Die alte Mühle. Lise Gast

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Die alte Mühle - Lise Gast


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die beiden jungen Mädchen sich mit Schieben gewaltig anstrengten. Corinna stemmte sich mit gegen sein Heck, ließ aber gleich wieder davon ab.

      „Hat keinen Zweck“, sagte sie zu Uli, die neben ihr schob und immer meinte, den Wagen noch flott zu bekommen.

      „Doch, nur noch ein kleines Stück“, keuchte sie, aber die Mutter legte ihr die Hand auf die Schulter. „Vielleicht hier“, sagte sie, „aber nachher, im Lindicht, dort bleibt er dann bestimmt hängen, und da hilft ihm keiner mit Schieben.“

      „Im Lindicht – auch wahr“, sagte Uli erkenntnisvoll und richtete sich auf, „das weiß er aber nicht.“

      „Dann ist’s am besten, wir sagen es ihm.“ Corinna hob das Gesicht. „Das schneit heute noch die ganze Nacht, sollst es sehen. Und dann sitzt er fest, mitten zwischen den Ortschaften. Nein, komm, es hilft nichts.“ Sie ging nach vorn und bückte sich, um in den Wagen zu sehen.

      „Sie kommen hier nicht weiter“, sagte sie. „Lassen Sie es sein. Das Wetter ist ungewöhnlich. So etwas haben wir kaum erlebt.“

      „Ja und? Soll ich –“ er machte eine vage Bewegung mit der Hand nach vorn und ließ sie dann sinken.

      „Ich kann doch nicht – den Wagen –.“

      „Natürlich können Sie ihn hier stehen lassen, was bleibt Ihnen denn übrig“, sagte Corinna und lachte leise. „Denken Sie, jemand fährt ihn weg, nachdem wir uns zu viert bemüht haben, ihn flott zu kriegen? Ein bißchen an die Seite müssen wir ihn schieben, aber das wird schon gehen. Uli, los, rückwärts. – Na, seht ihr.“

      „Hier steht er gut“, stellte Corinna fest und richtete sich schnaufend auf, „hier fährt Ihnen niemand hinein. Ganz abgesehen davon, daß in dieser Nacht bestimmt keiner kommt. Und selbst wenn, dann nur im Fußgängertempo. Also.“

      „Und ich?“ fragte der junge Mann verstört. Es klang, als habe Corinna ihn dazu verdonnert, hier in seinem Wagen sitzen zu bleiben und einzuschneien.

      „Kommen Sie herunter und wärmen Sie sich“, sagte Corinna, und es klang so selbstverständlich und gleichmütig, daß er unwillkürlich gehorchte. „Hier kommt kein Haus mehr, das Dorf liegt hinter Ihnen.“

      Er schloß den Wagen ab und folgte den drei Frauen den kleinen Weg bergab zur Mühle.

      „Vorsicht, hier – fallen Sie nicht!“ sagte Corinna, als sie an die Stufe am Gartentor kamen, und faßte ihn unter den Arm. Dabei merkte sie, wie unsicher er ging. Es fiel ihr aber nicht weiter auf, sie schob es auf die Dunkelheit. Sie selbst und die Töchter kannten natürlich hier jeden Schritt und gingen so sicher, als wäre es heller Mittag.

      „Kommen Sie, hier herein. Sie haben Glück, heute ist es herrlich warm bei uns“, sagte sie, und dann fiel die Haustür hinter ihnen zu. Corinna schob ihren Gast ins Wohnzimmer. Die Töchter folgten.

      ‚Wie hübsch es bei uns sein kann, wenn man ein bißchen zusammenräumt‘, dachte Sybille. ‚Mutter findet immer, das wäre Nebensache. Na, Gott sei Dank, heute hat sie sich bemüht.‘

      „Hier haben Sie etwas, damit Sie erstmal auftauen“, sagte Corinna und reichte dem Gast ein Glas von dem Punsch. „Prosit, ich komme nach, bin durchfroren von den paar Minuten draußen, brr. Ja, hol noch eine zweite Flasche, Uli, wir können es brauchen.“

      „Schön ist es hier“, sagte der junge Mann verträumt und stellte sein Glas ab, nachdem er getrunken hatte. „Und warm – –“ er hatte sich in den Sessel neben dem Ofen komplimentieren lassen und lehnte sich jetzt zurück, die Hände auf den Armlehnen. Corinna sah, wie blaß diese Hände aus den Pulloverärmeln herauskamen. Sie vergaß es und dachte erst später wieder daran.

      „Vielleicht möchten Sie erst etwas essen?“ fragte Sybille jetzt. Mutter aß oft halbe Tage nichts, dünn wie sie war, und vergaß, daß andere Leute Hunger haben könnten. „Ich werde etwas holen.“

      „Aber ich kann doch nicht –“

      „Doch, können Sie. Bleiben Sie nur sitzen“, befahl Corinna und schob das Tischchen neben seinen Sessel. „Jetzt wird gegessen und getrunken und ganz durchgewärmt, alles andere kommt später.“

      „Bei Mutter muß man kuschen“, sagte Uli und lachte durch die Nase, „das heißt: wochenlang darf man tun und lassen, was man will. Aber dann mit einem Mal heißt es parieren. Nur damit Sie es wissen.“

      „Wär auch schlimm, wenn ich jeden Tag ... immerhin seid ihr erwachsen“, brummte Corinna und stellte einen Glaskrug auf den elektrischen Kocher, „er wird doch nicht springen? Ich hab keine Lust, in der kalten Küche zu stehen.“

      Sybille brachte ein Tablett mit geschnittenem Brot, Wurst und Käse. Sie setzte sich still an den Tisch und richtete ein paar Schnitten, die sie dem Gast hinüberreichte. Er weigerte sich zuerst wieder, aß dann, anfangs langsam, später mit verdecktem Heißhunger. Die drei Frauen taten, als merkten sie es nicht. Endlich schien er satt zu sein. Er seufzte und nahm sein Glas.

      „Es ist so freundlich von Ihnen – aber ich muß nun wieder ...“

      „Wohin wollen Sie denn heute noch?“ fragte Corinna sanft und lächelte. „Bleiben Sie ruhig. Morgen ist Sonntag, da findet sich schon Rat.“

      „Aber ich kann doch nicht – hier –“

      „Natürlich können Sie. Jedenfalls eher als in diesen Schnee hinausrennen“, sagte Sybille jetzt. Sie hatte die ruhige Art ihres Vaters, auch dessen helle, dunkelgesäumte Augen. „Mutter behält Sie gern. Was glauben Sie, was Mutter alles hier behält, wenn es hereinschneit. Oder versäumen Sie etwas sehr Wichtiges?“

      „Nein. Ich wollte – aber ich – es wäre wohl sowieso nichts geworden“, schloß der junge Gast mutlos. Dann schien er sich zusammenzunehmen und stellte sich vor: „Ich heiße Roland Herrmann und studiere Jura – oder habe studiert – oder – sechstes Semester, ja. Examen noch keins –“ er verstummte. Im selben Augenblick sah Corinna, daß er eingeschlafen war.

      „Na so was!“ sagte sie und lachte. Die beiden Töchter lachten auch.

      „Wahrscheinlich ist er schon lange unterwegs, und jetzt die Wärme – und das Essen – und der Punsch ...“

      „Jaja, der Punsch“, sagte Sybille und nickte ernsthaft. Corinna hob streitbar den Kopf.

      „Findest du ihn etwa ...“

      „Er ist toll stark, Mutter“, sagte Sybille, zog aber vorsichtshalber den Kopf ein. Corinna stand und sah auf sie herunter.

      „Ihr macht euch lustig“, sagte sie ein bißchen unsicher.

      „Aber woher denn“, beteuerte Uli und fuhr herzhaft fort: „Nein, Mutter, wirklich nicht. Nun komm. Es ist diesmal kein herrenloser Dackel und keine verlaufene Ziege, kein Waschbär und kein Eichelhäher, kein bankrotter Kaufmann – na, und so weiter, sondern ein verhungerter Student. Wo soll er schlafen?“

      „In meiner Stube. Ein Glück, daß sie heute warm ist“, sagte Corinna sachlich. „Laß ihn noch im Stuhl, ich überziehe rasch frisch. Er wird gar nichts merken.“

      Sie hantierte mit blauweißem Leinenzeug. Uli half. Sybille räumte die Reste des Nachtmahls weg. Sie waren gut aufeinander eingespielt. Nach zehn Minuten gelang es ihnen, den jungen Gast so weit zu wecken, daß man ihn ins Nebenzimmer bringen konnte. Dort saß er nun auf dem Bett.

      „Hier ist die Nachttischlampe, knipsen Sie die nachher aus“, sagte Corinna im Ton, als spräche sie zu einem Kind, freundlich-eindringlich. „Und im Flur ist Licht, falls Sie nochmal wandern wollen. Wir sind nebenan, gehen aber auch schlafen. Versuchen Sie, was Hübsches zu träumen, und schlafen Sie sich gut aus!“

      Der Fremde nickte benommen. Er saß mit hängenden Schultern da und sah blinzelnd zu ihr auf. Sie strich ihm flüchtig übers Haar. „Gut’ Nacht –“

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