber der Vater hatte immer gesagt: „Das ist kein Spielzeug für Mädchen!“ – und so hatte Gundula verzichten müssen.
Fröhlich vor sich hinsummend lief Gundula, das Paket immer fest unter dem Arm, durch die Straßen der kleinen Stadt zum Schillerdenkmal, wo sie sich mit ihrer Freundin Leni verabredet hatte.
„Ich habe ’ne Kleinigkeit eingekauft“, erklärte Gundula ihrer Freundin selbstzufrieden, „für meinen kleinen Bruder, weißt du! Eine Lokomotive zum Aufziehen.“
„Toll!“ Leni war beeindruckt. „Pack doch mal aus“, bat sie, „ich möchte sie mir auch mal ansehen.“
„Etwa hier? Mitten in der Stadt?“
„Warum nicht? Weit und breit ist kein Mensch zu sehen!“
„Kommt nicht in Frage“, erklärte Gundula entschieden. „Du machst sie doch bloß kaputt. Komm jetzt lieber, sonst schaffen wir’s nicht mehr.“
Leni mußte sich beeilen, um an Gundulas Seite zu kommen. Bis zum Marienkrankenhaus, wo Frau Berendt und das Brüderchen lagen, waren es zehn Minuten zu Fuß. Unterwegs berieten sie unentwegt mit großer Zungenfertigkeit ihren Schlachtplan. Auf der Brücke blieben sie einen Augenblick stehen, spuckten ins Wasser hinunter und rannten dann weiter.
Das Krankenhaus war ein mächtiger, sehr moderner Bau mit einer großen Empfangshalle, in der es eine Tafel gab, an der man sich über die Lage der einzelnen Abteilungen orientieren konnte.
Gundula und Leni stellten – sich, die Hände auf dem Rücken, vor dieser Tafel auf und versuchten, sich zurechtzufinden.
Aber erst als sie aus der Sichtweite des Pförtners waren, tuschelte Leni der Freundin zu: „Weißt du jetzt, wo es ist?“
Gundula nickte eifrig. „Ja, Wöchnerinnenstation hat mein Vater gesagt. Das ist im dritten Stock ganz rechts!“
„Na, dann los!“
Plötzlich blieb Gundula wie angewurzelt stehen.
„Was ist?“ fragte Leni.
„Ganz still! Horch mal!“ Gundula hob die Hand.
Auch Leni spitzte jetzt ihre Ohren. Wirklich, sie hörte etwas – ein ganz feines Geschrei aus einiger Entfernung.
Gundula strahlte von einem Ohr bis zum anderen. „Das ist es“, sagte sie, „mein Brüderchen. Los … komm! Laufen wir! Jetzt finden wir es bestimmt!“
Sie eilten den Gang entlang und um die Ecke, das Geschrei wurde immer lauter, und endlich stellten sie fest, daß es aus einer breiten Tür mit einem großen Glasfenster kam. Sie hoben sich auf die Zehenspitzen und reckten die Köpfe, um durch das Fenster in das Zimmer hineinsehen zu können, aber das Glas war zu hoch.
„Halt still!“ sagte Gundula entschlossen. „Laß mich auf deine Schultern klettern. Nachher bist du dran!“
Leni machte aus den gefalteten Händen einen Korb für Gundula, die schon ihr Bein hob, um hineinzusteigen – als die beiden Mädchen plötzlich jemand hinter sich hörten.
„Hallo … was habt denn ihr hier zu suchen?“
Sie fuhren herum und sahen erschrocken in das blasse Gesicht einer jungen Krankenschwester.
„Wir … nichts! Nur …“, stotterte Gundula.
Sie tauschte einen raschen Blick mit Leni, dann drehten sich beide auf dem Absatz um und stürmten davon.
Alles wird anders
Es war Samstag. Als Gundula aus der Schule kam, war der Vater schon zu Hause. Herr Berendt stand in der Küche und buk Pfannkuchen. Gundula schleuderte ihre Schulmappe rasch in ihr Zimmer und deckte den Tisch.
Seit die Mutter im Krankenhaus war, aßen sie immer in der Küche, weil sie das bequemer fanden.
Gundula aß Pfannkuchen für ihr Leben gern, und der Vater sah ihr lächelnd zu, wie sie drei Stück verschlang.
„Es freut mich, daß es dir schmeckt“, sagte er, „nachher mußt du ja bei Kräften sein.“
Gundula riß die Augen auf. „Wozu?“
„Du weißt doch, daß morgen Mutter und das Brüderchen nach Hause kommen. Da gibt es noch allerhand zu tun. Mutter wollte das ja alles selbst machen,“
„Putzen, meinst du?“ fragte Gundula verständnislos. „Aber Frau Helmbrecht hat doch alles prima saubergemacht!“
„Aufräumen, Gundel! Dein altes Kinderbett und die Wickelkommode müssen wir vom Dachboden heranterholen.“