Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:

      »Das ist nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«

      Und plötzlich umarmte sie ihn; dann blickten sie sich an, Sie war ein wenig magerer, blasser, sah aber frisch wie immer aus, vielleicht noch hübscher und zarter als sonst. Sie sagte:

      »Es ist furchtbar, er weiß, daß er verloren ist und er tyrannisiert mich jetzt. Ich habe ihm gesagt, daß Sie kommen würden. Aber wo ist denn Ihr Koffer?«

      Duroy antwortete:

      »Den habe ich auf der Bahn gelassen. Ich wußte ja nicht in welchem Hotel ich absteigen sollte, um in Ihrer Nähe zu sein.«

      Sie zögerte, dann sagte sie:

      »Sie wohnen natürlich hier in der Villa. Ihr Zimmer wartet schon auf Sie. Er kann jeden Augenblick sterben und wenn das etwa in der Nacht geschähe, wäre ich ganz allein. Ich werde Ihr Gepäck holen lassen.«

      Er verbeugte sich:

      »Wie Sie wünschen!«

      »So, nun wollen wir hinauf gehen.«

      Sie öffnete eine Thür, und Duroy gewahrte in einem Lehnstuhl in Decken eingehüllt, fahl beim rötlichen Licht der untergehenden Sonne, eine Art lebende Leiche, die ihn anblickte. Er kannte ihn kaum wieder. Er riet eigentlich mehr, daß das sein Freund sei.

      Man roch förmlich im Zimmer das Fieber, Thee, Äther, Theer, diesen unerklärlichen schweren Duft der Zimmer, in denen ein Lungenkranker atmet.

      Forestier hob mühsam die Hand und sagte langsam:

      »Da bist Du ja, Du bist gekommen mich sterben zu sehen. Ich danke Dir.«

      Duroy that, als nähme er es nicht ernst:

      »Dich sterben zu sehen? Na, das war nicht sehr spaßig. Dazu bin ich doch nicht gerade nach Cannes gekommen. Ich will Dir bloß guten Tag sagen und mich ein wenig ausruhen.«

      Der andere murmelte:

      »Setz Dich!« Und er senkte den Kopf und vertiefte sich in verzweifelte Gedanken.

      Sein Atem ging keuchend, stoßweise, und ab und zu seufzte er laut, als wollte er den andern in Erinnerung bringen, wie krank er sei.

      Als sie sahen, daß er nicht sprach, lehnte sich seine Frau ans Fenster, deutete mit einer Bewegung hinaus und sagte:

      – Da sehen Sie mal, ist das nicht schön?

      Ihnen gegenüber zogen sich die Villen-übersäten Höhenzüge bis hinunter an die Stadt, die in einem Halbkreis am Gestade lagerte, mit dem Kopf so zu sagen am Hafendamm, über dem sich die alte Stadt erhob, von einem alten Wartturm überragt, die Füße an der Landzunge von La Croisette, den Inseln von Lérins gegenüber.

      Diese Inseln sahen wie zwei grüne Flecke aus, im tiefblauen Wasser. Es war als ob sie gleich zwei Riesenblättern auf dem Wasser schwömmen, so flach schauten sie von oben aus. Und ganz in der Ferne schloß auf der andern Seite des Golfes über Damm und Wartturm eine lange Reihe von blauen Bergen den Horizont. Sie zeichneten sich in bizarren, reizenden Gipfelformen vom hellen Himmel ab, bald in runden Kuppen, bald in Hörnern und Spitzen. Die Kette schloß mit einem großen, pyramidenförmigen Berg, dessen Fuß in’s Meer tauchte.

      Frau Forestier zeigte daraufhin:

      – Das ist der Estherel.

      Der Himmel hinter den dunklen Bergen war rot, von einem blutigen, goldnen Rot, dessen Blendung das Auge nicht lange ertragen konnte.

      Dieser Sonnenuntergang machte sogar auf Duroy Eindruck.

      Und er sagte, weil er keinen besseren Ausdruck fand um seine Bewegung in Worte zu kleiden:

      – Ja, das ist kolossal!

      Forestier hob den Kopf gegen seine Frau und bat:

      – Etwas frische Luft!

      Sie antwortete:

      – Nimm Dich in Acht, die Sonne geht schon unter, Du wirst Dich wieder erkälten, und Du weißt, daß Du das bei Deinem Gesundheitszustand nicht darfst.

      Er machte mit der rechten Hand eine schwache, fieberhafte Bewegung, als wollte er die Fäuste ballen, und murmelte mit zornigem Blick und indem es wie Todesqualen um seine schmalen Lippen und die eingefallenen Wangen mit den vorspringenden Backenknochen zuckte:

      – Ich sage Dir, ich ersticke, es kann Dir doch ganz gleich sein, ob ich einen Tag eher oder später sterbe, wenn ich so wie so in die Binsen gehen muß.

      Sie öffnete weit das Fenster. Die Luft, die herein drang, berührte sie alle wie eine Liebkosung. Es war eine friedliche, warme, weiche Brise, ein Frühlingswind, der schon den berauschenden Duft der Sträucher nnd Blumen mit sich trug, die an diesem Gestade wachsen.

      Man konnte deutlich den strengen Harzgeruch und den scharfen Duft des Eukalyptus unterscheiden.

      Forestier sog die Luft mit kurzen, fieberhaften Atemzügen ein. Er krallte sich mit den Nägeln an der Stuhllehne fest und sagte mit leiser, pfeifender Stimme, aus der die Wut klang:

      – Mach’s Fenster zu, es thut mir weh! Da will ich doch lieber noch im Keller krepieren.

      Seine Frau schloß langsam das Fenster, dann blickte sie, die Stirn an die Scheiben gepreßt, in die Ferne.

      Duroy war die Situation peinlich. Er hätte gern mit bem Kranken ein Wort gewechselt und ihn beruhigt; aber er konnte keine passende Anrede finden, und so sagte er stammelnd:

      – Also geht es Dir nicht besser seitdem Du hier bist? Der andere zuckte ungeduldig mit den Schultern:

      – Das siehst Du doch! – und senkte wieder den Kopf. Duroy meinte:

      – Ach im Vergleich zu Paris ist es hier wundervoll. In Paris ist noch voller Winter, es schneit, es hagelt, es regnet, es ist so dunkel, daß man schon um drei Uhr nachmittags die Lampe anstecken muß.

      Forestier fragte:

      – Giebt’s bei der Zeitung was Neues?

      – Nichts Neues! Für Deine Arbeit hat man sich den kleinen Lacrin, der beim Voltaire war, geholt; aber der ist noch nicht so weit, es ist die höchste Zeit, daß Du wiederkommst.

      Der Kranke brummte:

      – Ich werde bald meine Artikel sechs Fuß unter der Erde schreiben.

      Die fixe Idee tönte wie eine Glocke bei jeder Gelegenheit aus allem, was er dachte und sprach:

      Es entstand eine lange Pause, ein schmerzliches; tiefes Schweigen. Langsam erlosch draußen die Glut des Sonnenuntergangs, und dunkel zeichneten sich die Berge an dem in gleißendem Rot versinkenden Himmel ab. Ein farbiger Lichtstreifen, der Anbruch der Nacht, bei dem die Helle noch einmal aufflackert wie das Feuer im Kamin, ehe es erlischt, fiel in das Zimmer und schien Möbel, Wände, Tapeten mit dunklem Purpur zu überziehen. Der Spiegel auf dem Kamin, der im Widerschein erglänzte, sah aus wie eine blutigrote Platte.

      Frau Forestier bewegte sich nicht. Sie stand noch immer, den Rücken zum Zimmer gewandt, die Stirn an die Scheiben gepreßt, am Fenster.

      Forestier fing an zu sprechen mit abgehackter Stimme, außer Atem, schrecklich anzuhören:

      – Wie oft sehe ich noch so einen Sonnenuntergang? Achtmal, zehn, vierzehn, zwanzig, vielleicht dreißig Mal, nicht mehr. Ihr habt noch Zeit, für mich ist es aus, und wenn ich einmal weg bin, geht’s ruhig so weiter, als ob ich noch da wäre.

      Er schwieg ein paar Minuten, dann sagte er:

      – Alles, was ich sehe, erinnert mich daran, daß ich es in ein paar Tagen nicht mehr sehen werde! Es ist furchtbar. Ich werde nichts wiedersehen, nichts von allem, was es giebt, nichts von allem, was wir brauchen, Gläser, Teller, das Bett in dem es sich so schön ruht, der Wagen – ach, es ist so schön, abends spazieren zu fahren, ich hatte es so gern.

      Er machte mit den Fingern beider Hände eine leichte, nervöse Bewegung,


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