Milan. Regina Mars

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Milan - Regina Mars


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Er lächelt. Verdammt irritierend. Ich sehe seine ungleichen Schneidezähne und fühle mich seltsam. Als würden mir ausnahmsweise ein paar Puzzlestücke fehlen. Mir. Ich blicke alles. Bin ja schon lange genug mit Mom unterwegs.

      »Du bist halt ein Opfer«, sage ich. »Wenn das mein Zimmer wäre, würde ich dich rausschmeißen.«

      Der Blödmann lacht, als wäre das der beste Witz, den er je gehört hat. Ich schließe die Augen und drehe die Musik lauter. Solange ich meine Kopfhörer habe, kann ich die Welt und meinen »Bruder« ausblenden. Ein komischer Typ. Ruhig, lieb, ordentlich. Sein Zimmer sieht aus wie so eine verdammte Bücherei, nur sauberer. Er putzt selbst. Er räumt auch den Tisch auf, wenn wir gegessen haben. Freiwillig. Ob er das tut, seit seine Mutter abgehauen ist? Sie hat ihn und seinen Vater vor ein paar Jahren verlassen und immer, wenn Jules darüber redet, wird er ganz blass und leise.

      Gestern war ein Freund von ihm da. Genau so ein seltsamer Streber wie er. Wog ungefähr hundert Kilo und hat mich angeschaut, als wäre ich ein Pitbull. Recht hat er.

      Die Luftmatratze wankt und ich fahre hoch. Der Streber hat sich neben mich gesetzt und schaut mich mit seinen Kuhaugen an. Meine Kehle wird eng.

      »Was willst du? Das ist mein Bett.«

      »Milan?« Er beißt sich auf den Daumen wie ein blödes Kleinkind. »Kann ich dich was fragen?«

      Ich weiß genau, was er fragen will. Ich hasse die Frage und bin echt beeindruckt, dass er sie eine Woche lang zurückgehalten hat. Die meisten schaffen es keine zwei Sekunden, bevor sie mich damit nerven. Und ich will nicht darüber reden. Aber ich bin zu cool, um das zuzugeben. Also zucke ich mit den Achseln und sage: »Klar.«

      »Was ist passiert?« Schüchtern zeigt er auf meinen Mund. »Mit … deinem Gesicht. Und deinen Händen.«

      Ich lache höhnisch. »Macht dir Angst, was?«

      Er schüttelt den Kopf, todernst. Idiot. »Nein, das sieht cool aus. Ich hab mich nur gefragt … Bist du gestürzt?«

      »Ne.« Für wie blöd hält der mich? »Das war ein Ex von Mom. Vor vier Jahren.«

      Die Kuhaugen werden noch größer. Das blasse Strebergesicht noch bleicher.

      »Was?!«, krächzt er. »Warum?«

      Wieder zucke ich mit den Achseln. Ich will nicht darüber reden. Ich will vergessen. Am liebsten für immer. Aber ich bin ein Mann, also tue ich so, als wäre es egal.

      »War halt ein Arschloch. Mit dem hat die ganze Zeit was nicht gestimmt. Und als sie ihm gesagt hat, dass es aus ist …« Meine Kehle schnürt sich zu. Panisch versuche ich, meine Stimme am Kippen zu hindern. »Na, hab ja gesagt, dass er ein Arschloch war.«

      »Aber warum …« Der Streber scheint es echt nicht zu kapieren. Dann werden seine Augen auch noch feucht. Wie hat der es geschafft, bis zur neunten Klasse zu überleben? Wie hat der den Kindergarten überstanden? »Warum hat er dich … Und wie?«

      »Kaputte Glasflasche. Wie im Film.« Ich mache mit einer Hand vor, wie er das Ding an der Tischkante zerschlagen hat. Ich hab sowas später noch oft gesehen. Meistens ist die Flasche komplett zersplittert und das dumme Arschloch, das sie in der Hand hatte, hat geblutet. Diesmal leider nicht. »Damit ist er auf sie los.«

      »Aber er hat dich erwischt.«

      »Ich bin dazwischengegangen.«

      »Du?«

      »Wer denn sonst? War doch kein anderer da.«

      »Aber …« Sein Gesichtsausdruck ändert sich. Wird noch weicher, als wäre der nicht schon weich wie ein Käse. Warum fühle ich mich wieder so komisch, als die blöden Kuhaugen mich anstarren? Als würde etwas in mir zusammenklappen. Als müsste ich aufpassen, damit ich nicht losheule. Ich.

      »Nicht heulen, Jules.« Ich boxe ihm gegen den Arm und lache männlich. In meiner Brust tobt ein Sturm. »Was guckst du denn so blöd?«

      Er starrt mich an, als könnte ich Gold scheißen. »Du bist ein Held.«

      »Ich.« Zum hundertsten Mal frage ich mich, was mit dem nicht stimmt. Und warum ich mich plötzlich echt wie ein Held fühle. »Laber nicht.«

      »Du hast dich wirklich zwischen sie gestellt?« Seine Augen glänzen.

      »Halt die Fresse, Jules.« Ich schaue wieder an die Decke, weil ich sein dummes Gesicht nicht ertrage. Leider haut er nicht ab. Er kommt näher.

      »Wie fühlt sich das an? Taub?« Die zarte Berührung seiner Fingerkuppe lässt mich erstarren. Kribblige Hitze dringt von ihr in meine Handfläche. Da, wo die Narbe sitzt.

      »Lass den Scheiß!« Ich schlage seine Finger weg. »Fass mich nicht an, klar?«

      »Entschuldigung.« Er hält seine Hand. Hab ich ihn so hart erwischt? Wieder schaut er, als wollte er etwas sagen, sich aber nicht trauen. Die Luftmatratze wackelt. Er geht zurück zu seinem blöden Bett und seinem blöden Buch. Niedergeschlagen setzt er sich. Er starrt auf die Seiten, aber ich weiß, dass er nicht liest. Ich weiß, dass er mich ansehen will. Ich sehe es an seinen geröteten Wangen und den verkrampften Fingern. Und spreche, ohne es zu wollen.

      »Ja, okay.«

      »Okay?« Er sieht auf und blinzelt. Zu lange Wimpern hat er auch.

      »Okay, du kannst mein Bruder sein. Mein kleiner Bruder«, ergänze ich, bevor er sich noch freut. Leider freut er sich trotzdem. Seine Zähne blitzen, als er mich anlächelt. So strahlend, dass ich mich abwenden muss. Ich streife die Kopfhörer wieder über und drehe die Musik lauter. Aber sein Lächeln verfolgt mich bis in den Schlaf.

      Ich hasse ihn.

      Je länger wir zusammen wohnen, desto mehr hasse ich ihn. Irgendwann will ich ihn nur noch packen, ihm die Kehle zudrücken und ihn auf sein blödes Bett schleudern. Ich will mich auf ihn werfen und … Und dann kapiere ich, dass ich ihn gar nicht erwürgen will und der Gedanke macht mir so eine Angst, dass ich vollkommen paranoid werde. In der Schule forsche ich in jedem Gesicht danach, ob man es mir ansieht. Die meisten schauen panisch weg. Ich habe einen schlechten Ruf, selbst für unsere Schule. Der Streber würde hier keine fünf Minuten überleben. Gut, dass er nicht da ist. Gut, dass er mich nur zuhause nerven kann. Mit seinen Fragen und seiner Bewunderung und seiner … Nettigkeit. Seit ich ihm von dem Arschloch mit der Flasche erzählt habe, schaut er mich an, als hätte ich Superkräfte.

      Volltrottel. Volltrottel, Volltrottel, denke ich. Aber der echte Volltrottel bin ich. Ich, der ihn packen, auf das Bett werfen und … küssen will. Nicht mal brutal küssen, wenigstens so hart, wie ein echter Mann das sollte. Nein, ich will zärtlich sein. Ich will seine Lippen so vorsichtig berühren, wie sein Finger meine Narbe gestreichelt hat. Ich will sanft sein und ich will, dass er … dass er mir entgegenkommt und seine blöden, wunderschönen Kuhaugen glänzen und … Ich hasse ihn. So sehr.

      So sehr, dass ich sein Leben ruiniere.

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