.

Читать онлайн книгу.

 -


Скачать книгу
wenig heftiger, als nötig gewesen wäre, ins Schloss. Sie rief ihre Patentante an und sagte, dass sie nur zu zweit kämen, Robert habe viel zu tun.

      »Dann wünschen wir ihm viel Erfolg bei seiner Arbeit und euch eine erholsame Zeit am Tegernsee«, antwortete Alexandra diplomatisch.

      Daniel war gerührt von der Gastfreundschaft, mit der das Arztehepaar ihn in ihr Haus aufnahm. Er genoss die Autofahrt in Lillys Gesellschaft, und je weiter er sich von der angespannten Situation in ›Silberwald‹ entfernte, desto gelöster wurde er. Seine Hunde und das Haus wusste er bei Rautende und Kilian in den besten Händen, sein Geselle Bernward und die zuverlässige Sekretärin Claudia kümmerten sich um den laufenden Betrieb in der Tischlerei.

      »Weißt du, was?«, sagte er staunend zu Lilly. »Trotz allem geht es mir fantastisch. Ich habe tatsächlich ein paar Tage Urlaub und das zum ersten Mal seit vielen Jahren.«

      »Das sollten wir genießen«, antwortete Lilly, drehte das Radio lauter und fing an, den Song, der gerade lief, mit einer zweiten Stimme zu unterlegen.

      »Alle Achtung!«, rief Daniel. »Wenn es bei dir mit der Architektur mal nicht so gut läuft, kannst du immer als Sängerin deine Brötchen verdienen.«

      Lilly lachte übermütig. »Och, ich kann auch anders«, antwortete sie und begann, bewusst schräg zu singen. Daniel fiel mit ein, und die beiden kamen in ziemlich alberner und ausgelassener Stimmung bei Lillys Pateneltern an.

      Der Lärm und das Gelächter aus ihrem Auto waren nicht zu überhören, als sie bei Doktor Baron auf den Parkplatz fuhren.

      »Selten kommt ein Patient in so guter Stimmung, das ist doch mal eine nette Abwechslung«, sagte Leopold schmunzelnd zu seiner Frau, als sie unter der Haustür auf die jungen Leute warteten.

      Das Haus von Lillys Pateneltern lag am Hang und bot großzügig Raum zum Wohnen und für die Praxis. Es war weiß mit traditionellen hölzernen Balkonen, die Alexandra mit individueller Farbgebung versehen und mit leuchtend roten Blumen geschmückt hatte. Grüne Fensterläden und grün-weiß gestreifte Markisen schützten die klassischen Sprossenfenster vor heißer Sommersonne, und der Bauerngarten mit seiner blühenden Pflanzenvielfalt war ein Paradies für Vögel, Schmetterlinge und Bienen. Die betagte, aber noch sehr fidele Rauhaardackelhündin Lotta lag im Halbschatten auf der Terrasse und freute sich sichtlich über den Besuch.

      Gemeinsam gingen sie ins Haus, das von innen ebenso geschmackvoll und stilsicher gestaltet worden war wie von außen. Nach einer kurzen Pause mit Tee und Erdbeerkuchen ging Leopold mit Daniel hinüber in seine Praxis.

      Doktor Leopold Baron war ein gut aussehender Mann mit silbergrauen Haaren, einer sonoren Stimme und angenehm ruhiger Ausstrahlung. Er hörte Daniel aufmerksam zu, kommentierte die Untersuchungsergebnisse seines Kollegen und nahm dann eigene Untersuchungen vor. Daniel fühlte sich auch bei diesem Arzt gut aufgehoben, und er vertraute dessen besonderer Fachkenntnis.

      »Ich kann schon jetzt bestätigen, dass Doktor Seefeld mit seiner Diagnose richtig liegt«, erklärte Leopold ruhig. »Auch bei Schilddrüsenerkrankungen gibt es Abstufungen, häufigere und seltenere Erscheinungsformen. Worum genau es sich bei Ihnen handelt, werden die neuen Testergebnisse zeigen, die in zwei Tagen vorliegen. Danach erstelle ich den Behandlungsplan, den wir besprechen.«

      Daniel stellte noch etliche Fragen, die der Facharzt umfassend beantwortete, womit er ihm seine Bedenken nahm. Am meisten hatte er befürchtet, dass diese ewige Mattigkeit anhalten könnte, die sein Leben erschwerte.

      Doktor Baron konnte ihn beruhigen. »Wenn sich der Körper auf das Medikament eingestellt hat, wird sich auch Ihr Allgemeinzustand bessern. Das kann einige Wochen dauern, bis Sie es merken, aber es wird sich verändern.«

      »Sehr gut«, erwiderte Daniel erleichtert und wies auf die Schlinge, in der sein Arm ruhte. »Diese Müdigkeit hat mich in eine sehr unangenehme Lage gebracht.«

      »Das werden Sie bald hinter sich haben«, antwortete Leopold zuversichtlich.

      Der Arzt widmete sich dann weiter seinen anderen Patienten, und Daniel verbrachte einen entspannten Nachmittag mit Lilly und ihrer Patentante.

      Alexandra war eine temperamentvolle Frau mittleren Alters mit kinnlangen, aschblonden Haaren, die in einer natürlichen Welle ihr Gesicht umrahmten. Sie kleidete sich ausgesprochen chic und geschmackvoll und hatte eine Vorliebe für edlen Schmuck, den sie unaufdringlich zu tragen verstand. Alexandra machte immer eine gute Figur, sowohl in rustikaler Wanderkleidung als auch im eleganten Cocktailkleid.

      Im Laufe der Jahre hatte sie sich als Künstlerin im Bereich der Kalligraphie einen Namen gemacht, was Daniel in Erinnerung an seine Mutter besonders interessierte. Er bat seine Gastgeberin, ihm einige Arbeiten zu zeigen, und war beeindruckt von dem, was Alexandra an Schönem und Ausgefallenem erschaffen hatte.

      »Jetzt, da ich Sie persönlich kennengelernt habe, freue ich mich noch mehr auf Ihre Ausstellung in der Burgruine bei uns in Bergmoosbach«, sagte er.

      »Und ich freue mich, den Künstler kennenzulernen, der die gläserne Kuppel über dem Festsaal gebaut hat«, antwortete Alexandra aufrichtig begeistert. »Leopold und ich haben uns den Raum angeschaut, das Zusammenspiel von Licht und Schatten ist fantastisch. Es verleiht jedem Bild, das dort ausgestellt wird, einen besonderen Reiz. Abgesehen davon ist diese Kuppel einfach ein Meisterwerk.«

      Daniel wollte leicht verlegen etwas wegen des Begriffs Künstler sagen, er verstand sich eher als Handwerker, aber Lilly fiel ihm lachend ins Wort. Sie schob ihren Arm unter seinen und drückte ihn. »Stell dein Licht nicht unter den Scheffel«, sagte sie energisch. »Ohne ein Künstler zu sein, wärest du kein so genialer Handwerker.«

      »Lilly hat recht, jede gute Kunst ist auch Handwerk und umgekehrt«, stimmte Alexandra zu.

      Am nächsten Abend verabschiedete sich Daniel als Erster aus der Runde, die nach einer langen Wanderung zu einer benachbarten Alm im Garten zusammensaß. Als die junge Frau mit ihren Pateneltern allein war, begann sie vorsichtig, von den Erbstreitigkeiten zu erzählen. Sie wollte Robert nicht schlecht machen, aber sie musste mit jemand Vertrautem über ihre Gedanken sprechen.

      »Ich kann Robert überhaupt nicht mehr verstehen, er ist mir so fremd geworden«, sagte sie bedrückt. »Zunächst habe ich alles geglaubt, was er mir über seinen jüngeren Bruder erzählt hatte, aber jetzt weiß ich, dass es mehr als nur seine Sichtweise gibt. Ich finde sein Verhalten während der Krankheit seines Vaters und bei dessen Tod unerklärlich und unentschuldbar. Ebenso wenig kann ich sein Verhalten in Bezug auf das Erbe verstehen. Wenn ich mit ihm darüber reden möchte, gibt es sofort Streit.«

      »Könnte es sein, dass Robert eifersüchtig ist?«, fragte Leopold vorsichtig.

      Lilly stutzte. »Dazu gibt es überhaupt keinen Grund, zwischen mir und Daniel läuft nichts«, antwortete sie entschieden und fuhr nach einer Zeit des Nachdenkens fort: »Aber ich verstehe mich besser mit ihm als im Moment mit Robert, das stimmt. Vielleicht sollte ich einfach wieder mehr auf Robert zugehen; ich weiß doch, dass er sich in ›Silberwald‹ nicht wohlfühlt.«

      »Aber du tust es, nicht wahr?«, fragte ihre Patentante.

      »Ja, sehr, es ist wie ein Zuhause«, antwortete Lilly ehrlich.

      »Nun, im Augenblick seid ihr hier und könnt ein paar freie Tage genieße«, wechselte Leopold diplomatisch das Thema. »Etwas Abstand wird euch beiden gut tun und hoffentlich auch den Konflikt wegen des fehlenden Testaments entschärfen.«

      »Hoffen wir’s, das kann Daniel gebrauchen«, erwiderte Lilly nachdrücklich.

      Die wenigen Tage wurden zu einem herrlichen Kurzurlaub, den sie mit sorglosem Faulenzen, Segeln auf dem Tegernsee, Wanderungen und einem Besuch im Metropoltheater in München verlebten. Daniel war so glücklich und entspannt wie seit Langem nicht mehr und weigerte sich, an die Herausforderungen zu denken, die ihn zu Hause erwarteten.

      Ehe sie abreisten, lud er das Ehepaar Baron nach ›Silberwald‹ ein, während der Ausstellung von Alexandras Bildern seine Gäste zu sein. Sie trennten sich in freundschaftlicher Stimmung und voller Vorfreude auf die Ausstellung.


Скачать книгу