Vae Victis - Band I. Nataly von Eschstruth
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Nataly von Eschstruth
Vae Victis I
Roman
Saga
Vae Victis - Band I
German
© 1911 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711472897
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Erstes Kapitel.
„Der Sodomsapfel liegt an den Ufern des toten Meeres. Rosenrot und duftig sieht er aus und lockt den dürstenden Wanderer, — aber nichts wie giftiger, tödlicher Staub dampft ihm entgegen, wenn er die reizende Frucht begierig ergreift.“
O. Funcke.
Er war eitel — sehr eitel! So eitel, wie nur ein junger Mann sein kann, der von Kindesbeinen auf als „Ausbund von Schönheit, Witz und Talent“ verhätschelt ward, und nachdem er die schmucke Uniform eines Gardeleutnants trug, als Löwe des Tages auf glänzender Siegesbahn einherschritt. Wie liebenswürdig, wie amüsant und hübsch war der Freiherr Bonaventura von Völkern! Zu den solidesten der jungen Kavaliere gehörte er freilich nicht.
Das kleine Vermögen, welches sein Vater, der als kommandierender General gestorben, hinterlassen hatte, war bald zusammengeschmolzen, seit auch die stets leidende und meist in heilsamen Bädern lebende Exzellenz Doris ihrem Gatten in die kühle, dämmerige Gruft des Erbbegräbnisses folgte. Bonaventura war in ein Garde-Grenadier-Regiment eingetreten.
Hätte er es gewünscht, würden ihm auch die kostspieligsten Kavallerie-Regimenter der Residenz offengestanden haben, oder seine Karriere als Diplomat verbürgt gewesen sein, denn seine Konnexionen reichten weit, und ein Glückspilz, wie der junge Völkern, brauchte nur die Hände auszustrecken, um zu erreichen, was er wollte! — Der sehr vernünftige Vater hatte jedoch den hochfliegenden Plänen seines verwöhnten Sohnes gesteuert und all den vielen Tanten, welche ihn gar nicht hoch genug plazieren konnten, in seiner derb soldatischen Weise geantwortet: „Nee, Kinder, wenn ich als junger Mann zu Fusse laufen konnte, wird es dem Bengel wohl auch nichts schaden!“ — und meldete ihn bei dem altvornehmen, soliden Grenadier-Regiment an, aus welchem er selber einst hervorgegangen.
Obwohl nun Bonaventuras sieggewohntes Antlitz nicht unter der Pelzmütze oder Tschapka hervorlachte, war er doch bald der Held des Tages, — als Vortänzer bei Hofe hatte er Gelegenheit, vorteilhaft aufzufallen, und seine unwiderstehlich liebenswürdige Art feierte Triumphe von dem diademfunkelnden Köpfchen der Prinzessin bis zu den Mauerblümchen herab, für deren übersehenste er selbst noch ein charmantes Lächeln, einen Gruss — eine höfliche Frage hatte! So schlug ihm manches Herzchen heiss und sehnsuchtsvoll entgegen.
Die jungen Damen nannten ihn voll enthusiastischer Schwärmerei: „den Herrlichsten von allen!“ — Die Herren selbst — welche immerhin ein wenig im Bannkreis des „kommandierenden“ Vaters standen, urteilten sehr günstig über den jungen Kameraden: „Ein hervorragend netter Kerl! Ein schlaues Huhn! — Ein ganz famoser Mensch, der nie Spielverderber ist und seine Vorteile nicht in egoistischer Weise ausnutzt!“
Nur die Mütter hatten etwas an ihm auszusetzen, — eine einzige Kleinigkeit, welche jedoch gerade in ihren Augen am schwersten ins Gewicht fiel: „— Schade! Gar zu schade, dass er kein Geld hat!“ —
So lange der Vater lebte und immerhin recht splendid für seinen Einzigsten sorgte, machte sich dieses Manko noch nicht so fühlbar; als aber der alte Herr ganz plötzlich einem Schlaganfall erlag und die hohe Zulage sehr merklich für Bonaventura zusammenschrumpfte, da empfand es der junge Offizier doch recht drückend, dass es nicht leicht ist, in der Residenz eine Rolle zu spielen, wenn man keine genügenden Mittel hat.
Als die streng führende Hand des Vaters und bald danach auch die weiche, zärtliche Rechte der Mutter fehlten, als Völkern in sehr jungen Jahren nun ganz auf sich selbst gestellt war, da verfehlte der verderbliche Einfluss der Grossstadt seine Wirkung nicht mehr auf ihn. —
Sehr charakterfest war er wohl nie gewesen, seine Eitelkeit und Genusssucht wurden geradezu künstlich grossgezüchtet, und da er zu verwöhnt war, um die eiserne Notwendigkeit als beste Zuchtmeisterin im Nacken zu fühlen, so fand seine Oberflächlichkeit in nichts ein Gegengewicht.
Die guten, edlen Eigenschaften fristeten als schwache Pflänzchen nur noch ein kümmerliches Dasein auf seinem Herzensboden und wurden mehr und mehr von dem bunten Giftkraut überwuchert, dessen Samen die Luft der Grossstadt so unheilvoll ausstreut. Wie der gelbe Staub der Kätzchen um den Weidenbaum wirbelt, so dampft der heisse Giftbrodem aus dem Häusermeer des modernen Sodoms empor, und in solch schwüler Treibhausatmosphäre wuchern die bösen Keime und treiben Blüte und Frucht.
Noch war Bonaventura kein schlechter und gewissenloser Mensch geworden, noch schritt ihm unsichtbar sein guter Engel zur Seite, welcher ihm rechten Weg wies, aber just dieser Weg war es, welcher dem jungen Mann immer beschwerlicher, mühseliger und dornichter deuchte, je mehr das ererbte Vermögen, mit dessen Hilfe er bequemer und behaglicher schreiten wollte, zusammenschmolz.
— — — — Es war ein bitterkalter Winterabend. —
Der Schneesturm heulte durch die Strassen, die elektrische Bahn schnob, bis zum letzten Platz gefüllt, blauweisse Funken sprühend, an dem Lichtgefunkel der Schaufenster vorüber, eilige Menschen schoben sich, drängten und hasteten durch das Gewirr der Droschken und Automobile, das behaglich warme Heim oder die gastlichen Räume eines Restaurants zu erreichen!
Und schnell, wie ein unheimlich lärmender Spuk, flog auch das Automobil durch die stillere Villenstrasse, welches sich der Freiherr von Völkern bestellt hatte, um zu dem Ball des englischen Gesandten zu fahren. Nachdenklich vor sich hinstarrend, das Kinn tief auf den eleganten Pelzkragen seines Paletots geneigt, lehnte Bonaventura in den Polstern, nicht so strahlend heiter und lachend wie sonst, wenn er gleich einem Siegesgott dem friedlichen Schlachtfeld zueilte, auf welchem Gott Amor ihn so ständig mit Lorbeer krönte!
Nein, heute sah er ernst, verdriesslich, beinahe übellaunig aus.
Wie sehr hatte er sich gerade auf dieses Fest gefreut, wo er nach vierzehntägiger Pause die sinnige, minnige, kleine Malva wiedersehen sollte!
Wunderlich, dass es ihm gerade dieses schlichte Wegekräutlein angetan hatte, welches doch neben all den farbenbunten, selbstbewussten Schwestern so gar keine Rolle spielte!
Gräfin Malvine von Kettenau war die dritte Tochter des Erbherrn auf Schloss Meersburg, eine jener stiefmütterlich Behandelten, welche um des grossen Majorats willen auf das Erbe der Väter verzichten müssen.
Zwei jüngere Schwestern teilten mit ihr das gleiche Los, in eine Ehe kaum die Ausstattung, geschweige ein Kapital mitbringen zu können, und doch dabei in den glänzendsten Verhältnissen aufwachsend, welche die dadurch sehr verwöhnten jungen Damen zu schlichten und arbeitsamen Hausfrauen untauglich machen!
Malva schien in dieser Beziehung freilich eine Ausnahme zu machen, denn sie weilte hier in der Residenz bei ihrem Onkel, dem Kammerherrn von Kettenau, zum Besuch, nicht lediglich, um die jungen Seelenschwingen in dem Lichtmeer einer Hochsaison zu baden, sondern um ein grosses und geniales Maltalent in dem Atelier eines bedeutenden Künstlers auszubilden.
Anfänglich war Komtesse Malva dem Herrn von Völkern kaum aufgefallen.
Ihre Toiletten waren zwar recht schick, aber doch sehr einfach, ihr zartes, rosiges Gesicht mit den grossen Enzianenaugen musste man öfters sehen, wenn es interessieren sollte.
Und