Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder. Alexis Willibald

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Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder - Alexis Willibald


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in manchen schwierigen Fällen auftrat. »Fein schwarz gekleidet, damals jung und von sehr ehrbarem Aussehen«, wie sich die Gottfried bei ihrem lebhaften Gedächtnis für alles Äußerliche noch im Gefängnis entsann, erschien der Brautwerber beim alten Timm und brachte in zierlichsteifen Worten seinen Antrag vor. Der künftige Reichtum des einzigen Erben, das große Miltenbergsche Haus, für das schon einmal zwanzigtausend Taler geboten worden wären und auf dem nur tausend Taler hypothekarisch lasteten, das köstliche Mobiliar, die Gemäldesammlung, in der sich Stücke von dreihundert Taler Wert befänden, das alles glänzte dergestalt in der Rede, daß Vater und Mutter Timm vor Freude zitterten und auch nicht an die Möglichkeit einer abschlägigen Antwort dachten. Die Tochter ward hereingerufen, um ihr Glück zu erfahren, und die Tränen, die sie vergoß, galten als eine Einwilligung, an der überdies bei dem Verhältnis zwischen Eltern und Tochter die ersteren nicht im entferntesten zweifeln konnten.

      Das glücklichste Ereignis ihres Lebens, wofür die drei es hielten, ward nicht von jedermann so angesehen. Timms Freunde schüttelten bedenklich den Kopf und hielten es für eine große Torheit, daß er das tugendhafte, schöne Mädchen um Geldes willen mit dem wüsten, entnervten und leichtsinnigen Menschen zusammenkuppelte. Die Mutter erwiderte, wenn die jungen Leute nur Brot hätten, würde alles übrige schon von selbst kommen.

      Der verwüstete Haushalt bei Miltenbergs verlangte eine schnelle Änderung. Die Heirat wurde am 6. März 1806 feierlich begangen, und obgleich die Gottfried sich der kleinsten äußeren Umstände entsann, z. B. der ersten seidenen Strümpfe, die ihr der Bruder aus Hamburg schickte, und der Ermahnungen der Freunde, daß ihr Mann nicht weinen solle, so erinnerte sie sich weder der Trauungsrede noch des Predigers, der sie verband. Die Trauung fand in Miltenbergs Hause, und zwar in der großen Hinterstube mit den Ölgemälden, statt. Über dem Kopfe der Braut hing die Mutter Jesu mit dem Kinde, rechts ein Abendmahl, links ein Petruskopf. Es war dieselbe Stelle, wo sie später ihre Mutter vergiftete.

      Diese Ehe konnte nur das Selbstgefühl der jungen Frau nähren. Durch Sitte, Bildung, Achtung vor der Welt, Verstand und Lieblichkeit weit über ihrem Gatten stehend, war sie wie von selbst die Herrin im Hause, Sie war die Wiederherstellerin der Ordnung und des Friedens zwischen Vater und Sohn. Beide erkannten es, und sich in Dank erschöpfend, opferten sie täglich am Altare ihrer Eitelkeit. Miltenberg, so oft durch die Schande seiner ersten Frau von den Leuten aufs tiefste beschämt, setzte seinen Stolz darein, die junge schöne zweite Frau zu einer vornehmen Dame zu machen. Er fühlte sich um so mehr verpflichtet, sie äußerlich, so hoch zu stellen, da er ihrer Jugendfrische nur einen entnervten Körper und einen abgestumpften Geist entgegensetzen konnte, ja nicht einmal so viel Macht über sich selbst besaß, mit dem Besitz des schönen Weibes zufrieden zu sein und seiner früheren Lebensart, dem Umhertreiben in den Schenken und Klubs, und seinen gewohnten Ausschweifungen zu entsagen.

      Die liebebedürftige Jungfrau konnte nichts für diesen Mann empfinden, sie mußte im Stolz auf ihre äußerliche glückliche Lage, in ihrer befriedigten Eitelkeit den Ersatz suchen. Er verreiste und kam schlaff und gleichgültig wieder.

      Statt der Liebe brachte er ihr eine Verehrung entgegen, die ihr Herz nicht wärmte. Prächtige Kleider, Damenhüte, alle möglichen rauschenden Vergnügungen mußten die Leere ihres Herzens füllen, und sie verdrängten die stillen und frommen Gefühle, welche im elterlichen Hause gepflegt worden waren.

      Auch ihre Eltern erkannten zu spät, was ihrer Tochter zum Glück fehlte. Auch sie bemühten sich, es sie vergessen zu machen, indem sie ihre Miltenbergin (wie sie von der Mutter genannt wurde, die den gemein klingenden Namen Gescha umgehen wollte) selbst zu lärmenden Lustbarkeiten geleiteten. So besuchten sie namentlich zu diesem Zwecke wieder die schon erwähnten Korporalsmahlzeiten.

      Der junge Miltenberg hatte von ungefähr beim Glase Wein mit einem lebensfrohen jungen Weinreisenden namens Gottfried Freundschaft geschlossen. Gottfried war bei einer Korporalsmahlzeit der gefällige, liebenswürdige Nachbar der Madame Miltenberg; nachher beim Tanze wurde er ihr Tänzer, und zwar ihr alleiniger Tänzer während des ganzen Balles. Die Mutter flüsterte ihr warnend zu: »Ich glaube, dein Mann ist unzufrieden über dich«. Der Vater kam am anderen Morgen zur Tochter und machte ihr die heftigsten Vorwürfe über ihr Betragen auf dem Tanzboden: »Du hast deinen Mann ganz vernachlässigt. Solange ich lebe, gehst du nicht wieder in eine solche Gesellschaft. Eine Frau muß nicht ihren Mann zurücksetzen, wie du es gestern getan hast.« Aber der Mann selbst war gestern abend ganz zufrieden gewesen; in brüderlicher Herzlichkeit, Arm in Arm mit dem Freunde und der Frau, war er nach Hause gegangen. Was konnte nun der Vater dagegen einwenden? Deshalb gingen sie schon an diesem Tage wieder auf denselben Tanzboden, dieselbe Gesellschaft fand sich zusammen; Miltenberg, der selbst nicht tanzte, führte seiner Frau den Freund als Partner zu, und das Spiel von gestern ward fortgesetzt, nur daß Madame Miltenberg nach ihrem Bekenntnis »sich vor den Leuten genierte« und ihrem Tänzer zu verstehen gab, daß auch er sich vorsehen möge.

      Von diesem Tage an richtete sich ihr Sehnen und Wünschen auf Gottfried. Ihre Sucht, vornehmer, gebildeter, besser zu erscheinen, ihr Hang zu Putz und prächtigen Kleidern bekam neue mächtige Triebfedern. Stundenlang stand sie vor dem Spiegel, um zu wissen, wie Gottfried sie am schönsten finden möchte. Sie erschrak über ihre Blässe, erinnerte sich der Schauspielerkünste ihrer Jugend, und von jetzt ab waren ihre Wangen nicht mehr blaß. Das war ein wesentliches Moment für die Folge ihrer Verbrecherlaufbahn: die Schminke wurde »die rettende Maske vor dem verräterischen Erröten und Erblassen des Gewissens«.

      Miltenberg sah die nähere Bekanntschaft Gottfrieds mit seiner Frau offenbar gern und beförderte sie. Eifersucht war ihm von Natur fremd, er fühlte vielleicht, daß er ihr einen Ersatz schuldig war; noch mehr freute er sich, ungestört seinen Vergnügungen nachgehen zu können, während Gottfried seiner Frau die Zeit vertrieb. Endlich war Miltenberg ein Freund des Weines und liebte frei zu trinken; Gottfried aber setzte so manche Flasche auf den Tisch oder brachte sie sogar unter dem Mantel mit ins Haus.

      Dies geschah jedoch erst später. Anfangs schien Gottfried selbst sein Glück nicht verfolgen zu wollen; sei es, daß er zu gewissenhaft war oder, was wahrscheinlicher ist, es überhaupt nicht in seiner Art lag, nach der letzten Gunst bei Frauen zu ringen. Gerade diese Zurückhaltung entzündete aber immer mehr die Glut im Herzen der jungen Frau. Das heftige Verlangen ging in stillen Schmerz über, in einen Unmut, der ihr ganzes Wesen durchdrang. Ihren Angehörigen, die es merkten, log sie vor, es sei die Furcht, kinderlos zu bleiben. Auch diese Lüge, wie alle ihre bisherigen, fand nicht allein Glauben, sondern wurde auch belobt. Sie war und blieb das Schoßkind der Eltern, mit denen das frühere kindliche Verhältnis merkwürdigerweise fortdauerte, und auch der Schwiegervater sah ihr ihre Wünsche ab. Um ihren angeblichen Kummer nicht zu mehren, ließ er ein Bild über ihrem Bette fortnehmen, welches er früher schalkhafterweise dahin gehängt hatte. Es war das Bild eines jungen englischen Mädchens, das recht oft anzusehen er ihr empfohlen hatte.

      Im Winter 1807 zeigte sich die junge Frau zur unsäglichen Freude der Familie guter Hoffnung. Man trug sie auf den Händen. Mutter Timm, abergläubischer Natur durch und durch, ließ eine Kartenlegerin holen, um das künftige Schicksal der Tochter zu erfahren. Das dunkelgelbe Weib machte auf die Schwangere einen grauenhaften Eindruck. Sie wußte aber später nur, daß die Mutter von der Kartenlegerin viel Betrübendes erfahren habe. Vor ihrer Niederkunft nahm sie, seit sieben Jahren zum ersten Male, auch wohl nur aus abergläubischer Furcht, mit ihrer Familie das Abendmahl. Aller ihrer religiösen Floskeln ungeachtet war es zugleich das letztemal in ihrem Leben.

      Die Mutter hatte in den Rock der Schwangeren eine wundertätige Wurzel genäht, auch ins Kopfkissen ihres Bettes Knoten geschlungen, eine Vorsicht, die sie später bei jedem Wochenbette in Anwendung brachte. So genas die Miltenberg denn im September 1807 leicht und in Gesundheit einer ersten Tochter, die den Namen Adelheid erhielt. Das arme Kind trug an seinem Leibe als Erbteil der ausschweifenden Lebensweise des Vaters die Spuren einer Krankheit, deren Ursache man zu verbergen suchte, indem man die Amme entfernte.

      Die reine, natürliche Mutterliebe hat die Verbrecherin nie empfunden; es freute sie, Mutter zu sein, um der Zeichen von Teilnahme willen, welche sie in ihrem Wochenbett empfing. Jene Entdeckung vermehrte nicht ihr eheliches Glück, und die Aussicht, vor Ablauf von Jahresfrist aufs neue Mutter zu werden, stimmte sie sogar zum heftigsten Mißmut.

      Doch


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