Hanussen - Hellseher und Scharlatan. Will Berthold

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Hanussen - Hellseher und Scharlatan - Will Berthold


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er wieder der große Magier, der Alleswisser: »Der Bursche hatte in die Ladenkasse gegriffen, war dabei von dem Bäckermeister überrascht worden und hat ihn deshalb erschlagen. Walter galt als besonders zuverlässig, deshalb stand sein Name auf der Liste der Verdächtigen an letzter Stelle. Seine Freundin Maria, eine Kellnerin, war sein Alibi; sie hat ihn gedeckt und ausgesagt, daß er während der ganzen Mordnacht bei ihr gewesen wäre. Die Zeugin wurde gestern nachmittag noch einmal einem Routineverhör durch die Polizei unterzogen. Sie machte dabei einen unsicheren Eindruck, blieb jedoch bei ihrer Behauptung. Es muß ihr klar geworden sein, daß sie durch eine Lüge einen Mörder deckt. Und das stand sie nicht länger durch. Sie stellte am frühen Abend Walter zur Rede und teilte ihm mit, daß sie morgen der Polizei die Wahrheit sagen würde. Der Mörder schimpfte, weinte, bedrohte seine Freundin, aber sie blieb standhaft. Der Täter rannte kopflos davon. Er sah keinen anderen Ausweg mehr als die Schiene. Es ist«, sagt der Mann auf der Bühne im Plauderton, »schrecklich, aber wahr, und keiner konnte es verhindern.«

      Das Licht geht wieder an. Verwirrte, erhitzte, verstörte ungläubige Gesichter versuchen vergeblich, sich in der Helligkeit zu verbergen.

      »Meine Damen und Herren«, sagt Hanussen mit einer Verbeugung: »Ich bin sicher, daß dieses Experiment geglückt ist. Lesen Sie bitte morgen die Zeitungen, vergleichen Sie den Bericht mit dem, was ich Ihnen hier eröffnet habe.«

      Die Zuschauer springen von den Stühlen, reden aufgeregt durcheinander. Es ist, als wären auch sie in Trance gefallen und würden sie erst jetzt wieder abschütteln. Ein Mann mit einem eingefallenen Gesicht, in dem die Falten wie Glassprünge wirken, schiebt sich zielstrebig durch das Gewühl, erreicht als erster den Ausgang: Staatsanwalt Dr. Swoboda hastet nach draußen wie ein Feuerwehrkommandant bei Brandalarm.

      4

      Die Sensation bringt den idyllischen Kurort um die Nachtruhe. Wie von Buschtrommeln gerufen, strömen die Menschen zusammen; von Haus zu Haus verbreitet sich die Nachricht von dem aufgeklärten Mord an dem Bäckermeister längst vor der Bestätigung durch die Behörden wie ein Lauffeuer bei Rückenwind. Wenn die Teilnehmer der Massen-Séance nach Hause kommen, lauern ihnen Nachbarn und Bekannte vor der Haustür auf, trotz der kalten Januarnacht oft nur im Schlafgewand mit einem hastig darübergezogenen Mantel, um zu erfahren, wie es wirklich im Kursaal gewesen war, wiewohl sie es längst wissen.

      Vorübergehend wird das Kreisstädtchen Teplitz-Schönau, das seit 1918 offiziell Teplice-Sanov heißt, zweisprachig ist, und dessen Häuser sich an die barocke Jöhanniskirche aus dem 12. Jahrhundert anlehnen, zum Nabel der Welt. Von hier aus ziehen sich – zur Freude des Kurdirektors – die Wellenringe der Sensation über die ganze Welt. Der Kurort wird in aller Munde sein, in welcher Sprache man auch immer seinen Namen nennen wird.

      Die Wirtshäuser, die schon vor einer halben Stunde dabei waren, dicht zu machen, sind auf einmal von Neugierigen überfüllt. Kein Mensch schert sich in dieser Nacht um die Polizeistunde, schon weil die Uniformierten, manche aus dem ersten Schlaf gerissen, ausnahmslos unterwegs sind, um mysteriöse Zusammenhänge aufzuklären. Sonst steht immer einer an der Theke, der, ermutigt durch Alkohol, gegen die Meinung im allgemeinen Bierstrom schwimmt, aber heute wagt keiner, Hanussens spiritistische Fähigkeiten anzuzweifeln. Der Mann, dem es offensichtlich gelingt, mit seinem inneren Auge Dinge zu sehen, für die normale Sterbliche blind sind, wird gefeiert – und gefürchtet. Das gelöste Rätsel der Bluttat am Gänsemarkt macht ihnen eine Gänsehaut.

      Nicht nur für die Zecher in den überfüllten Wirtsstuben ist Hanussen ein Hellseher und kein Hochstapler. Tatsächlich sprechen erste Anzeichen dafür, daß es sich bei Hanussens Darstellung nicht um ein Hirngespinst handelt. Journalisten und Zaungäste, die auf der Suche nach der Unfallstelle an den Schienenspuren entlangeilen, stoßen auf die polizeiliche Abriegelung, werden dort zurückgewiesen und bestätigen nunmehr, daß tatsächlich ein junger Mann vom Personenzug überfahren und getötet wurde und daß es sich bei ihm allem Anschein nach um den Bäckergesellen Walter handelt. Plötzlich spricht sich herum, daß die Kellnerin Maria, die Freundin des Selbstmörders, inzwischen von der Polizei zum Nachtverhör abgeholt wurde.

      Vielleicht eilen die Gerüchte ein wenig den Tatsachen voraus, jedenfalls sind sie übereinstimmend. Die ungeduldig erwartete Lokalzeitung wird mit einer halben Stunde Verspätung ausgeliefert und ist, trotz erhöhter Auflage im Nu ausverkauft; sie muß nachgedruckt werden, zum ersten Mal seit ihrem Bestehen.

      Unter der Überschrift

      NOSTRADAMUS 1928

      – es ist eine Anspielung auf den Leibarzt des französischen Königs Karls IX., dessen düstere Prophezeiungen aus dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart weiterwirken – schildert ein mehrspaltiger Bericht Hanussens Auftritt so, wie ihn zum Beispiel auch Staatsanwalt Dr. Swoboda erlebt hat. Auch wenn die Polizei zu Redaktionsschluß die Stichhaltigkeit noch nicht bestätigen könne, spräche doch alles dafür, daß die Behauptungen des Erik-Jan Hanussen durch Tatsachen belegt würden. Absurd wäre unter diesen Umständen der Verdacht auf einen betrügerischen Trick. Es gäbe aber auch keine logische Erklärung des Ereignisses. Der Reporter rettet sich – nicht ungeschickt – in Shakespeares Hamlet und schließt seinen Bericht mit dem Zitat: »Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt.«

      Hanussen hat schon manchen Ärger mit der Presse gehabt, aber als er den Bericht des Lokalanzeigers liest, ist er sicher, daß ihn dieses Mal nicht einmal kritische Zeitungen verspotten können. Er legt das Blatt beiseite, zufrieden wie eine Katze, die ein ganzes Mäusenest ausgenommen hat.

      »Und das ist erst der Anfang«, sagt Juhn, der Sekretär. »Warten Sie mal ab, was morgen erst die großstädtischen Zeitungen schreiben werden.«

      »Seit wann bist auch du Hellseher?« fragt Hanussen lachend.

      »Ich bin Journalist«, erwidert der Helfer und Vertraute des Illusionisten. »Und ich kenne die technischen Gegebenheiten – und meine früheren Kollegen. Alle waren vertreten, und ich weiß auch schon zum Teil, was sie an ihre Redaktionen durchtelefoniert haben.« Der Ex-Reporter aus Wien zündet sich eine Zigarette an. »Diesmal haben Sie sich wirklich selbst übertroffen«, lobt er, ohne zu schmeicheln. »Jedenfalls haben Sie gestern abend sogar mich ausgetrickst.«

      »Und das will etwas heißen«, entgegnet der Meister. »Aber du solltest dich gewählter ausdrücken. Schließlich ist meine Fähigkeit kein Trickwerk.«

      »Selbst ich muß es jetzt wohl glauben«, versetzt der Sekretär, halb ernst, halb spöttisch. »Allmählich werden Sie auch mir unheimlich, Herr Hanussen.«

      Er hört es nicht ungern. An diesem Tag kann man ihm alles sagen. Sonst ist der Magier in seiner Umgebung wegen seiner Marotten und Launen gefürchtet. Der geborene Verschwender kann sich mitunter benehmen wie ein verknöcherter Geizkragen. Er kann verletzend wirken, taktlos, selbst aber beleidigt ihn jeder Anflug von Kritik, eine Mimose, die aggressiv ist. Chef und Sekretär sind schon häufig und heftig aneinandergeraten; nach Meinung des übrigen Hanussen-Gefolges war beim einen oder anderen Schlagabtausch der Bruch nur vermieden worden, weil die beiden gemeinsame Leichen im Keller haben.

      Heute freilich hat Juhn nichts zu befürchten. Es ist einer der Tage, an denen Hanussens gute Laune Purzelbäume schlägt. Er trägt über dem Seidenpyjama einen Morgenmantel mit den riesigen Goldinitialen: EJH, das Monogramm eines Erfolgreichen, der sein Publikum lähmt, narrt, verhext und fasziniert.

      Er hat für sich und seine Begleiter die Beletage des ersten Hauses am Platz gemietet und bewohnt selbst einen Salon mit nebenan liegendem Schlafzimmer. Zur Zeit benutzt die feine Welt Pyjamas und Bettwäsche im gleichen Muster, aber Hanussen, der ständig unterwegs ist, muß damit noch warten, bis er eine feste Residenz haben wird. Der uniforme Snobismus kommt aus Paris, die Seine-Stadt ist in der Mode noch immer führend, aber die Musik spielt in Berlin. Die deutsche Reichshauptstadt gilt weltweit als interessanteste Metropole des Vergnügens.

      Wer etwas erleben will, fährt Ende der zwanziger Jahre nicht ins ›Tivoli‹ nach Kopenhagen, nicht zum Piccadilly-Circus in London, nicht auf den Montmartre in Paris. Er reist an die Spree, bewundert die Zuckungen reizvoller Geschöpfe in der letzten Charleston-Wut,


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