Die Traumdeutung. Sigmund Freud

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Die Traumdeutung - Sigmund Freud


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man bildet sich ein, allerlei geträumt zu haben, was der gewesene Traum nicht enthielt.«

      Besonders entschieden äußert sich Jessen (1855, 547): »Außerdem ist aber bei der Untersuchung und Deutung zusammenhängender und folgerichtiger Träume der, wie es scheint, bisher wenig beachtete Umstand sehr in Betracht zu ziehen, dass es dabei fast immer mit der Wahrheit hapert, weil wir, wenn wir einen gehabten Traum in unser Gedächtnis zurückrufen, ohne es zu bemerken oder zu wollen, die Lücken der Traumbilder ausfüllen und ergänzen. Selten und vielleicht niemals ist ein zusammenhängender Traum so zusammenhängend gewesen, wie er uns in der Erinnerung erscheint. Auch dem wahrheitsliebendsten Menschen ist es kaum möglich, einen gehabten merkwürdigen Traum ohne allen Zusatz und ohne alle Ausschmückung zu erzählen: das Bestreben des menschlichen Geistes, alles im Zusammenhange zu erblicken, ist so groß, dass er bei der Erinnerung eines einigermaßen unzusammenhängenden Traumes die Mängel des Zusammenhanges unwillkürlich ergänzt.«

      Fast wie eine Übersetzung dieser Worte Jessens klingen die doch gewiss selbstständig konzipierten Bemerkungen von V. Egger: »… l’observation des rêves a ses difficultés spéciales et le seul moyen d’éviter toute erreur en pareille matière est de confier au papier sans le moindre retard ce que l’on vient d’éprouver et de remarquer; sinon, l’oubli vient vite ou total ou partiel; l’oubli total est sans gravité; mais l’oubli partiel est perfide; car si l’on se met ensuite à raconter ce que l’on n’a pas oublié, on est exposé à compléter par imagination les fragments incohérents et disjoints fourni par la mémoire…; on devient artiste à son insu, et le récit periodiquement répété s’impose à la créance de son auteur, qui, de bonne foi, le présente comme un fait authentique, dûment établi selon les bonnes méthodes...«

      Ganz ähnlich Spitta (1882, 338), der anzunehmen scheint, dass wir überhaupt erst bei dem Versuch, den Traum zu reproduzieren, die Ordnung in die lose miteinander assoziierten Traumelemente einführen – »aus dem Nebeneinander ein Hintereinander, Auseinander machen, also den Prozess der logischen Verbindung, der im Traum fehlt, hinzufügen«.

      Da wir nun eine andere als eine objektive Kontrolle für die Treue unserer Erinnerung nicht besitzen, diese aber beim Traum, der unser eigenes Erlebnis ist und für den wir nur die Erinnerung als Quelle kennen, nicht möglich ist, welcher Wert bleibt da unserer Erinnerung an den Traum noch übrig?

      E) Die psychologischen Besonderheiten des Traumes

      Wir gehen in der wissenschaftlichen Betrachtung des Traumes von der Annahme aus, dass der Traum ein Ergebnis unserer eigenen Seelentätigkeit ist; doch erscheint uns der fertige Traum als etwas Fremdes, zu dessen Urheberschaft zu bekennen es uns so wenig drängt, dass wir ebenso gerne sagen: »Mir hat geträumt« wie: »Ich habe geträumt.« Woher rührt diese »Seelenfremdheit« des Traumes? Nach unseren Erörterungen über die Traumquellen sollten wir meinen, sie sei nicht durch das Material bedingt, das in den Trauminhalt gelangt; dies ist ja zum größten Teile dem Traumleben wie dem Wachleben gemeinsam. Man kann sich fragen, ob es nicht Abänderungen der psychischen Vorgänge im Traume sind, welche diesen Eindruck hervorrufen, und kann so eine psychologische Charakteristik des Traumes versuchen.

      Niemand hat die Wesensverschiedenheit von Traum- und Wachleben stärker betont und zu weitgehenderen Schlüssen verwendet als G. Th. Fechner in einigen Bemerkungen seiner Elemente der Psychophysik. (1889, Bd. 2, 520–1.) Er meint, »weder die einfache Herabdrückung des bewussten Seelenlebens unter die Hauptschwelle« noch die Abziehung der Aufmerksamkeit von den Einflüssen der Außenwelt genüge, um die Eigentümlichkeiten des Traumlebens dem wachen Leben gegenüber aufzuklären. Er vermutet vielmehr, dass auch der Schauplatz der Träume ein anderer ist als der des wachen Vorstellungslebens. »Sollte der Schauplatz der psychophysischen Tätigkeit während des Schlafens und des Wachens derselbe sein, so könnte der Traum meines Erachtens bloß eine auf einem niederen Grade der Intensität sich haltende Fortsetzung des wachen Vorstellungslebens sein und müsste übrigens dessen Stoff und dessen Form teilen. Aber es verhält sich ganz anders.«

      Was Fechner mit einer solchen Umsiedlung der Seelentätigkeit meint, ist wohl nicht klargeworden; auch hat kein anderer, soviel ich weiß, den Weg weiterverfolgt, dessen Spur er in jener Bemerkung aufgezeigt. Eine anatomische Deutung im Sinne der physiologischen Gehirnlokalisation oder selbst mit Bezug auf die histologische Schichtung der Hirnrinde wird man wohl auszuschließen haben. Vielleicht aber erweist sich der Gedanke einmal als sinnreich und fruchtbar, wenn man ihn auf einen seelischen Apparat bezieht, der aus mehreren hintereinander eingeschalteten Instanzen aufgebaut ist.

      Andere Autoren haben sich damit begnügt, die eine oder die andere der greifbaren psychologischen Besonderheiten des Traumlebens hervorzuheben und etwa zum Ausgangspunkt weiter reichender Erklärungsversuche zu machen.

      Es ist mit Recht bemerkt worden, dass eine der Haupteigentümlichkeiten des Traumlebens schon im Zustand des Einschlafens auftritt und als den Schlaf einleitendes Phänomen zu bezeichnen ist. Das Charakteristische des wachen Zustandes ist nach Schleiermacher (1862, 351), dass die Denktätigkeit in Begriffen und nicht in Bildern vor sich geht. Nun denkt der Traum hauptsächlich in Bildern, und man kann beobachten, dass mit der Annäherung an den Schlaf in demselben Maße, in dem die gewollten Tätigkeiten sich erschwert zeigen, ungewollte Vorstellungen hervortreten, die alle in die Klasse der Bilder gehören. Die Unfähigkeit zu solcher Vorstellungsarbeit, die wir als absichtlich gewollte empfinden, und das mit dieser Zerstreuung regelmäßig verknüpfte Hervortreten von Bildern, dies sind zwei Charaktere, die dem Traum verbleiben und die wir bei der psychologischen Analyse desselben als wesentliche Charaktere des Traumlebens anerkennen müssen. Von den Bildern – den hypnagogischen Halluzinationen – haben wir erfahren, dass sie selbst dem Inhalt nach mit den Traumbildern identisch sind.

      Der Traum denkt also vorwiegend in visuellen Bildern, aber doch nicht ausschließlich. Er arbeitet auch mit Gehörsbildern und in geringerem Ausmaße mit den Eindrücken der anderen Sinne. Vieles wird auch im Traum einfach gedacht oder vorgestellt (wahrscheinlich also durch Wortvorstellungsreste vertreten), ganz wie sonst im Wachen. Charakteristisch für den Traum sind aber doch nur jene Inhaltselemente, welche sich wie Bilder verhalten, d. h. den Wahrnehmungen ähnlicher sind als den Erinnerungsvorstellungen. Mit Hinwegsetzung über alle die dem Psychiater wohlbekannten Diskussionen über das Wesen der Halluzination können wir mit allen sachkundigen Autoren aussagen, dass der Traum halluziniert, dass er Gedanken durch Halluzinationen ersetzt. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen visuellen und akustischen Vorstellungen; es ist bemerkt worden, dass die Erinnerung an eine Tonfolge, mit der man einschläft, sich beim Versinken in den Schlaf in die Halluzination derselben Melodie verwandelt, um beim Zusichkommen, das mit dem Einnicken mehrmals abwechseln kann, wieder der leiseren und qualitativ anders gearteten Erinnerungsvorstellung Platz zu machen.

      Die Verwandlung der Vorstellung in Halluzination ist nicht die einzige Abweichung des Traumes von einem etwa ihm entsprechenden Wachgedanken. Aus diesen Bildern gestaltet der Traum eine Situation, er stellt etwas als gegenwärtig dar, er dramatisiert eine Idee, wie Spitta (1882, 145) sich ausdrückt. Die Charakteristik dieser Seite des Traumlebens wird aber erst vollständig, wenn man hinzunimmt, dass man beim Träumen – in der Regel, die Ausnahmen fordern eine besondere Aufklärung – nicht zu denken, sondern zu erleben vermeint, die Halluzinationen also mit vollem Glauben aufnimmt. Die Kritik, man habe nichts erlebt, sondern nur in eigentümlicher Form gedacht – geträumt –, regt sich erst beim Erwachen. Dieser Charakter scheidet den echten Schlaftraum von der Tagträumerei, die niemals mit der Realität verwechselt wird.

      Burdach hat die bisher betrachteten Charaktere des Traumlebens in folgenden Sätzen zusammengefasst (1838, 502 f.): »Zu den wesentlichen Merkmalen des Traumes gehört a) dass die subjektive Tätigkeit unserer Seele als objektiv erscheint, indem das Wahrnehmungsvermögen die Produkte der Phantasie so auffasst, als ob es sinnliche Rührungen wären;… b) der Schlaf ist eine Aufhebung der Eigenmächtigkeit. Daher gehört eine gewisse Passivität zum Einschlafen… Die Schlummerbilder werden durch den Nachlass der Eigenmächtigkeit bedingt.«

      Es handelt sich nun um den Versuch, die Gläubigkeit der Seele gegen die Traumhalluzinationen, die erst nach Einstellung einer gewissen eigenmächtigen Tätigkeit


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