Wer nie den Sand geküsst. Lise Gast

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Wer nie den Sand geküsst - Lise Gast


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gab.

      Es waren etwa zwölf Kilometer, die man zurückzulegen hatte, und sie nahmen auch Berti mit, damit er seinen neuen Sitz im Isländerwagen einweihte. Erst kutschierte Pölze, bald aber gab sie Kornelia die Zügel.

      »Du brennst doch darauf, oder?«

      Natürlich war Kornelia begierig, fahren zu dürfen, wenn es auch nichts Aufregendes war. Hjela und Jörp gingen einen willigen, gleichmäßigen, aber letztlich lange nicht so rasanten Trab wie die vier kleinen Shettys.

      »Sehr enttäuscht? Aber zuverlässige Pferde haben auch ihre Vorteile«, lachte Bertram. Kornelia wurde rot.

      »Hast recht. Umwerfen werden wir mit diesem Wagen bestimmt nicht.«

      Tina sprang nebenher, ihr behagte es sehr, so weit laufen zu dürfen. Und schließlich sah man das Wahrzeichen von Oberrot auftauchen, jenen gedrungenen, viereckigen Turm, der diesem Gut das Unverwechselbare gab. Habermann erzählte, wenn er gut aufgelegt war, immer neue Spukgeschichten, die sich angeblich in diesem Turm zugetragen hatten. Kornelia freute sich schon darauf und winkte, als sie den Gutsherrn sah — er ritt in seiner ganzen klapperdürren Länge von einsfünfundachtzig einen von den neuen Norwegern, und wieder einmal wunderte sich Kornelia, daß dies gar nicht komisch wirkte. Diese Pferdchen können gut von Erwachsenen geritten werden. Habermann kam sogleich herüber, als er erkannte, wer da mit dem neuen Ponywagen herankam. Er begrüßte seine Gäste freundlich, ein wenig gravitätisch, wie es seine Art war.

      »Gott zum Gruß, edle Damen und nicht minder Herren — was verschafft mir die ungeahnte Ehre — —«

      »Die neuen Ponys«, lachte Kornelia, »wir wollen sie ansehen. Dürfen wir? Wie viele sind es? Darf man auch mal eins reiten? Oder springen? Denken Sie, daß Sie den Transport noch im Herbst loswerden?«

      »Viele Fragen auf einmal, und die letzte ist die schwierigste. Immer den Finger auf den wundesten Punkt gelegt, o holdes Kind«, grinste Habermann, »diese Sorge drückt mir das Herz ab. Im Frühjahr keimt die Tierliebe der Menschen wie das Gras auf den Koppeln, wenn gut gedüngt ist, im Herbst welkt sie dahin ... Dabei sind großartige Kerle dabei, kommen Sie, kommen Sie, Sie müssen sie sofort besichtigen. Wie ist’s? Tun Sie es nur mit den Augen oder auch mit dem ... Herzen?« Er hatte vor diesem letzten Wort eine ziemliche Pause gemacht und sich ein wenig auf den rückwärtigen Teil seiner Hose geklopft. Kornelia lachte verständnisvoll.

      »Natürlich mit letzterem, wenn man darf.«

      »Ich bitte darum.«

      Habermann hob das rechte Bein über den Pferdehals und hatte gleichzeitig den linken Fuß aus dem Bügel genommen. Nun glitt er seitlich vom Pony, sozusagen aus dem Damensitz, und stand. Kornelia sprang vom Wagen und kam heran.

      »Läßt er aufsitzen?« fragte sie halblaut.

      »Gut gefragt. Er läßt! Bei jedem neuen Pferd fragen, nie vergessen. Wer es nicht tut, ist nicht, wie er vielleicht meint, sehr mutig, sondern ganz einfach dumm. Wenn Sie ein bißchen rückwärts rutschen und ihn gleichzeitig kitzeln, bockelt er bildschön ...« Letzteres flüsterte er mit Verschwörermiene. Kornelia verbiß sich ein Lachen.

      Und dann ließ sie den Norweger gehen, Schritt, Trab, Tölt, wendete ihn, Galopp. Es war ein etwas massiger, aber sehr heller Brauner. Er konnte nicht mehr ganz jung sein.

      »Wie alt?« fragte sie deshalb halblaut, als sie wieder neben Habermann hielt.

      »Acht, im besten Mannesalter. Ich sehe, Sie wissen Bescheid. Es gibt aber auch Käufer, die nach der Farbe wählen ...« Er grinste, was seinem nicht mehr jungen Gesicht unwahrscheinlichen Charme verlieh. Kornelia rückte ein wenig nach hinten und klopfte leicht mit den Hacken. Der Norweger ging wie auf Verabredung vorn und hinten hoch. Sie saß im Drehpunkt, verschmitzt lachend. Auch Habermann lachte.

      »Ich sehe, ihr zwei versteht euch. Und wie war die Fahrt?« wandte er sich an Bertram und Pölze. Pölze lachte: »Harmlos, aber schön. Unsere beiden, Hjela und Jörp, sind vor dem Wagen nicht die schnellsten. Ihre Stärke liegt anderswo, mehr im Springen, vor allem bei Jörp. Nun, gesetzte Damen wie ich ...«

      » ... würden auch gern mal mit rasanten Isländern fahren«, ergänzte Habermann. »Kommen Sie, ich habe alles da, was das Herz begehrt.«

      Man hatte die eine Scheune als Auffangstall umgebaut, da meist zweimal im Jahr ein Transport Pferde aus Island ankam. Habermann ging mit seinen Gästen hinüber. Wenn man eintrat, stand man im Mittelgang zweier Boxenreihen, die alle dreiviertelhoch verschalt waren. Aus jeder sah ein Ponykopf heraus. Das war ein Bild. Kornelia unterdrückte nur mit Mühe einen Entzückensschrei, und dann lief sie von Boxe zu Boxe, betrachtete, bewunderte, fragte. Die drei andern folgten ihr nach. Es war des Fragens kein Ende. Erst nach mehr als einer Stunde landeten sie im Haus und am Kaffeetisch, an dem Frau Habermann bereits wartete, ein wenig ungeduldig, aber doch verständnisvoll. »Wenn es neue Pferde zu sehen gibt, weiß ich schon, daß die Uhr nachgeht«, sagte sie ergeben.

      Das Thema blieb natürlich auch am Kaffeetisch ›vierbeinige‹. Als Habermann hörte, daß Werths mit dem neuen Wagen bis zum Rosenhof fahren wollten, schmunzelte er ein wenig.

      »Ich hätte einen Vorschlag. Ihre beiden Stuten sind nicht die schnellsten, sagten Sie. Wollen Sie lieber zu der Fahrt zwei vom Transport, einwandfrei eingefahren, aber wirklich schnell? Damit sie nicht ewig brauchen? Es sind die beiden im letzten Stand, erinnern Sie sich? Wir nennen sie Schnick und Schnack, weil wir ihre Namen nicht behalten können. Ich würde sie Ihnen borgen, denn so leicht kauft sie jetzt im Herbst keiner, und ich will sie nur zusammen abgeben. Vielleicht finden Sie auch unterwegs einen Interessenten?«

      Bertram sah, wie es in Pölzes Augen zu funkeln begann.

      »Erst müßten wir sie aber ausprobieren«, sagte er schnell. Habermann nickte.

      »Natürlich. Wie wäre folgendes: Sie spannen sie vor Ihre hübsche neue Kutsche, und ich fahre mit Ihnen hinüber nach Niederwerth, meine Frau holt mich dann mit dem Auto zurück. Und Sie, Herr Werth, und Ihre Nichte reiten Ihre beiden Stuten. Einverstanden?«

      So geschah es denn auch. Und dabei erlebten die Niederwerther, wie Isländer, gut eingefahren, im Geschirr gehen können. Pölze nahm nach ein paar Kilometern selbst die Zügel und merkte, welch ein Vergnügen es bedeutet, so hervorragende Islandponys vor sich zu haben. Strahlend bestätigte sie es Habermann.

      »Schön, Sie können sie also haben. Fahren Sie beide allein zum Rosenhof?«

      »Koko will auch mit. Sie ist auch zur Hochzeit eingeladen, meine Schwester heiratet.«

      »Oh, wie schade. Entschuldigen Sie, ich meinte nicht das zweifellose Herzensglück Ihrer Schwester, sondern die Tatsache, daß diese junge Dame mit will. Ich könnte sie hier so gut gebrauchen, sie könnte sicher gut Isländer vorreiten, wenn Kundschaft da ist. Sonst macht das mein Sohn, aber der befindet sich augenblicklich im Ausland, und ich brauche eine junge Kraft, eine weibliche wäre natürlich noch besser ...«

      Pölze merkte genau, was Kornelia jetzt dachte.

      »Wenn du lieber nach Oberrot gehst —«

      »Oh, ich würde schon gern!«

      »Wirklich?«

      »Bestimmt, aber ...«

      »Du könntest ja zur Hochzeit mit der Bahn kommen«, half Bertram, »wir fahren ohnehin etwas eher, weil wir endlich einmal Ferien machen wollen. Wenn du willst, bleib’ ruhig bei Habermanns und dreh’ seinen Kunden die Pferde an, und komm im letzten Augenblick mit dem Zug!«

      »Oh!« Kornelia war dunkelrot geworden. »Aber ist es nicht schuftig, ich meine —«

      »Gar nicht schuftig. Bertram und ich fahren auch gerne mal allein mit Berti«, tröstete Pölze sofort. »Wir haben keine Hochzeitsreise gemacht, wie das bei Landleuten manchmal so ist. Nie haben sie Zeit. Nun können wir sie ja nachholen, wenn auch nicht ganz stilecht — ich meine, mit Berti und so weiter. Immerhin kommen wir dann eher dazu als manche andere. Bertrams Vater machte seine Hochzeitsreise zur silbernen, weil er vorher keine Zeit fand. Immerhin, erst müssen wir wohl meine


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