Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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Mädchen, das gesagt hatte: »Ich schwöre Ihnen, daß ich noch eine Jungfrau bin.«

      Er dachte: »Das ist mir wirklich ganz gleichgültig.«

      V

       Inhaltsverzeichnis

      Der Herbst war gekommen. Die Du Roys waren den ganzen Sommer in Paris geblieben und führten während der kurzen Kammerferien einen energischen Feldzug zugunsten der neuen Regierung.

      Zwar war es erst Anfang Oktober; aber die Kammer hatte bereits ihre Sitzungen wieder aufgenommen, denn die Marokkoaffäre wurde immer ernster und verwickelter. Eigentlich glaubte ja niemand an die Expedition nach Tanger. Obwohl am Tage, wo das Parlament auf Ferien ging, ein Abgeordneter der Rechten, Graf Lambert-Sarrazin, in einer geistreichen Rede, die sogar im Zentrum Beifall fand, erklärt hatte, er wolle — wie einst ein berühmter Vizekönig von Indien — mit seinem Schnurrbart gegen den Backenbart des Ministerpräsidenten wetten, daß das neue Kabinett genau so handeln würde wie das frühere, und auch ein Expeditionskorps nach Tanger schicken würde, wie einst nach Tunis, schon der Symmetrie wegen, wie man zwei Vasen auf einen Kamin stellt.

      Er fügte noch hinzu: »Die afrikanischen Länder sind für Frankreich tatsächlich ein Kamin, meine Herren, ein Kamin, der gut zieht und unser bestes Holz verzehrt und den man mit Bankaktien heizen muß. Sie haben sich die Laune gestattet, die linke Ecke mit einer tunesischen Kostbarkeit zu schmücken, die Ihnen teuer zu stehen kommt, nun werden Sie sehen, daß Herr Marot seinen Vorgänger nachahmen und auch die rechte Ecke mit einer Kostbarkeit schmücken wird.

      Diese Rede war berühmt geworden. Du Roy hatte im Anschluß daran zehn Artikel über die Kolonisation Algiers veröffentlicht; die ganze Serie, die er bei Beginn seiner Journalistenlaufbahn unterbrechen mußte. Er trat energisch für eine militärische Expedition ein, obwohl er überzeugt war, daß sie niemals stattfinden würde. Er gebärdete sich überpatriotisch und überschüttete Spanien mit allen möglichen beleidigenden und verächtlichen Bemerkungen, die man gegen Völker gebraucht, deren Interessen den eigenen zuwiderlaufen.

      Die Vie Française hatte durch die Beziehung zu der herrschenden Staatsgewalt außerordentliches Ansehen und Bedeutung gewonnen. Sie brachte die politischen Neuigkeiten früher als die maßgebenden altbewährten Blätter und legte die Absichten der ihr befreundeten Minister durch verschiedene Redewendungen klar; fast alle Pariser und Provinzzeitungen bezogen aus ihr ihre Informationen. Man zitierte sie, man fürchtete sie und begann sie sogar zu achten. Sie war nicht mehr das verdächtige Organ einer Gruppe politisierender Börsenspekulanten, sondern das anerkannte Organ, das dem Ministerium nahestand. Laroche-Mathieu war die Seele der Zeitung und Du Roy sein Sprachrohr. Vater Walter, der stumme Deputierte, und gerissene Zeitungsdirektor, hielt sich im Hintergrund, und man erzählte, daß er sich im stillen mit einem großen Kupferminengeschäft in Marokko beschäftige.

      Der Salon Madeleines war zu einem einflußreichen Mittelpunkt geworden, wo man allwöchentlich einige Mitglieder des Ministeriums traf. Der Ministerpräsident hatte sogar zweimal bei ihr gespeist, und die Frauen der Staatsmänner, die früher kaum über die Schwelle ihrer Wohnung traten, rühmten sich jetzt, ihre Freundinnen zu sein und kamen öfter zu ihr, als sie zu ihnen.

      Der Minister des Äußeren war beinahe Herr bei ihr im Hause geworden. Er kam zu jeder Tageszeit, brachte Telegramme, Nachrichten und verschiedene Informationen mit. Er diktierte sie bald dem Manne, bald der Frau des Hauses, als wären sie beide seine Sekretäre. Blieb Du Roy, nachdem der Minister fortgegangen war, mit seiner Frau allein, so ging er mit drohender Stimme und perfiden Andeutungen gegen das Benehmen dieses mittelmäßigen Emporkömmlings los. Sie zuckte aber verächtlich die Achseln und sagte immer wieder:

      »Mach’ du es ebenso. Werde Minister, da kannst du alles nach deinem Belieben leiten. Bis dahin mußt du schweigen.« Er drehte seinen Schnurrbart und warf auf sie von der Seite einen Blick.

      »Man weiß noch gar nicht, wozu ich fähig bin,« sagte er, »aber eines Tages wird man es vielleicht erfahren.«

      Sie antwortete mit philosophischer Ruhe:

      »Die Zukunft wird es zeigen.«

      Am Morgen der Wiedereröffnung der Kammer lag die junge Frau noch im Bett und gab ihrem Gatten, der sich für das Frühstück bei Laroche-Mathieu ankleidete, tausend Verhaltungsmaßregeln, um noch vor Beginn der Sitzung von ihm die nötigen Instruktionen für den Leitartikel einzuholen, der am nächsten Tage in der Vie Française als offiziöse Darstellung der wirklichen Absichten des Kabinetts veröffentlicht werden sollte.

      Madeleine sagte: »Vor allen Dingen vergiß nicht, ihn zu fragen, ob der General Belloncle tatsächlich nach Oran entsandt worden ist, wie das behauptet wurde. Das wäre von größter Bedeutung.«

      Er wurde nervös und ungeduldig.

      »Ich weiß doch genau so gut wie du, was ich tun soll. Höre doch mal auf, alles hundertmal zu wiederholen und laß mich damit endlich zufrieden!«

      »Mein Lieber,« erwiderte sie ruhig, »du vergißt immer die Hälfte von dem, was du dem Minister ausrichten sollst.« .

      »Dein Minister geht mir auf die Nerven,« brummte er, »er ist ein Hanswurst.«

      Sie antwortete ohne jede Erregung:

      »Er ist genau so dein Minister wie der meine. Er ist dir sogar nützlicher als mir.«

      Er drehte sich zu ihr um und lächelte höhnisch:

      »Verzeihung;, mir macht er nicht den Hof.«

      »Mir auch nicht,« antwortete sie langsam, »aber er läßt uns reich werden.«

      Er schwieg und sagte dann nach einer kurzen Pause: »Wenn ich unter deinen Verehrern zu wählen hätte, so wäre mir der alte Narr de Vaudrec doch noch lieber. Was ist eigentlich mit ihm los? Ich habe ihn seit acht Tagen nicht gesehen.«

      Sie antwortete, ohne sich aufzuregen:

      »Er ist leidend. Er schrieb mir, daß er einen Gichtanfall gehabt hätte und das Bett hüten müßte. Du solltest bei ihm vorbeigehen und dich nach seinem Befinden erkundigen. Du weißt doch, er hat dich sehr gern, und es würde ihm sicher Freude machen.«

      »Ja, gewiß,« erwiderte Georges, »sobald ich kann, gehe ich hin.«

      Er war mit seiner Toilette zu Ende, setzte seinen Hut auf und suchte herum, ob er nichts vergessen hatte. Er fand nichts, näherte sich seiner Frau und gab ihr einen Kuß auf die Stirn:

      »Auf Wiedersehen, mein Liebling, ich werde nicht vor sieben zurück sein.«

      Dann ging er fort.

      Herr Laroche-Mathieu erwartete ihn bereits, denn an diesem Tage frühstückte er um zehn Uhr. Der Ministerrat sollte um zwölf, noch vor der Parlamentseröffnung, zusammentreten.

      Frau Laroche-Mathieu wollte zur gewohnten Zeit frühstücken, und so war außer ihnen beiden nur noch der Privatsekretär des Ministers bei Tisch. Du Roy begann von seinem Artikel zu sprechen, gab dessen Richtlinien an, stellte dem Minister einige Fragen und kritzelte ein paar Notizen auf seine Visitenkarte; als er fertig war, fragte er:

      »Wollen Sie noch etwas ändern, verehrter Minister?«

      »Sehr wenig, mein lieber Freund. Vielleicht sind Ihre Angaben über die Marokkofrage etwas zu positiv. Behandeln Sie die Sache so, als ob die Expedition stattfinden würde; aber andererseits lassen Sie deutlich durchblicken, das nichts Derartiges geschehen wird, und daß Sie selbstverständlich nicht daran glauben. Geben Sie dem Publikum zu verstehen — wir denken nicht daran, uns in dieses Abenteuer einzulassen.«

      »Sehr gut, ich habe es verstanden und werde es den Lesern auch verständlich machen. Meine Frau bat mich noch, Sie zu fragen, ob der General Belloncle nach Oran geschickt würde. Nach dem, was Sie mir eben erklärt haben, nehme ich wohl an, daß es nicht der Fall ist.«

      Der Staatsmann erwiderte:

      »Nein.«


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