Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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sich zu sagen, daß es Wahnwitz sei, den siegreichen Aufständischen in dieser Weise Trotz zu bieten und dieser nutzlose Heldenmut das größte Unglück über Plassans bringen werde. Gegen drei Uhr entsandten sie eine Abordnung. Peter, der vor Begierde brannte, seinen Mitbürgern seinen Mut zu bekunden, hatte nicht gewagt, auf eine so schöne Gelegenheit zu hoffen.

      Er fand erhabene Worte. In dem Arbeitszimmer des Bürgermeisters empfing der Präsident der einstweiligen Kommission die Abordnung der Neustadt. Die Herren huldigten seinem Patriotismus, baten ihn jedoch, an einen Widerstand nicht zu denken. Er aber sprach mit erhobener Stimme von der Pflicht, vom Vaterlande, von der Ordnung, der Freiheit und anderen erhabenen Dingen. Übrigens zwinge er niemanden, seinem Beispiele zu folgen; er tue ganz einfach, was sein Gewissen, sein Herz ihm gebiete.

      Sie sehen, meine Herren, ich bin allein, schloß er seine Rede. Ich will die ganze Verantwortlichkeit tragen, damit kein anderer außer mir kompromittiert sei. Wenn ein Opfer nötig sei, biete ich mich freiwillig an; ich wünsche, mit meinem Leben das meiner Mitbürger erkaufen zu können.

      Ein Notar, der stärkste Kopf in der Gruppe, bemerkte, daß er dem sicheren Tode entgegengehe.

      Ich weiß es und bin bereit, erwiderte er in ernstem Tone.

      Die Herren schauten einander an. Dieses »Ich bin bereit« erfüllte sie mit Bewunderung. Fürwahr, dieser Mann war tapfer. Der Notar beschwor ihn, die Gendarmen an seine Seite zu nehmen; allein er erwiderte, das Blut dieser Soldaten sei kostbar, und er werde es nur im Falle der äußersten Not vergießen lassen. Langsam und in sehr bewegter Stimmung zog die Abordnung sich zurück. Eine Stunde später sah ganz Plassans in Rougon einen Helden; die Feigsten nannten ihn einen »alten Narren«.

      Gegen Abend sah Peter zu seinem nicht geringen Erstaunen Granoux herbeieilen. Der ehemalige Mandelhändler warf sich in seine Arme, nannte ihn »großer Mann!« und sagte, er wolle »mit ihm sterben«. Die Worte »Ich bin bereit«, welche seine Magd von der Obsthändlerin mit heimbrachte, hatten diese große Begeisterung in ihm hervorgerufen. Dieser scheue, plumpe Mensch hatte solche kindliche Anwandlungen. Peter behielt ihn bei sich und dachte, die Sache habe weiter nichts zu bedeuten. Er war sogar gerührt von der Ergebenheit des armen Mannes und nahm sich vor, ihn öffentlich durch den Präfekten beloben zu lassen, worüber die anderen Spießbürger, die ihn so schmählich verlassen, vor Ärger bersten würden. Und jetzt erwarteten beide in dem verlassenen Rathause die Nacht.

      Zur nämlichen Stunde ging Aristide zu Hause mit sehr unruhiger Miene hin und her. Vuillets Artikel hatte ihn überrascht. Die Haltung seines Vaters verblüffte ihn. Er hatte ihn an einem Fenster in schwarzem Rock und mit weißer Halsbinde gesehen, so ruhig bei der Annäherung der Gefahr, daß alle seine Gedanken in seinem armen Kopfe sich verwirrten. Die Aufständischen würden siegreich zurückkehren, dies war die Meinung der ganzen Stadt. Allein es tauchten Zweifel in ihm auf und er witterte irgendeinen schlimmen Streich. Da er nicht mehr wagte, sich bei seinen Eltern zu zeigen, hatte er seine Frau hingesandt. Als Angela zurückkehrte, sagte sie mit ihrer schleppenden Stimme:

      Deine Mutter erwartet dich; sie ist keineswegs erzürnt, aber es scheint, daß sie sich über dich lustig macht. Sie sagte mir wiederholt, du könntest deine Schärpe wieder in die Tasche stecken.

      Aristide war arg verlegen. Übrigens eilte er nach dem Hause seiner Eltern, zu jeder Unterwerfung bereit. Seine Mutter begnügte sich, ihn mit einem verächtlichen Lachen zu empfangen.

      Ach, mein armer Junge, sprach sie, als sie ihn sah, du bist wahrhaftig nicht sehr klug.

      Kann man denn wissen, was geschieht ... in diesem Neste Plassans? rief er verdrossen. Ich werde ganz dumm, auf Ehre! Man hat keine Nachricht, und alle Welt zittert vor Angst. Das kommt davon, wenn man innerhalb seiner Wälle eingeschlossen ist. Ach! hätte ich doch mit Eugen nach Paris gehen können! ...

      Als er seine Mutter noch immer lachen sah, fügte er bitter hinzu:

      Du warst nicht gut zu mir, Mutter. Ich weiß so manche Dinge ... Mein Bruder hat euch von allen Vorgängen auf dem laufenden erhalten und niemals hast du mir einen Fingerzeig gegeben, der mir von Nutzen hätte sein können.

      Du weißt das? rief Felicité ernst und mißtrauisch. Dann bist du freilich weniger dumm, als ich gedacht. Entsiegelst du vielleicht Briefe wie ein Herr, den ich kenne?

      Nein, aber ich horche an den Türen, erwiderte Aristide keck.

      Diese Offenheit gefiel der alten Frau. Sie lächelte wieder und fragte in sanfterem Tone:

      Wie kommt es dann, daß du dich nicht schon früher uns angeschlossen hast?

      Weil ich wenig Vertrauen zu euch hatte, erwiderte der junge Mann verlegen. Ihr empfinget solche Dummköpfe wie meinen Schwiegervater, Granoux und andere ... Auch wollte ich mich nicht zu weit vorwagen.

      Er zögerte. Dann fuhr er mit unruhiger Stimme fort:

      Seid ihr heute wenigstens des Erfolges des Staatsstreiches sicher?

      Ich bin seiner Sache sicher, erwiderte Felicité, durch die Zweifel ihres Sohnes verletzt.

      Du ließest mir doch sagen, ich möge die Schärpe ablegen?

      Ja, weil die Herren sich über dich lustig machen.

      Aristide blieb nachdenklich stehen und schien die Zeichnung der Tapete sehr aufmerksam zu betrachten. Seine Mutter ward, als sie ihn in dieser unschlüssigen Haltung sah, von einer plötzlichen Unruhe ergriffen.

      Ich komme doch zu meiner ersten Meinung zurück, sprach sie. Du bist nicht recht gescheit. Und da sollte man dich die Briefe Eugens lesen lassen. Unglücklicher! Mit deinem ewigen Schwanken würdest du alles verdorben haben. Du zauderst jetzt noch immer ...

      Ich zaudere? unterbrach er seine Mutter mit einem kühlen, klaren Blick. Da kennst du mich schlecht. Ich würde die Stadt anzünden, wenn ich Lust hätte, mir die Füße zu wärmen. Aber begreife doch, daß ich keinen falschen Weg einschlagen will! Ich bin es müde, mein schweres Brot zu essen und will dem Glück ein Schnippchen schlagen. Ich werde nur sicher gehen.

      Diese Worte hatte er mit einer solchen Erbitterung gesprochen, daß seine Mutter in diesem Heißhunger nach dem Erfolge die Stimme ihres Blutes erkannte.

      Dein Vater ist ein Mann von Mut, murmelte sie.

      Ja, ich habe es gesehen, entgegnete er höhnisch. Er macht eine gute Figur und erinnert an Leonidas in den Thermopylen. Hast du ihm diese Maske zurecht gemacht, Mutter?

      Dann fügte er heiter und mit einer entschlossenen Gebärde hinzu:

      Um so schlimmer! Ich bin Bonapartist ... Papa wird sich gewiß nicht dem Tode aussetzen, wenn die Sache nicht sehr einträglich ist.

      Du hast recht, sagte seine Mutter. Ich darf nicht reden, aber morgen wirst du mehr sehen.

      Er drang nicht in sie, aber schwur, daß sie bald stolz auf ihn sein solle; dann ging er. Felicité blickte ihm vom Fenster aus nach; die alte Vorliebe für ihn erwachte wieder, und sie sagte sich, daß er einen verteufelten Verstand habe und sie nicht den Mut finden werde, ihn den unrichtigen Weg einschlagen zu lassen.

      Zum dritten Male senkte sich die Nacht über Plassans herab, eine Nacht voll Angst und Schrecken. Die Stadt lag in den letzten Zügen. Die Bürger eilten nach Hause und verrammelten ihre Häuser mit einem lauten Geräusch von Riegeln und Eisenstangen. Die allgemeine Meinung war die, daß Plassans am nächsten Tage nicht mehr bestehen, daß die Stadt entweder in der Erde versunken oder in Dunst aufgegangen sein werde. Als Rougon zum Essen heimkehrte, fand er die Straße verödet. Diese Einsamkeit stimmte ihn traurig. Es überkam ihn denn auch bei Tische eine Anwandlung von Schwäche und er fragte seine Frau, ob es nötig sei, den durch Macquart vorbereiteten Aufstand vor sich gehen zu lassen.

      Man kläfft nicht mehr gegen uns, sagte er. Wenn du gesehen hättest, mit welcher Ehrfurcht die Herren von der Neustadt mich begrüßt haben ... Es scheint mir nunmehr unnötig, Leute zu töten. Wie denkst du? Wir werden unser Schäfchen auch so ins trockene bringen.

      Ach, was bist du für ein Schwächling! rief Felicité wütend. Du hattest den Einfall, und jetzt


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