Mein Freund, der Kunde. Jürgen Frey

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Mein Freund, der Kunde - Jürgen Frey


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ihrer Identität noch nicht weit gekommen sind. Menschen verändern sich ständig, Märkte verändern sich ständig, deshalb müssen auch Unternehmen sich ständig verändern. Aber nicht willkürlich, sondern indem sie bei dem, was sie besonders gut können, immer besser werden und immer neue Facetten dieser Kompetenz erkennen.

       Sich Zeit nehmen, nachdenken und zum Kern vorstoßen

       Ungeahnte Chancen entdecken

      Als wir damals bei drilbox den ersten Schock überwunden hatten, wie einfach es war, unsere Produkte zu kopieren, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was andere alles nicht oder nur sehr schwer kopieren könnten. Ein Punkt war die bereits erwähnte Produktvielfalt. Wir waren damals ein Spezialist, der nichts als Bohrerkassetten herstellte. Unsere asiatischen Nachahmer suchten bloß nach lukrativen Gelegenheiten. Unsere gesamte Produktpalette zu kopieren, hätte sich für sie nicht gerechnet. Sie konzentrierten sich deshalb auf die meistverkauften Varianten. Deshalb beschlossen wir, in unsere Vielfalt zu investieren, diese deutlicher zu kommunizieren und unsere Kunden noch mehr nach ihren speziellen Wünschen zu fragen.

      Ein anderer Punkt zählte nicht nur bei uns zu den großen Stärken. Viele Mittelständler sind durch ihre gewachsenen Kundenbeziehungen und das so entstandene Vertrauen stark. Das wird oft gar nicht gesehen. Nicht wenige Unternehmer denken: Wenn mich ein Konkurrent beim Preis unterbietet, bin ich geliefert. Sie unterschätzen, wie wichtig ihren Kunden freundschaftliche, vertrauensvolle Beziehungen sind. Sie selbst wechseln ja auch nicht reflexartig die Bankverbindung, nur weil es inzwischen billige Direktbanken gibt. Sondern Sie wissen, wie wichtig ein persönlicher, seit Jahren vertrauter Ansprechpartner bei der Hausbank gerade dann ist, wenn es einmal nicht so rund läuft.

      Besonders wenn sich das Angebot eines Unternehmens an Firmenkunden richtet, sind persönliche Kundenbeziehungen oft Teil der Kernkompetenz. Wo sich maßgeschneiderte Lösungen »auf dem kurzen Draht« vereinbaren lassen, ist der Preis oft nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium. Außerdem schätzen es Firmenkunden, wenn ein Partner ihre Sorgen und Nöte versteht. Unter Freunden kann man beispielsweise über kurzfristige Zahlungsschwierigkeiten aufgrund von Liquiditätsengpässen offen reden und dafür Lösungen finden. Wo man sich lange kennt und dem anderen vertraut, weiß man, dass er erstens die Wahrheit sagt und zweitens schnell wieder bei Kasse sein wird. So übt man sich ein wenig in Geduld, wo ein Konzern längst das Mahnverfahren in Gang setzen würde. Kundenbeziehungen lassen sich gezielt pflegen und aktiv stärken, zum Beispiel durch Kundentage oder einen Kundenbeirat. Sobald man weiß, dass diese intakten Beziehungen zur eigenen Kernkompetenz zählen.

       Methodenkoffer

      Kernkompetenzen sind besondere Fähigkeiten, Fertigkeiten oder Technologien, die vom Kunden als einzigartig angesehen, von der Konkurrenz nur schwer zu kopieren und auf eine Vielzahl von Märkten übertragbar sind. Wenn die Kernkompetenzen unzureichend entwickelt oder nicht bekannt sind, gilt es zu handeln.

      To do:

      

Analysieren Sie Ihre Stärken und Schwächen. Schreiben Sie auf, was Ihr Unternehmen besonders gut kann und was verbesserungsbedürftig ist.

      

Vergleichen Sie Ihr Profil mit der Konkurrenz. Analysieren Sie insbesondere, was die besten Ihrer Branche einzigartig macht.

      

Finden Sie heraus, wer die Know-how-Träger in Ihrem Haus sind, und stärken Sie diese.

      

Fragen Sie sich, was der Kunde von Ihren Produkten hat. Beschäftigen Sie sich mit Ihrem Kunden und nehmen Sie dessen Perspektive ein.

      

Führen Sie regelmäßig Gespräche mit Betriebsfremden (Bankmitarbeiter, Verbandsmitarbeiter, Journalisten usw.), um Betriebsblindheit vorzubeugen.

       Zeigen, wer man ist und was man zu bieten hat

      Ob Sie wirklich wissen, was Ihre Kunden am meisten an Ihnen schätzen, zeigt Ihnen der legendäre »Elevator Pitch«, auch »Fahrstuhltest« genannt. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für einen mittelständischen Fensterhersteller. Schon lange jagen Sie einem potenziellen Kunden hinterher. Es ist ein großes Hochbau-Unternehmen, das jedes Jahr Zigtausende Fenster einkauft. Immer wieder haben Sie mit dem Unternehmen telefoniert. Jetzt endlich dürfen Sie einmal persönlich vorbeikommen. Der stellvertretende Einkaufsleiter will sich eine Viertelstunde Zeit für Sie nehmen.

      Nun gut, denken Sie, besser als nichts, und fahren hin. Die Hochbau-Firma sitzt in einem Hochhaus – wo sonst? Sie melden sich am Empfang und man bittet Sie, in die 7. Etage zu fahren. Als Sie vor dem Aufzug warten, tritt ein Herr im dunklen Anzug mit korrektem Silberscheitel neben Sie, nickt Ihnen freundlich zu und sagt »Guten Morgen«. Sie kennen den Mann von Fotos. Es ist der Firmengründer und Chef höchstpersönlich, auf dem Weg in die oberste Etage.

       Spontan zeigen können, wer man ist

      Was machen Sie jetzt? Sie werden die nächsten ein bis zwei Minuten mit dem Chef verbringen. Er kann nicht weglaufen. Und weil er ein höflicher Mensch ist, wird er Ihnen zuhören, wenn Sie ihn ansprechen. Aber was sagen Sie? Fangen Sie das Verkaufsgespräch, das Sie mit dem stellvertretenden Einkaufsleiter führen wollten, jetzt mit dem Chef an? Keine gute Idee. Der Chef wird Sie an den Einkauf verweisen. Und wenn Sie dort damit prahlen, schon mit dem Chef gesprochen zu haben, werden die Mitarbeiter sich übergangen fühlen und Ihnen nie im Leben einen Auftrag geben.

      Also, was machen Sie? Wenn Sie Ihre potenziellen Kunden wie Ihre potenziellen Freunde behandeln und deren Vertrauen gewinnen möchten, dann zeigen Sie jetzt einfach, wer Sie sind. Wenn der Chef Sie nach Ihrer Firma fragt, dann erzählen Sie nichts von einem x-beliebigen Fensterhersteller. Sondern Sie erzählen, was Ihre Kunden an Ihnen lieben. Was Sie besonders gut können. Ihre Kernkompetenzen. Ersparen Sie dem Chef die Frage »What’s in it for me?«. Denn das müssen Ihre Worte wiedergeben.

      Ein solches Fahrstuhlgespräch können Sie nicht in Wochenendseminaren proben. Wenn Sie die typischen »Verkäufersprüche« aufsagen, wird Ihr Gesprächspartner das merken und seine Ohren auf Durchzug schalten. Wenn Sie aber authentisch sind und ganz selbstverständlich darüber sprechen, warum Sie glauben, mit Ihren Stärken diesem Kunden wirklich weiterhelfen zu können, dann werden Sie mit ziemlicher Sicherheit auf offene Ohren stoßen. Vorausgesetzt, Sie können die Dinge auf den Punkt bringen.

       Der Kern ist immer einfach

       Die Zehn Gebote haben nur 81 Wörter

      Wenn Sie Ihre Kernkompetenz auf den Punkt bringen wollen, kommt Ihnen ein allgemeingültiges Prinzip zugute: Der Kern ist immer einfach. Wesentliches lässt sich kurz fassen. Um zu zeigen, wie unnötig schwer wir es uns da oft machen, verglich der Journalist Bodo H. Hauser einmal die Textmenge der Zehn Gebote mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dem Umfang einer typischen EU-Verordnung. Tatsächlich haben die Zehn Gebote nur 81 Wörter. Damit war für das Volk Israel alles Wesentliche gesagt. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat immerhin schon 1320 Wörter. Und die Verordnung der Europäischen Union über die ökologische Landwirtschaft hat sage und schreibe 13 800 Wörter!

      Der »Fahrstuhltest« zeigt Ihnen: Wenn Sie kurz machen können, was Sie ausmacht, dann liegen Sie richtig. Wenn auch ein Viertklässler versteht, was Ihre Firma für ihre Kunden leistet, haben Sie es auf den Punkt gebracht. Oft, wenn ich als Berater in mittelständische Unternehmen komme, trommele ich alle Mitarbeiter mit Verantwortung zusammen und stelle dann vor versammelter Mannschaft eine einfache Frage: Was, glauben Sie, sind Ihre größten Stärken? Sehr häufig kommt jetzt eine von zwei Reaktionen: Die erste ist an die Decke schauen und die zweite auf den Boden schauen. Meistens ist es der Vertriebsleiter, der sich schließlich ein Herz fasst


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