Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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sie die Warme ihrer Körper fühlten, indem sich ihre Liebe vermischte mit der süßen Klarheit der Sommernacht, so beide eins, daß sie allein durch die Macht ihrer Neigung die geheimsten Gedanken des andern errieten.

      Und das würde immer so weiter gehen in unendlicher nie sich lösender Liebe.

      Und plötzlich war es ihr, als fühlte sie ihn an ihrer Seite, und ein jäher Hauch der Sinnlichkeit lief ihr von Kopf zu Fuß. Mit unwillkürlicher Bewegung preßte sie die Arme gegen die Brust, als wollte sie ihren Traum umarmen, und ihre Lippen, die sie dem Unbekannten entgegenstreckte, streifte etwas, daß sie beinahe die Sinne verlor, als ob der Hauch des Frühlings sie mit dem Kuß der Liebe berührt.

      Plötzlich hörte sie, ganz weit, hinter dem Schlosse, auf der Straße, Schritte, und sie dachte in jähem Aufschwung ihrer verzückten Seele, in fanatischem Glauben an das Unmögliche, an Wunder der Vorsehung, an göttliche Ahnung, an romantische Schicksalsfügungen: »Wenn er es wäre!«

      Ängstlich lauschte sie auf den gleichmäßigen Schritt des Fußgängers, und sie wußte, daß er am Gitter stehen bleiben und Einlaß begehren würde.

      Als er vorüber war, fühlte sie sich traurig wie nach einer Enttäuschung, aber sie sah die Überspanntheit ihrer Erwartung ein und lächelte über den Unsinn. Dann ward sie etwas ruhiger und dachte in vernünftiger Weise über ihre Zukunft nach, wie sich ihr Schicksal wohl gestalten würde.

      Sie würde mit ihm hier leben, in diesem stillen Schloß, am Meer.

      Zwei Kinder würden sie haben, einen Sohn für ihn, ein Mädchen für sie selbst, und sie sah sie schon vor sich im Grase herumlaufen, zwischen der Platane und der Linde, während Vater und Mutter ihnen mit entzückten Augen folgten, indem sie über ihre Köpfe hinweg Blicke der Leidenschafb wechselten.

      Und lange, lange blieb sie so am Fenster träumend stehen, während der Mond, indem er seine Reise durch die Himmelsweiten vollendete, ins Meer versank.

      Die Luft wurde frischer, gen Osten erbleichte der Himmel. Im Meierhof rechts krähte ein Hahn, andere antworteten im Hofe links. Ihre heiseren Stimmen schienen von weit her zu kommen aus dem Verschlag des Hühnerhofes, und an der unendlichen Himmelswölbung, die unmerklich heller ward, erbleichten die Sterne.

      Ein leiser Vogelruf klang von irgend woher, leise antwortete es aus dem Blättermeer, dann wurden die Stimmen kräftiger, fröhlicher und schallten von Ast zu Ast, von Baum zu Baum.

      Johanna sah sich plötzlich in der Tageshelle, und indem sie den Kopf hob, den sie in den Händen verborgen hatte, schloß sie die Augen, geblendet vom Morgenrot.

      Ein großer, purpurner Wolkenberg, zum Teil hinter der großen Pappelallee verborgen, warf einen blutigen Schein auf die erwachende Erde.

      Und langsam erschien, die hellen Wolken durchbrechend, die Bäume, die Ebenen, den Ozean, den ganzen Horizont in Feuer tauchend, die mächtige leuchtende Kugel.

      Johanna fühlte sich ganz närrisch vor Glück, unsägliche Freude, unendliche Ergriffenheit vor der Schönheit der Welt erfüllte ihr schwaches Herz. Das war ihre Sonne, ihr Morgenrot, der Beginn ihres Lebens, der Aufgang ihrer Hoffnungen. Sie streckte die Arme in die stille Weite hinaus, als wollte sie die Sonne zu sich ziehen. Sie wollte sprechen, irgend etwas Göttliches in diese erwachende Welt hinausrufen, aber in ohnmächtiger Begeisterung blieb sie stumm.

      Da ließ sie die Stirne in die Hände sinken, Thränen stiegen auf in ihren Augen, und ein glückseliges Weinen kam über sie.

      Als sie den Kopf wieder hob, waren die Wunder des anbrechenden Tages schon verschwunden. Sie fühlte sich etwas ruhiger, ein wenig müde, wie erkältet. Ohne das Fenster zu schließen warf sie sich auf das Bett, träumte noch ein paar Minuten und schlief dann so fest ein, daß sie um acht Uhr das Rufen ihres Vaters nicht hörte und erst erwachte, als er ins Zimmer kam.

      Er wollte ihr die Verschönerungen des Schlosses, ihres Schlosses zeigen.

      Die Façade, die nach dem Lande zuging, war von der Straße durch einen breiten, mit Apfelbäumen bepflanzten Hof getrennt. Diese Straße, der sogenannte Gemeindeweg, der zwischen den Gehöften der Bauern hinlief, traf eine Meile weiter auf die große Landstraße von Havre nach Fécamp.

      Eine gerade Allee führte vom hölzernen Thor bis an die Rampe.

      Die Wirtschaftshäuser, kleine Gebäude aus unbehauenen Steinen, mit Stroh gedeckt, lagen zu beiden Seiten des Hofes, längs der Gräben, die die Grenze der Meierhöfe bildeten.

      Die Dächer waren ausgebessert, das Fachwerk repariert, die Mauern ausgebessert, die Zimmer neu tapeziert, im Innern alles frisch gestrichen, und auf dem alten gedunkelten Schloß hoben sich wie Flecken in silbernem Weiß die frisch gestrichenen Fensterläden und der Gypsbewurf auf der großen, angegrauten Facade ab.

      Auf der andern Seite, wo die Fenster von Johanna lagen, hatte man den Blick über Buschwerk und die Reihe oer vom Wind zerzausten Ulmen, nach dem Meer.

      Johanna und der Baron besichtigten alles Arm in Arm, ohne einen Winkel zu vergessen. Dann gingen sie durch die lange Pappelallee, die das, was man einen Park nannte, umschloß; unter den Bäumen wuchs das Gras wie ein grüner Teppich. Sie schritten auf und ab im kleinen Hain am andern Ende, auf seinen geschlängelten Wegen, die durch Blattpflanze von einander getrennt waren. Plötzlich sprang ein Hase auf, sodaß das junge Mädchen erschrak, setzte über den Graben und ward flüchtig nach der Küste zu in die Binsen.

      Nach dem Frühstück schlug der Baron, da Frau Adelaide noch zu müde war, sich ausruhen wollte und doch unsichtbar blieb, vor, bis Yport zu gehen.

      Sie machten sich auf und durchschritten zuerst Etouvent, wo die Besitzung lag. Drei Bauern grüßten, als ob sie sie seit langer Zeit schon kennten.

      Sie traten in das sich zum Meer hinabziehende Gehölz, indem sie im Bogen einem Thale folgten. Bald erschien das Dorf Yport. Vor den Häusern saßen auf den Schwellen Frauen, die ihre Kleider ausbesserten und ihnen nachblickten. Die schief geneigte Straße, mit der Gosse in der Mitte und den Misthaufen vor den Thüren strömte einen starken Fisch-Geruch aus. An den Thüren der Hütten trockneten braune Netze, in denen hier und da, wie Silbergeld leuchtende Schuppen hängen geblieben waren.

      Aus den Häusern strömte jener Armeleuteduft, der entsteht, wenn zahlreiche Familien in einem einzigen Raum zusammengepfercht hausen.

      Ein paar wilde Tauben spazierten am Rande der Gosse auf und ab und suchten sich Nahrung.

      Johanna beobachtete das alles, und es erschien ihr seltsam und neu, wie ein Schauspiel im Theater.

      Aber als sie um eine Mauer bogen, erblickte sie plötzlich das Meer, das dunkelblau und eben sich vor ihr ausdehnte, soweit das Auge reichte. Am Strande blieben sie stehen, um den Anblick zu genießen. Weiße Segel, wie die Flügel eines Vogels, zogen in weiter Ferne dahin. Rechts und links erhob sich der hohe Klippenrand, auf der einen Seite wurde der Blick durch eine Art Vorgebirge aufgehalten, während sich auf der andern Seite das Ufer bis in die Unendlichkeit fortsetzte, sodaß es nur noch eine unbestimmte Linie war.

      In einem der nächsten Einschnitte der Küste erschien ein Hafen mit einzelnen Häusern, und mit leisem Plätschern rollten ganz kleine Wellchen, die wie eine Franze aus Schaum das Meer einsäumten, an den Strand.

      Die Fischerboote waren auf den mit runden Steinen bedeckten Strand gezogen und lagen auf der Seite, indem sie ihre runden, mit Theer gestrichenen Wangen zur Sonne wandten. Ein paar Fischer setzten sie in Stand für den abendlichen Fischfang.

      Ein Matrose kam heran, Fische zu verkaufen, und Johanna erstand eine Butte, die sie selbst gleich mitnehmen wollte. Da bot sich der Mann zu Segelfahrten auf dem Meere an, indem er seinen Namen mehrmals wiederholte, daß sie sich ihn merken sollten. »Lastique, Joseph Lastique!«

      Der Baron versprach, ihn nicht zu vergessen, und sie kehrten zum Schloß zurück.

      Da der große Fisch Johanna zu schwer wurde, steckte sie ihm den Spazierstock des Vaters durch die Kiemen, und jedes packte an einem Ende an.

      Fröhlich schritten sie dahin, die Küste hinan, schwatzend


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