Perry Rhodan 70: Die letzten Tage von Atlantis. K.H. Scheer
Читать онлайн книгу.Jagats schmales Gesicht blieb unbewegt, als er mir einen Diagrammstreifen aus Kunststoff überreichte.
Er begann übergangslos mit seiner Erklärung. Ich ahnte, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Es wäre sinnlos gewesen, des langen und breiten über Bulls Schicksal diskutieren zu wollen. Es entsprach auch Jagats Art, die Tatsachen beim Namen zu nennen.
»Die erste Auswertung, Admiral. Bully befindet sich zur Zeit in einem Stadium, das dem seines zweiunddreißigsten Lebensjahres entspricht. Die Spitzzacken zeigen den Beginn des rückläufigen Prozesses an. Die Flachkurven beinhalten die abgelaufene Standardzeit nach der zweiten Aktivierung. Das Diagramm sagte aus, dass der Vorgang bei kontinuierlicher Weiterentwicklung nach dreimal vierundzwanzig Stunden ein akutes Stadium erreicht. Bieten wir der Sache keinen Einhalt, wird er in etwa drei Wochen ein plärrendes Baby sein.«
Die Vorstellung, Bull als strampelndes Kleinkind zu erleben, wäre andernorts und bei weniger tragischer Situation äußerst spaßig gewesen. Hier jedoch gab es niemand, der auch nur eine Miene verzogen hätte.
Das Diagramm war das Ergebnis eines kleinen Rechenexempels. Man benötigte keine höhere Mathematik, um ungefähr zu ermitteln, wann die Sache kritisch wurde.
Ich blickte den Mediziner forschend an. Sköldson bewegte nur hilflos die Hände. Sein strohblondes Haar hing unordentlich in die gerunzelte Stirn hinab. »Sie haben keine Lösung, Doktor?«, fragte ich.
»Keine! Was in diesem Gerät geschehen ist, entzieht sich meinem Begriffsvermögen. Die rein physikalischen Vorgänge verstehe ich ohnehin nicht. Was die biochemischen Veränderungen betrifft, sehen Sie mich ebenfalls ratlos. Für mich ist es unvorstellbar, einen ausgewachsenen Menschen jünger werden zu sehen. Das geht gegen alle Naturgesetze.«
»Wie alles auf diesem künstlichen Planeten«, warf Bull tonlos ein. »Okay, reden wir nicht mehr lange. Ehe ich zum Säugling werde, sterbe ich lieber.«
Sein pausbäckiges Gesicht war verkniffen. Ohne jede Hoffnung sah er uns der Reihe nach an. Schließlich richtete sich seine Aufmerksamkeit auf eine hochgewachsene, schlanke Gestalt ganz im Hintergrund der Eingangshalle. Ich spähte hinüber.
Wir hatten den biopositronischen Roboter »Homunk« genannt. Er war das Erzeugnis einer als abgeschlossen anzusehenden Wissenschaft. Vollendeter konnte nicht mehr gebaut werden, ohne den Versuch zu machen, dem Weltenschöpfer selbst ins Handwerk zu pfuschen.
Homunks biosynthetische Gesichtsfolie zeigte ein verbindliches Lächeln. Unter dem wirklich lebenden Kunstgewebe seiner äußeren Körperverkleidung bewegte sich ein Mechanismus, der nichts seinesgleichen in der bekannten Galaxis hatte.
Das vollpositronische Mikrogehirn war derart leistungsfähig, wie ich es bei unseren besten Maschinen noch nicht erlebt hatte. In diesem komplizierten Rechengerät waren solche Schaltelemente in einem Raum von knapp einem Kubikzentimeter montiert, zu deren funktionstüchtiger Unterbringung wir wenigstens einen Kubikmeter benötigt hätten. Das mechanische Gehirn arbeitete mit einer Impulsgebung von etwa achtzig Millionen Reflexsteuerungen pro Sekunde. Wie groß die Speicherkapazität war, wussten wir nicht. Auf alle Fälle war Homunk das, was man als perfekt bezeichnen konnte.
Er war von seinem Erbauer äußerlich einem Menschen oder Arkoniden nachgebildet worden. Sein Sprechmechanismus war eine biologische Schablonenarbeit mit einem positronischen Vibrationsgeber, der die elektromagnetischen Lenkimpulse mit Hilfe der halborganischen Stimmbänder in verständliche und einwandfrei modulierte Worte umwandelte. Homunk war ein Wunderwerk; aber nun schien es kläglich zu versagen.
Rhodan winkte den Robot herbei. Er näherte sich mit ausholenden, elastischen Schritten. Sein stereotypes Lächeln reizte mich zu einer unfreundlichen Bemerkung.
»Mir scheint, dein großer Meister ist ebenfalls am Ende seiner Kunst angelangt. Wo ist jenes Geschöpf, dessen brüllendes Gelächter sonst alle Augenblicke zu hören war?«
Homunk blieb stehen. Seine nachgebildeten Augen richteten sich auf mich. Er nannte mich »Sir«, so wie er jedermann Sir nannte.
»Er hat seit der Flucht aus dem Zwischenraum nichts mehr von sich hören lassen, Sir. Ich bin beunruhigt.«
Ein kosmonautischer Offizier der DRUSUS lachte humorlos auf. Dann wurde es wieder still in der großen Halle.
Ich dagegen wusste in diesem Augenblick, dass die zweite Katastrophe ebenfalls eingetreten war. Es war verschwunden! Das Lebewesen, in dem sich der Geist von Millionen entstofflichter Intelligenzen vereinigt hatte, um eine ungeheure, konzentrierte psychische Kraft zu bilden, schien das Chaos der Rückkehr aus dem Halbraum nicht gut überstanden zu haben. Praktisch waren wir augenblicklich die Beherrscher des Kunstplaneten Wanderer.
Perry Rhodan sah mich nur an. Er schien seine entscheidenden Fragen bereits vor meiner Ankunft gestellt zu haben. Jetzt überließ er mir die Initiative.
Ich begann innerlich zu verzweifeln. Männer meiner Rasse transpirieren selten. Dafür fühlte ich meine Augen feucht werden. Mein Logiksektor schwieg beharrlich. Anscheinend sah auch das Extrahirn keinen gangbaren Weg.
Als ich beharrlich schwieg, warf Rhodan endlich ein: »Homunks Vorschlag geht dahin, das gesamte Experiment zu wiederholen. Wanderer geriet vor Wochen in eine Überlappungszone der Druuf-Ebene. Beim gewaltsamen Ausbruch landete der Planet in einer unstabilen Zwischendimension. Wenn wir nun bewusst in die Zeitmauer eindringen und die Flucht noch einmal unter genau gleichartigen Umständen riskieren, müssten wir eigentlich im Zwischenraum landen. Dort könnte Bully unter Umständen nochmals in die Zelldusche steigen.«
Rhodans eigenartiges Lächeln bewies mir, dass er den Plan für nicht erfolgversprechend hielt.
»Unmöglich«, wehrte ich schroff ab. »Wie willst du die riesige Masse des Himmelskörpers durch das Spiegelfeld bringen?«
»Wir könnten mit den mächtigen Maschinen dieser Welt eine entsprechend große Linsenöffnung erzeugen.«
Ich winkte ab. Es war sinnlos, darüber zu diskutieren.
»Bis ihr das geschafft hättet, wäre ich erledigt«, warf Bully gefasst ein. »Atlan, haben Sie eine bessere Idee? Ich erinnere mich gut an Ihre Arbeit während und vor dem Ausbruch.«
»Noch einmal in den Konverter steigen und auf Biegen oder Brechen versuchen, den Prozess aufzuhalten«, meinte Oberstleutnant Sikerman.
Ich schüttelte den Kopf. Nein, das war auch kein Weg. Das Problem lag in unserer Unkenntnis über die Funktionsart des Physiotrons. Bull war während seiner Aufladung für nur kurze Zeit von den Verzerrungskräften einer Phasenverschiebung erfasst worden. Wir wussten nun, dass die instabile Existenz des Planeten im Halbraum eine Frage des Energiegehaltes war. Fraglos war die Zwischenebene mit der Druufzone wesentlich näher verwandt als mit unserem vierdimensionalen Einsteinuniversum.
Ich erfuhr erst später, dass ich länger als eine Stunde wie erstarrt vor dem perfekten Roboter gestanden hatte. Die Männer der DRUSUS schwiegen auch noch, als ich infolge einer schmerzhaft harten Impulsgebung meines Logiksektors aus den Grübeleien erwachte.
Ich hatte eine vorläufige Lösung gefunden; aber ob sie auch in der Praxis bestand, war eine andere Frage.
»Du hast ein Ergebnis«, stellte Rhodan fest. »Was können wir tun?«
Ich fühlte mich erschöpft. Die mathematischen Probleme wurden auch für ein Arkonidengehirn zu groß. Ich konnte vorerst nur allgemeine Auskünfte geben.
Als ich mich aufmerksam umblickte, bemerkte ich, dass meine Augen mir den Dienst fast versagten. Rhodan trat näher. Besorgnis zeichnete seine Züge.
»Du bist noch erschöpft von den letzten Anstrengungen«, sagte er leise. »Kannst du dich noch einmal konzentrieren? Ich habe von der Sache eine gewisse Vorstellung. Warten wir ab, was du ausgeknobelt hast. Vielleicht stimmen unsere Meinungen überein.«
Ich lächelte ihn an. Dabei fragte ich mich, warum ich diesen Mann einmal für meinen Feind gehalten hatte. Auf Hellgate hätte ich ihn beinahe getötet. Die Menschen in Rhodans Umgebung erinnerten mich mehr und