Rein in die Führung. Susanne Klein
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Mut zur eigenen Entscheidung
Es braucht schon Mut, das eigene Urteil gegen das Urteil anderer aufrechtzuerhalten. Als soziale Wesen bevorzugen wir Konsensentscheidungen und schließen uns gerne der Meinung anderer an. Manchmal tun wir das auch, wenn wir selbst eine andere Überzeugung haben und tief in unserem Inneren wissen – meistens fühlen wir es, ohne die genauen Gründe zu kennen –, dass eine Entscheidung falsch ist. Das Leben des Fischers würde aus seiner Sicht ungleich komplizierter und anstrengender und er würde für seine Lebenswelt nicht wirklich etwas erreichen. So bleibt er bei seiner Haltung. Dabei handelt es sich jedoch um eine Haltung, die in der westlichen Welt nicht akzeptabel ist. Sie wird als »faul« bezeichnet, denn der Fischer könnte in unseren Augen eine ganze Menge erreichen.
Der Wunsch nach Kohäsion
Ideal und Wirklichkeit
Der »ideale« Manager bildet sich stets eine eigene, unabhängige Meinung und setzt diese gegen alle Widerstände durch. Viele Manager entsprechen diesem Idealbild im beruflichen Alltag nicht. Sie scheuen sich, die Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen zu tragen, vor allem, wenn es gegen den Trend geht. Also suchen sie gerne nach einer Argumentation, die es ihnen möglich macht, sich der Mehrheit anzuschließen – oft in dem Wissen, dass es sich wahrscheinlich um eine falsche Entscheidung handelt. Sie suchen die kurzfristige Kohäsion, also das »Schwimmen mit dem Schwarm«, ohne darauf zu achten, dass sie damit langfristig ihre Ziele und Ideen aus dem Blick verlieren. In verschiedenen psychologischen Untersuchungen hat man herausgefunden, dass die Antworttendenzen umso konformer ausfallen, je mehr Personen zuvor ein bestimmtes Urteil gefällt haben. Diese Tendenz verstärkt sich noch, wenn besonders relevante Personen ein Urteil gefällt haben.
Konformität statt Eigensinn
Dieser unbewusste Prozess steuert sehr viele Entscheidungen. Die wenigsten Menschen haben tatsächlich den Mut, ihre langfristigen Überlegungen in die Tat umzusetzen. Zu verlockend sind die kurzfristigen Erfolge, die mit einem gewissen Maß an Konformität erzielt werden können. Das fängt bei der Kleidung an und hört beim Denken und Handeln auf.
Wir gehen gerne konform mit unseren Mitstreitern. Je höher Sie im Unternehmen rangieren, umso weniger Mitstreiter haben Sie. Je weniger Mitstreiter auf gleicher Ebene es gibt, umso wertvoller ist die einzelne Vertrauensperson und damit die gemeinschaftliche Meinung. Diese Einzelposition kann auch dazu führen, dass Sie sich daran gewöhnen, mit Ihrer Meinung alleine zu sein. Sie wissen, dass Sie grundsätzlich unpopulär entscheiden. Entscheidungen, die auf oberer Ebene sinnvoll und nützlich erscheinen, kommen auf den unteren Ebenen nicht mehr unbedingt als solche Entscheidungen an.
Spiegelneuronen als Steuerungsinstrument
Für den Wunsch nach Kohäsion sorgen alleine schon unsere Spiegelneuronen. Spiegelneuronen bilden quasi die internen Prozesse, die bei einem Gegenüber ablaufen, im eigenen Gehirn ab. So fühlen wir beispielsweise die Freude oder die Enttäuschung des Gegenübers mit. Spiegelneuronen ermöglichen es uns also, uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Gelingt das zu gut, lassen wir uns stark beeinflussen. Arbeiten diese Neuronen weniger gut, fällt es leichter, auf Distanz zu bleiben.
Beide Ausprägungen – die Überidentifikation und die starke Distanz zum Gegenüber – sind wichtig und vor Entscheidungen zu berücksichtigen. Sobald in einer Diskussionsrunde sehr schnell ein Konsens entsteht, kann man sich fast sicher sein, dass hier die Spiegelneuronen am Werk waren und etwas Wesentliches übersehen wurde. Bei schneller Einigkeit müssen wir also besonders aufmerksam sein und strategisch denken: Wenn wir so entscheiden, welche Konsequenzen wird das dann haben?
Nachhaltigkeit ist überall
Das Prinzip Langfristigkeit heißt auf gut Neudeutsch »Nachhaltigkeit«. Über Nachhaltigkeit sprach in den letzten zehn Jahren nahezu jede Branche. Seit etwa zwei Jahren ist der Begriff in den normalen Sprachgebrauch übergegangen (»Das müssen wir nachhaltig ändern«) und hat damit an Bedeutung verloren. Außerdem hat sich der Begriff, der ursprünglich aus dem ökologischen Umfeld kommt, zu einem sogenannten »Container-Begriff« entwickelt. Nachhaltig ist inzwischen alles, was nicht sofort vorbei ist. Und was es tatsächlich bedeutet, weiß eigentlich keiner mehr so genau. Unklar ist auch die Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen wie »langanhaltend«, »mit langer Wirkung« oder »zukunftsfähig«. Es gibt nachhaltiges Marketing, nachhaltiges Personalmanagement, nachhaltige Entscheidungen und vieles mehr. Der Unterschied zum früheren Management, das ohne dieses Wort auskam, bleibt aber unklar.
Momentexploration
Ein gängiger Denkfehler
Wesentlich bleibt bei allen Entscheidungen, dass ihre Konsequenzen gut durchdacht werden und wir stets abwägen, ob kurzfristige Erfolge die Ressourcen rechtfertigen. Wir dürfen dabei auch nie vergessen, an langfristigen Strategien zu arbeiten. Das ist nicht ganz einfach, denn unser Denken schließt aus den aktuell gemachten Erfahrungen auf die Zukunft. Wir nehmen also an, dass die Dinge, so wie sie sich im Moment darstellen, immer weitergehen. Dieser Denkfehler heißt »Momentexploration« und hilft uns dabei, die Komplexität zu reduzieren. Aber er führt uns beim Nachdenken über langfristige Strategien in die Irre. Die Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen, bleiben nicht immer gleich und sie folgen auch nur bedingt gewissen Schemata.
Langfristige Strategien entwickeln
Es wäre zum Beispiel zu einfach, zu sagen »Der DAX war noch nie dauerhaft im Keller«, und daraus zu schließen, dass es nach einer gewissen Zeit genauso weitergeht wie zuvor. Es ist aller Erfahrung nach eher unwahrscheinlich, dass es wieder so werden wird wie früher. Es wird anders werden. Wie genau, darüber gibt es nur Spekulationen. Und innerhalb derer können wir an langfristigen Strategien zum unternehmerischen Erfolg arbeiten. Ein Szenario könnte zum Beispiel so aussehen: Wie kann das Geschäft entwickelt werden, wenn der DAX sich nicht wieder auf einer sehr hohen Ebene stabilisiert? Möglicherweise ist es sinnvoll, zukünftig zuverlässiger und beständiger wieder mit dem lokalen Geschäft zu wirtschaften. Die vielen neuen Privatbanken, die momentan entstehen, machen uns genau das vor: Geschäfte werden nur noch im lokalen Markt mit persönlich vertrauten Partnern getätigt.
Die Rahmenbedingungen werden sich immer wieder auch in unvorhergesehener Weise verändern. Langfristige Strategien sind dennoch wichtig. Zum einen helfen sie uns dabei, nicht nur reine »Reagierer« zu sein. Wir haben mehr Möglichkeiten, aktiv zu sein und mitzubestimmen, und können so den Markt in eine positive Richtung hin entwickeln. Eine offene und flexible Haltung, die Fähigkeit, sich schnell anzupassen und dennoch langfristig zu denken, ist dem rein spontanen Reagieren deutlich überlegen.
Fokus 5: Flexibilität und Veränderungsfähigkeit
Was bedeutet »Charakter«?
»Je mehr Charakter ein Mensch hat, umso weniger Möglichkeiten hat er«, sagt Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie. Charakter zu haben bedeutet, in einem werteorientierten Denken fest verwurzelt zu sein und damit auf bestimmte Fragen des Lebens festgelegte Antworten zu wissen. Die Denkund Handlungsflexibilität ist damit begrenzt. Ein Mensch mit Charakter ist ein Mensch mit Kanten, nicht mehr so flexibel. Die Kunst scheint darin zu bestehen, sich insgesamt treu zu bleiben – also Charakter zu haben, wie Perls es nennt –, und sich gleichzeitig seine Flexibilität zu erhalten.
Flexibilität kann uns stark und schwach machen. Als Stärke nutzen wir sie, wenn wir die Dinge immer wieder neu betrachten, die Perspektiven wechseln und Lösungen entwickeln, die neu, mutig und anders sind. Zur Schwäche wird Flexibilität dann, wenn sie an Willkür erinnert, wenn sie haltlos wird und wir ohne werteorientierte Guideline heute so und morgen anders denken.
Vor- und Nachteile von Flexibilität
Ein rechtes Maß an Flexibilität scheint für ein Unternehmen sehr wertvoll zu sein. Eine Familie wäre zum Beispiel auch nicht im positiven Sinne denkbar, wenn alle vierzehn Tage der Vater wechselt beziehungsweise die Person, die diese Rolle ausfüllt. Es ist auch nicht gut, wenn sich die Spielregeln immer wieder ändern und man das nicht nachvollziehen kann: An manchen Tagen gibt es ein gemeinsames Frühstück, an anderen nicht – je nachdem, wie sich das Vorabendprogramm