Mörderhände: 7 Strand Krimis. Cedric Balmore

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Mörderhände: 7 Strand Krimis - Cedric Balmore


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      „Wuff!“

      „Aber ich hatte heute nicht den Eindruck, dass die Laune gut war… Da sagst du nichts, Harm?“ Eine Pause entstand.

      Tjade Winkels hörte auf zu kraulen.

      „Wuff! Wuff! Wuff!“

      Nachdem Tjade Winkels einen Schluck Tee genommen hatte, fing er wieder an zu kraulen und Harm beruhigte sich.

      „Du hast es gut, Harm… Wieso? Weil Hunde nicht pensioniert und unfreiwillig in den Ruhestand geschickt werden! Deshalb!“

      *

      Der Alte hat ja eine ganze Menge Bücher, dachte der Mann missmutig. Das war ihm bei seinen früheren Besuchen noch nie so aufgefallen. Na, schön, die Besuche waren auch eher selten gewesen. Er hatte nun mal keinen Spaß daran, sich mit den alten Säcken abzugeben, die sich nur über ihre Krankheiten unterhielten und den Schwestern mit lüsternen Augen nachstarrten.

      Er grinste, wenn er daran dachte, dass bei diesen alten Typen sowieso nichts mehr ging – ganz im Gegensatz zu ihm. Er freute sich schon auf den Abend. Der Rothaarigen, die er an der Bar gesehen hatte, würde er es heute besorgen. Sie hatte ihn ja schon förmlich angefleht, wenn er ihren Blick richtig gedeutet hatte.

      Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Büchern zu. Hier musste es doch ein paar wertvolle alte Schinken geben. Er hatte zwar keine Ahnung von Büchern, aber er erinnerte sich an einen Laden in der Innenstadt, der mit solchen alten Schwarten handelte, und nach dem Schild im Schaufenster zu schließen, kaufte er auch welche an.

      Sein Finger glitt über die Buchrücken im obersten Regal. Bibliothek der Klassiker, buchstabierte er mühsam. Was sollte das denn sein?

      Ein Klassiker war für ihn die erste Ausgabe von Superman. Und die war wertvoll, das wusste er. Vielleicht waren diese Klassiker auch wertvoll. Goethe, von dem hatte er schon gehört. Dann sah er, dass er nur die Bände zwei, vier und zwölf vor sich hatte.

      Er biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Das hatte wohl keinen Zweck. Schiller, ja, der sagte ihm auch etwas. Nur ein Band. Das schien ihm auch zu wenig für einen Verkauf. Diese alten Meister hatten sich doch die Finger wund geschrieben. Das war jedenfalls seit der Schulzeit hängen geblieben. Wo war der Rest?

      Karl May! Den hatte man doch sogar verfilmt. Das könnte was sein. Er zog die beiden Bände ein Stück heraus, damit er sie später nicht übersah.

      Im nächsten Regal standen und lagen mehr oder weniger zerlesene Exemplare neuerer Romane. Die Autoren sagten ihm nichts. Bilder waren auch nicht drin. Zwei alte Kinderbücher, noch zerlesener. Die kannte er doch. Daraus hatte seine Mutter ihm vorgelesen, als er noch sehr klein war.

      Zum Glück war die Alte schon lange tot. Er hatte es gehasst, wenn sie ihn am Sonntag aus dem Bett warf, um ihn in mit in die Kirche zu schleppen. Und dann legte die alte Betschwester immer noch einen Schein in den Klingelbeutel. Den hätte er lieber für ein paar Comic-Hefte ausgegeben, die er immer noch liebte.

      Der Mann wandte sich ab, drehte sich um, trat ans Fenster und schob die Gardine ein Stück zur Seite. Das Zimmer lag im Erdgeschoss und hatte keinen Balkon wie die darüber liegenden Etagen des Altenheimes im Herzen von Aurich. Eine halb geöffnete Tür führte ins Freie auf eine kleine Terrasse. Dahinter befand sich eine große Rasenfläche.

      Dort saßen sie.

      Sein alter Herr im Kreis seiner ebenso alten oder noch älteren Freunde. Jeder von denen hatte sein „Verfallsdatum“ schon lange überschritten. Sie hockten um einen rechteckigen Gartentisch, aßen ihren Nachmittagskuchen und tranken dazu die Brühe, die man hier Kaffee nannte. Früher hatte seine Mutter nur Tee serviert, wie sich das in Friesland gehörte.

      Ihm kam die Galle hoch, wenn er daran dachte, dass er im Alter von zwölf Jahren mitgehört hatte, wie sein Vater seinen Sohn als verdammten Unfall bezeichnete. Er hatte sich als Kind schon immer gewundert, warum seine Eltern älter waren als die seiner Klassenkameraden. Seine Mutter war natürlich jünger gewesen als ihr Mann. Dennoch, es hatte ihr nichts genützt. Sie war schon lange tot.

      Er zählte fünf Personen. Da waren sein Vater, zwei weitere Männer und zwei Damen, eine davon steinalt, wie es ihm vorkam. Er konnte nicht hören, worüber sie sich unterhielten, jedenfalls schienen sie ihren Spaß zu haben. Gelegentlich scholl ein kurzes Lachen herüber.

      Er wusste, dass sie nicht alle in diesem Heim wohnten. Einige waren nur zu Besuch hier bei ihren alten Freunden. Es war schließlich Sonntag, und in einer Stadt wie Aurich gehörte es zur Tradition, sich an einem solchen Tag gegenseitig zu besuchen.

      In einiger Entfernung genossen noch weitere Insassen des Altenheims die frühsommerliche Wärme. Verstreut herumstehende Stühle und Liegen wirkten wie Farbtupfer auf der grünen Rasenfläche. Das Altenheim, das sich vornehm Senioren-Residenz nannte, befand sich inmitten eines parkähnlichen Geländes in der Nähe des Badesees Tannenhausen.

      Sein Vater warf einen Blick herüber, als wollte er sich fragen, wo sein Sohn so lange blieb. Schließlich wollte er doch nur kurz auf die Toilette gehen. So etwas kann ja auch länger dauern, dachte der Mann und wandte sich wieder dem Bücheregal zu.

      Hatte der Alte denn überhaupt keine wertvollen Bücher?

      Er besaß ohnehin nicht viel. Das hatte sein Sohn schon bei seinen früheren Besuchen herausgefunden. Er hatte mal einen silbernen Teelöffel mitgehen lassen, den er einem Flohmarkthändler gezeigt hatte. Doch der hatte nur abfällig gegrinst und ihm gesagt, wohin er sich die wertlosen Blechdinger schieben könne.

      Unauffällig hatte er später den Löffel wieder zurückgelegt. Noch nicht einmal die Möbel hätten sich gelohnt, unabhängig von der Frage, wie er sie unbemerkt wegschleppen könnte. Immerhin hatte der Alte eine goldene Uhr, doch deren Verschwinden hätte er todsicher bemerkt. Außerdem legte er sie so gut wie nie ab.

      Der Besucher seufzte ergeben. Es blieben eben nur die Bücher. Und auch die schienen sich als Fehlschlag entpuppen zu wollen.

      Sein Blick fiel auf den schwarzen Rücken einer alten Schwarte, die ein Stück über die anderen Buchrücken hinausragte. Der Titel war nicht mehr zu lesen, da die ehemals vergoldeten Buchstaben kaum noch zu erkennen waren. Abgegriffen. Viel benutzt.

      Plötzlich wusste er, worum es sich bei diesem Buch handelte.

      Die alte Bibel seiner Mutter!

      Während seiner ganzen Zeit in der Grundschule hatte sie ihm abends daraus vorgelesen, obwohl ihn die Geschichten nicht interessiert hatten. Viel lieber hätte er die Abenteuergeschichten gehört, von denen seine Mitschüler sprachen. Und dann noch diese endlosen Gebete, beim Essen, zum Einschlafen, bei Krankheit…

      Zum Glück hatte die Alte rechtzeitig den Löffel abgegeben, und die Tortur war vorbei. Sein Vater hatte die Erziehung anschließend dem Lauf der Natur überlassen, und so hatte sich sein Sohn in eine Richtung entwickelt, die seiner Mutter überhaupt nicht gefallen hätte.

      Er zog den dicken Band heraus und schlug die Titelseite auf. Die Bibel war über hundert Jahre alt. Das war doch was! So ein richtig altes Buch musste doch etwas wert sein, wenn er es zum Händler brachte.

      Auf der gegenüberliegenden Seite war der Name seiner Mutter in ihrer typischen, nach links geneigten und akkuraten Handschrift geschrieben.

      Er blätterte die nächste Seite auf.

      Da lag ein unschuldig aussehender Umschlag mit der Adresse seines Vaters und einem Notariat als Absender.

      In dem Umschlag befand sich ein zusammengefalteter Brief. Er zögerte kurz und warf einen Blick aus dem Fenster. Dort hatte sich nichts verändert. Die alten Leute waren mit sich selbst beschäftigt.

      Der Mann zog den Inhalt des Umschlags ganz heraus. Das Schreiben eines Notars, bestehend aus zwei Blättern und einem kleineren Dokument, das er sich als erstes ansah.

      Er blieb minutenlang stocksteif stehen. Nur seine Hand zitterte, und er konnte nicht glauben, was


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