Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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geheftet. Er hatte sich in einen dunklen Winkel gesetzt; aber allmählich erreichte ihn der höher steigende Mond, und sein Kopf war hell beleuchtet.

      Es war ein Bursche mit aufgewecktem Gesichte, dessen feiner Mund und noch zarte Haut die Jugend verrieten. Er war etwa siebzehn Jahre alt und von einer charakteristischen Schönheit. Sein mageres, langes Gesicht war wie von dem Daumenstrich eines mächtigen Bildhauers geformt; die hügelige Stirne, die vorspringenden Bogen der Augenbrauen, die Adlernase, das breite, flache Kinn, die Wangen mit den vorspringenden Backenknochen verliehen dem Kopfe einen eigenartigen Ausdruck von Kraft und Energie. Mit dem Alter mußte dieser Kopf einen ausgesprochen knochigen Charakter, die Magerkeit eines fahrenden Ritters annehmen. Allein in dieser Zeit erwachender Mannbarkeit, an Kinn und Wangen kaum mit einem schwachen Flaum bedeckt, wurde die Rauheit dieses Kopfes durch gewisse einnehmende Weichheiten gemildert, durch gewisse Winkel des Gesichtes, die noch einen unbestimmten, kindlichen Ausdruck haben. Die Augen von zartschwarzer Färbung, noch in die Unschuld der Jugend getaucht, verliehen diesem energischen Gesicht ebenfalls einen Zug von Sanftmut. Nicht alle Frauen würden diesen Knaben geliebt haben; denn er war weit entfernt von dem, was man einen hübschen Jungen nennt; allein das Ganze seiner Züge zeigte eine so feurige, anziehende Lebendigkeit, eine solche Schönheit der Begeisterung und der Kraft, daß die Dirnen der Gegend, diese heißblütigen Töchter des Südens, wohl von ihm zu träumen begannen, wenn er an schwülen Juliabenden an ihrer Haustüre vorbeikam.

      Auf dem Grabstein sitzend, sann er und sann, ohne zu merken, daß er jetzt ganz im Mondlichte saß. Er war von mittlerer, etwas gedrungener Gestalt. Am Ende seiner stark entwickelten Arme saßen Arbeiterhände, die schon durch die Arbeit abgehärtet waren; die kräftigen Füße staken in groben Bundschuhen. Die Gelenke und die Glieder, die schwerfällige Haltung des Körpers kennzeichneten ihn als Sohn des Volkes; allein in der aufrechten Haltung seines Halses und in dem denkenden Ausdruck der Augen lag gleichsam eine stille Auflehnung gegen die Verrohung durch das Tagewerk, das ihn schon zu Boden zu drücken begann. Es mußte eine verständige Natur sein, ertränkt in der Schwerfälligkeit seines Stammes und seines Berufes; einer jener fein gearteten und auserlesenen Geister, die sich im Fleische selbst kundgeben und darunter leiden, daß sie nicht siegreich und strahlend ihre plumpe Hülle verlassen können. Trotz seiner Kraft schien er schüchtern und zaghaft zu sein; er schämte sich gleichsam unbewußt, sich so unvollständig zu fühlen und nicht zu wissen, wie er sich vervollständigen solle. Ein wackeres Kind, dessen Unwissenheit sich in Begeisterung verwandelt hatte; ein Mannesherz, unterstützt durch die Vernunft eines Knaben, der Hingebung fähig wie ein Weib und dabei mutig wie ein Held. An diesem Abend war er mit Beinkleid und Jacke von grünem Wollsammet bekleidet; ein Hut von weichem Filz, der ihm leicht auf dem Hinterkopfe saß, warf einen Schattenstreif auf seine Stirn.

      Als die benachbarte Turmuhr die halbe Stunde schlug, fuhr er plötzlich aus seiner Träumerei auf. Er sah sich in voller Beleuchtung und schaute sich besorgt um. Mit einer hastigen Bewegung zog er sich in das Dunkel des Schattens zurück, aber er konnte den Faden seiner Träumerei nicht wiederfinden. Er fühlte jetzt, daß seine Hände und Füße froren, und die Unruhe bemächtigte sich seiner von neuem. Er klomm wieder hinan, um einen Blick nach den Jas-Meiffren zu werfen, der still und öde dalag. Als er dann nicht mehr wußte, wie er die Zeit totschlagen solle, holte er unter dem Bretterhaufen seine Flinte hervor und begann, mit dem Hahn zu spielen. Es war ein langer und schwerer Karabiner, der einst ohne Zweifel irgendeinem Schmuggler gehört hatte; an dem dicken Kolben und der starken Schwanzschraube des Laufes erkannte man die einstige Steinschloßflinte, die ein Büchsenmacher der Gegend zu einer modernen Schießwaffe umgewandelt hatte. Auf den Pachthöfen findet man noch solche Karabiner über den Kaminen hängen. Der junge Mensch tändelte mit seiner Waffe; er ließ wohl zwanzigmal den Hahn spielen, fuhr mit dem kleinen Finger in den Lauf und prüfte aufmerksam den Kolben. Allmählich flammte seine jugendliche Begeisterung auf, in die sich ein Zug von Kinderei mengte. Er legte den Karabiner an die Wange und zielte ins Leere wie ein Rekrut, der sich einübt.

      Bald mußte die achte Stunde schlagen. Der junge Mensch hielt seit einer Minute seine Waffe angelegt, als eine Stimme, leise wie ein Hauch, müde und keuchend, aus dem Jas-Meiffren herüber vernehmbar wurde.

      Bist du da, Silvère? fragte die Stimme.

      Silvère ließ das Gewehr fallen und war mit einem Satze auf dem Grabstein.

      Ja, ja, erwiderte er, ebenfalls mit gedämpfter Stimme ... Warte, ich will dir behilflich sein.

      Noch hatte er den Arm nicht ausgestreckt, als der Kopf eines jungen Mädchens über der Mauer erschien. Mit seltener Behendigkeit hatte das Kind den Stamm eines Maulbeerbaumes ergriffen und war emporgeklettert wie ein Kätzchen. An der Sicherheit und Leichtigkeit ihrer Bewegungen konnte man sehen, daß sie mit diesem seltsamen Wege wohl vertraut war. In einem Nu saß sie auf der Mauerkappe. Nun nahm Silvère sie in seine Arme und stellte sie auf die Bank. Allein sie wehrte sich.

      Laß doch, sagte sie mit munterem Lächeln ... Ich kann allein hinab.

      Als sie auf dem Steine stand, fragte sie:

      Wartest du schon lange? ... Ich bin gelaufen ... bin ganz atemlos.

      Silvère antwortete nichts. Er schien zum Lachen nicht gelaunt und betrachtete das Kind mit bekümmerter Miene. Dann setzte er sich zu ihr und sagte:

      Ich wollte dich sehen, Miette, und würde selbst die ganze Nacht auf dich gewartet haben. Morgen mit Tagesanbruch ziehe ich fort.

      Miette hatte inzwischen die im Grase liegende Waffe bemerkt. Sie ward sogleich sehr ernst und flüsterte:

      Ach, es ist also entschieden! ... da ist deine Flinte.

      Sie schwiegen eine Weile.

      Ja, ich gehe, sagte Silvère mit schwankender Stimme ... das ist mein Gewehr ... Ich hielt es für besser, es schon heute abend aus dem Hause zu schaffen; morgen würde Tante Dide vielleicht bemerkt haben, daß ich es wegnehme, und es würde sie beunruhigt haben. Ich will es hier verstecken, und ehe wir aufbrechen, will ich mir es holen.

      Da es schien, als könne Miette die Augen nicht mehr wegwenden von der Waffe, die er törichterweise im Grase hatte liegen lassen, erhob er sich und schob die Flinte von neuem unter den Holzstoß.

      Wir haben heute morgen erfahren, sagte er und nahm neben ihr wieder Platz, daß die Aufständischen von La Palud und von Saint-Martin de Vaulx im Anzuge seien und die letzte Nacht in Alboise zugebracht haben. Es ist beschlossen worden, daß wir uns ihnen anschließen. Heute nachmittag hat ein Teil der Arbeiter von Plassans die Stadt verlassen, die übrigen werden morgen zu ihren Brüdern stoßen.

      Das Wort »Brüder« sprach er mit einer wahrhaft knabenhaften Begeisterung aus. Immer lebhafter werdend fuhr er mit scharf vibrierender Stimme fort:

      Der Kampf wird unvermeidlich; aber das Recht ist auf unserer Seite; wir werden siegen.

      Miette hörte ihm zu und blickte starr vor sich hin. Als er schwieg, sagte sie einfach:

      Es ist gut.

      Nach einer Weile setzte sie hinzu:

      Du hattest mich benachrichtigt ... aber ich hoffte dennoch ... Nun ist's entschieden ...

      Sie fanden keine anderen Worte. Der verlassene Winkel des Werkplatzes, der grüne Weg an der Mauer versank wieder in trübes Schweigen; nur der helle Mond warf den Schatten der Holzstöße rund umher auf das Gras. Die Gruppe der beiden jungen Leute auf dem Grabstein war im bleichen Mondlicht unbeweglich und stumm geworden. Silvère hatte den Arm um den Leib Miettes gelegt, und diese lehnte sich an die Schulter des Burschen. Sie tauschten keine Küsse aus, nur eine Umarmung, in der die Liebe die zärtliche Unschuld einer geschwisterlichen Zuneigung annahm.

      Miette war in einen großen braunen Mantel mit Kapuze gehüllt, der bis zu ihren Füßen hinunter fiel und sie ganz bedeckte. Man sah bloß ihren Kopf und ihre Hände. Die Frauen aus dem Volke, Bäuerinnen und Arbeiterinnen, tragen in der Provence heute noch diese breiten Mäntel, deren Mode eine recht alte sein muß. Wie sie gekommen war, hatte Miette die Kapuze zurückgeworfen. Als heißes junges Blut, das im Freien lebte, trug sie niemals eine Haube. Ihr unbedeckter Kopf hob sich kräftig von der mondbeleuchteten Mauer ab. Es war ein


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