Die beliebtesten Weihnachtsklassiker. Martin Luther

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Die beliebtesten Weihnachtsklassiker - Martin Luther


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im Weiterschreiten erzählt er ihr von sich. Erst zögernd, denn er ist es fast ungewohnt, von sich zu reden, dann mehr für sich selbst, wie es sehr einsame Menschen tun, wenn sie einmal ihr Herz öffnen. Von dem großen Brande, der in einer Nacht das alte Schloß, welches sein Vater an einen reichen, jagdlustigen Herrn vermietet hatte, zerstört hat.

      Wie sein Vater und er Offiziere waren; beide in demselben Regiment. Und wie der alte Oberst es nie verwinden konnte und sich schwere Vorwürfe machte, daß er das Schloß vermietet, um seinem Sohn das Dienen in Berlin möglich zu machen. Und wie sie beide es nicht übers Herz bringen konnten, die Trümmerstätte, die die Heimat so vieler ihres Blutes gewesen war, wiederzusehen. Und wie der Vater starb und er so allein war und in kleinen nordischen Grenzstädten stand, wo die Wolken tief herabhängen und die Walnüsse bereits Südfrüchte geworden sind. Und wie er malte. Zuerst die grauen Wolkenzüge über den nordischen Ebenen und dann, aus der Erinnerung, das Bild des verlorenen Vaterhauses. Und wie alles, was nicht Farben und Malleinwand war, immer mehr ein bitteres Elend wurde und Verbannung und ein nagendes Heimweh nach dem Waldland. Das Heimweh, das die Seele mit grauen Fäden bespinnt und zusammendrückt und von dem nur reden kann, wer es einmal gekannt. Das Heimweh, das nach jedem Stein der Heimat schreit, das nach den fremden Wänden schlagen möchte. Das immer wieder dem Herzen die trauten Bilder vorhält. Wie es war, als die Halde im bittersüßen Duft der Schlehen lag, am ersten heißen Apriltag. Wie der Schloßbrunnen rauschte, in dem sich zuweilen Vogelgetön und die Sonntagsmundharmonika des Stallburschen verfing, daß es an seiner Steinschale ein wunderliches Echo fand, daß es gewiß auf der ganzen Welt keinen solchen singenden Brunnen mehr gab. Wie die Abendsonne auf dem alten Gemäuer lag und aus den Fenstern so viel goldene Augen machte, die ins Waldland hinausblickten. Bis das Bild aus Ton und Farbe und Duft gewoben vor dem Auge steht, daß Kasernenhofmauern und die grauen Ebenen und die Sturmwolken, oder die mitleidlose Sonne an den klarkalten Tagen, die alle Linien starr macht und so unbarmherzig die bittere Kahlheit zeigt, nicht mehr zu ertragen sind. Und wie er plötzlich dort Schluß gemacht. Weil – nein, das sagt er dem Kinde nicht, daß da ein kleiner Revolver lag und nur die Hand eines treuen Burschen den Punkt unter der Geschichte verhinderte. Und wie er nach Berlin auf die Akademie ging und malte.

      Von was er lebte, konnte er schier selbst nicht sagen. Von dem Ertrag seiner Jagd, die er an den Fürsten verpachtet hatte; von dem, was sein Wald zuweilen abwarf, und (wenn das sein Vater noch hätte wissen können!) vom Tapetenzeichnen. Und wie ihm keine Bitterkeit des Deklassierten erspart war. Und wie seine Länge, »der Herr Graf«, der »Leutnant a. D.« und die Härten seiner so ganz allein erworbenen Malweise alle schlechten Witze der langhaarigen Kunstgenossen entfesselten. Wie die nicht Ruhe gaben, bis er einen der windigsten und frechsten Gesellen am Kragen packte und mit ausgerecktem Arm zum Fenster hinaushielt in den Regen, wie der sich auch wand und krümmte. Und das Wohnen in billigen, entlegenen Quartieren, und die ungeheure fürchterliche Einsamkeit, die nirgends qualvoller und entsetzlicher sich aufs Herz legt als in einer Millionenstadt...

      Schon längst hat er vergessen, daß ihm jemand zuhört. Das Kind ist wohl eingeschlafen, es rührt sich nicht mehr. Aber das ist ein Irrtum. Das Kind ist hellwach und nimmt jedes Wort in sein feines Herz auf, wo alles unvergessen liegen und, wenn die Stunde kommt, wieder heraufsteigen wird zu jedermanns Verwunderung. Und das phantastische Köpfchen dichtet Bilder dazu, himmelweit entfernt von der Wirklichkeit, aber doch wahrhaftig, mit der innern Wahrheit der Dinge.

      Und die Kunst ist eine strenge Herrin, und nur selten noch wird ihm die Seligkeit des Gelingens geschenkt. Und wie an einem stickigen Sommerabend, als aus dem Hinterhof die Luft wie ein glüher Brodem voll unguter Düfte heraufstieg, keifende Weiberstimmen, gröhlender Gesang, das jämmerliche Weinen eines verlassenen Kindes die Musik dazu gemacht, und es über ihn kam mit Riesengewalt. Nur noch einmal den Duft des Heus einatmen, wie es der Abendwind auf weichen Schwingen aus dem Tal heraufbringt, nach dem Schloßberg. »Ja, bin ich denn hier angeschmiedet, ist das noch Menschentum oder ist's ein Höllenkäfig, in den wir da zusammengesperrt sind?« In der Nacht noch, nur mit dem, was er gerade hatte, ist er davongegangen. Von Würzburg an reist er wie ein Handwerksbursche. Und wie er davon spricht, ist's nicht viel anders, als es wohl seine Vorfahren, die mit Kaiser Friedrich in der Wüstenglut hungerten und brieten, oder mit den Niederländern in den spanischen Befreiungskriegen im überschwemmten Land halb wie die Frösche lebten, den aufhorchenden Frauen und Kindern am heimatlichen Herde erzählt haben mochten.

      »Und nun das Glück. An einem Regentag komm ich heim; es tropft mir von den Bäumen auf den Kopf und es rauscht und gluckst, und die alten Wolkenfrauen ziehen ihre Schleppen über das Wiesental. Und wie die Linden duften! Es war mir lieb, daß ein Regenschleier die leere Stelle ein wenig verhüllte, wo ehemals das steile dunkle Dach zwischen den Bäumen stand. Es war Abend geworden, und ich dachte: jetzt steigst du noch ein wenig auf dem Schutt herum, daß es dir am Morgen nicht mehr so schrecklich ist. Ich hole mir die Schlüssel beim Förster, denn die Tore stehen ja noch. Der hat eine große Freude und tut mächtig geheimnisvoll. Es knarrt das alte Tor mit dem Ton, den ich so oft im Traum gehört, es ist ganz wie ehemals. Einen Augenblick muß ich noch die Augen zumachen und die Zähne zusammenbeißen vor dem, was kommt, denn jetzt müßte dort die Palaswand aufsteigen, die beiden Hunde hervorstürzen, ich müßte des Vaters Stock hören. Aber wie ich aufschaue, ist's doch wieder ganz anders als ich gedacht. Der Wald hat schon wieder ein wenig Besitz genommen, dort an der Mauerwand rauscht noch unversehrt der Brunnen, ein später Amselschlag hat sich darin verfangen, und er klingt und klingt. Ein wilder Rosenstrauch hängt über dem Brunnen, und eine der Linden lebt auch noch, ohne Krone zwar, an einer Seite kahl, aber die andere hat die treue, gute mit tausend gelben Büschlein behängt. Und es riecht nach Heimat. Der Förster führt mich durch einen Steinwall, den er selbst geschichtet hat, zu einer Stelle, wo herabgestürzte, halb verkohlte Balken ein Dach gebildet haben. Eine rohe Bretterwand, dahinter eine Tür. Die Hofstube tut sich auf. Dort saßen in früheren Zeiten die Knechte, und der ganze große und hohe Raum mit seinen vier tiefen Fensternischen ist unversehrt. Die Fenster verdeckt freilich der Schuttberg. Damals, jetzt nicht mehr. Der grüne Kachelofen steht noch da, der Tisch, die langen Bänke, altes Zinnwerk. Daneben ist noch eine Kammer, wo in früheren Zeiten der Knecht, der die Feuerwache hatte, sich aufhielt. Und da stand noch ein uraltes Bett und ein grünglasiertes Waschbecken. Davon habe ich zuerst Besitz ergriffen, habe mir das am singenden Brunnen gefüllt und mit seinem Wasser mir viel, sehr viel vom Herzen gespült. Und obgleich der Förster, der dies alles im letzten Winter, als er einer Fuchsspur nachging, entdeckt und geheim gehalten hatte, es nicht dulden will, so bin ich die Nacht dageblieben.«

      »O, ich will den singenden Brunnen hören. Nimm mich mit zu dir.«

      »Ja, hast du denn das alles gehört, Seelchen, nun, dann hör auch auf mein Geheimnis. Ich dachte, du schliefest. Wenn es die Leute hörten, wie würden sie über den verrückten Ruinengrafen lachen. In der ersten Nacht schon, wie ich da auf dem alten Knechtsbett lag, habe ich's gewußt. Wer eine solche Heimat hat wie ich, die so vielen lebendigen Herzen einst das Höchste war, um die sie geblutet haben in vielen Schlachten, in deren Frieden ihre Kindlein spielten, in deren Schatten sie sich zur letzten Ruhe legten, der darf sie nicht verlassen, ihr nicht untreu werden, muß an seinem Teil und so gut er es kann, sorgen, daß die, die nach ihm kommen, das köstliche Gut bekommen, das ihm die Alten hinterlassen. Der Thorsteiner, der vor achthundert Jahren mit seinen Bauern die Steine zu dem festen Haus zusammentrug, hat es auch hart gehabt. Vielleicht nicht so hart wie der letzte, der da auf dem Knechtsschragen liegt. Vielleicht. Und wenn er jetzt da hereinschritte, durch die Türe, mit seinem harten braunen Gesicht unter der eisernen Sturmhaube, möcht ich mich nicht unter seinem Blick winden müssen. Und darum ist mir nicht eine Stunde wohl geworden in meiner Haut, von da an, wo ich wußte, daß die Dohlen und Turmkrähen über ihren zerstörten Nestern herumflattern. Sie haben nach mir verlangt, die Väter, und mir keine Ruhe gelassen, und sind hinter mir drein auf der Ebene geritten, wo die Wolken so tief herabhängen. Und wenn ich zwischen den Vorortbahnen und ihren hundert Lichtern und dem Menschengewühl der armen Heimatlosen im Berliner Norden herumstieg, haben sie an mein Herz gestoßen, daß es mir klar wurde, warum die so ruhelos sind, so verbittert, so unstät, so pflichtlos oft. Weil das deutsche Herz nach einer Heimat schreit. Hat es keine mehr, an der noch die Sitten, die Taten, die Leiden der Alten hängen, so muß es suchen gehen und wird unruhig und füllt sich mit allerhand, was es hin und her reißt und nimmer satt werden


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