Der König und sein Spiel. Dietrich Schulze-Marmeling

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Der König und sein Spiel - Dietrich Schulze-Marmeling


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Provinz Amsterdam vor. Die Metropole, einst Hort der Liberalität und Mekka der Jugendbewegung, sei eng und aggressiv geworden. Er schwärmt von Berlin und der dort herrschenden Aufbruchstimmung.

      Für Rözer ist der niederländische Fußball ohne Cruyff undenkbar. „Ohne ihn wäre unser Fußball nie zu dem geworden, was er heute ist. Cruyffs Beitrag ist unglaublich. Manchmal gibt es Sportler, die über ihrem Sport stehen. Cruyff war so einer. Ihm ist es immer auch um die Schönheit gegangen, die Schönheit des Spiels. Schönheit war ihm immer wichtiger als das Resultat. Als Fußballspieler war er nie gemein und hart. Und eine völlig unabhängige Person. Cruyff war das, was ihr in Deutschland einen 68er nennt.“

      Cruyff sei der einzige Spieler gewesen, der ihn einmal zu Tränen gerührt habe: „Das war bei seinem ersten Tor nach seiner Rückkehr zu Ajax. Am 6. Dezember 1981 spielte Ajax gegen Haarlem. Trotz des enormen Drucks erzielte Cruyff ein geniales Tor.“

      Rözer teilt Cruyffs Unbehagen über das Auftreten der Elftal beim WM-Turnier 2010. Vor allem im Finale gegen Spanien beschlich ihn „ein komisches Gefühl. Ich habe mir gesagt: Wenn sie gewinnen, dann werde ich feiern. Ja. Einmal Weltmeister! Aber eine innere Stimme hat mir auch gesagt: Da ist etwas nicht in Ordnung.“ In der Vergangenheit sei das Motto der Niederländer gewesen: „Wir machen es nicht für den Sieg – wir machen die Welt etwas schöner. Aber dieses Denken war in Südafrika komplett weggeblasen.“ Die Abkehr vom „schönen Fußball“ habe 1988 begonnen: „1988 war unser Befreiungstag von euch Deutschen. Aber es ist auch etwas Komisches mit uns passiert. Nun ging es nicht mehr um Fußball, es ging um ein Erlebnis.“

      Johan Cruyff sei ein „sehr sozialer Mann“. Aber er sei auch „zänkisch“, was auch für seine Herkunftsfamilie gelte. Zwischen den Brüdern Johan und Henny Cruyff ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs das Tischtuch komplett zerschnitten. Henny Cruyff hat Rözer bei seinem Buch über den „Kaiser“ und den „Erlöser“ geholfen – wie auch Walter Beckenbauer.

      Cruyff habe nie die Furcht gehabt, dass seine Ideen nicht funktionieren. „Er hat immer ein großes Selbstvertrauen besessen. Und die Macht und den Willen, die Dinge in seinem Sinne zu gestalten.“ Aber Cruyff habe sich auch immer um die Übernahme von Verantwortung gedrückt. Vielleicht auch, weil er sich nicht sicher war, die Dinge ganz in seinem Sinne gestalten zu können?

      *****

      Ruud Koolen, der Cruyff-Fan

      Ein erklärter Cruyff-Fan ist Ruud Koolen (Jahrgang 1957), Herausgeber der Crossmedia-Kommunikationsplattform Skipr. Zuvor hat er u. a. als Chefredakteur einer Zeitschrift für Behindertenpolitik gearbeitet, woraus sich Berührungspunkte mit der Johan Cruijff Foundation ergaben.

      Wir kennen uns bereits seit vielen Jahren. Anfang der 1990er publizierte Koolen zum Thema Rassismus im Fußball. Damals blickten Liberale im Ausland mit einem gewissen Neid auf die niederländische Nationalelf und Ajax Amsterdam mit ihren Surinamern. Oranje und Ajax waren auch deshalb erfolgreich, weil sie ihre Migrantenkinder mitspielen ließen. In Deutschland setzte ein entsprechendes Umdenken erst nach der WM 1998 ein.

      Der Journalist wohnt in Utrecht, in einer Siedlung, die gebaut wurde, als die Niederlande noch „das Land der Guten“ waren. Also bevor die Rechtspopulisten die politische Landschaft veränderten. In Ruud Koolens Siedlung heißen die Straßen Simon Bolivarstraat, Che Guevarastraat, Sandinostraat oder Steve Bikostraat. Koolen wohnt in der Tulastraat, benannt nach einem Sklaven, der 1795 in Curaçao einen Aufstand anführte.

      Aus seiner Begeisterung für Cruyff und Ajax macht Ruud Koolen keinen Hehl. „Cruyff spielt immer sein Spiel. Anpassung lehnt er ab, er ist unglaublich konsequent. Cruyff hat seine eigene Logik, worüber manchmal auch Witze gemacht werden. Was er sagt, hört sich zuweilen paradox an, aber er hat immer schon Entwicklungen früher als andere gesehen, und am Ende hat er Recht behalten. Für ihn ist alles bereits logisch, was für andere Menschen noch nicht logisch ist. (,Das ist logisch‘ ist eines der geflügelten Worte von Johan Cruyff, Anm. d. Autors.) Später vielleicht, aber nicht in dem Moment, wo es passiert. Er ist ein Genie.“

      Cruyff sei von Jugend an „unheimlich selbstbewusst“ gewesen. „Er ist stets entschlossen seinen Weg gegangen und hat sich auch nicht vom konservativen Provinzialismus und Amateurismus fesseln lassen. Er hat in dieser Frage nicht nur für seine eigenen Interessen gekämpft, sondern auch die seiner Kollegen bei Ajax und in der Nationalmannschaft.“

      Auch für Ruud Koolen ist der niederländische Fußball ohne Cruyff nicht denkbar.

      „Er war derjenige, der den niederländischen Fußball vom Boden aufgehoben hat. Er verkörperte den Unterschied zwischen gut und exzellent. Er war eine Klasse für sich, er war immer viel weiter als die anderen. Eigentlich war er ein Fußballprophet. Es gibt viele gute Spieler, aber nur einen Johan Cruyff. Cruyff betrachtet den Fußball so, als sei es sein Spiel.“

      *****

      Jochen Hieber und der „Rolling Stone des Fußballs“

      Jochen Hiebers erste Begegnung mit Johan Cruyff war, wie er selbst sagt, „leidvoll“, aber das sollte sich bald ändern. Hieber (Jahrgang 1951) ist seit 1983 Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Als Kulturbeauftragter für die WM in Deutschland ging er vor 2006 drei Jahre lang mit André Hellers Fußballglobus auf Tour. Die 15 Meter hohe, nachts blau leuchtende Weltkugel war das Herzstück des Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung zur WM 2006. Der „Stern“ schrieb: „Das Duo Heller und Hieber verbindet Kreativität mit Nachdenklichkeit.“

      „1968 bis 1974 sind die Jahre, in denen ich mich mit Cruyff besonders viel beschäftigt habe“, erzählt Hieber. Das hing damit zusammen, dass er in jungen Jahren mit dem 1. FC Nürnberg fieberte, der 1968 unter dem Trainer Max Merkel überraschend Deutscher Meister geworden war. In der Saison 1968/69 trafen der „Club“ und Cruyffs Ajax im Europapokal der Landesmeister aufeinander. In Nürnberg trennte man sich unentschieden, in Amsterdam behielt Ajax klar mit 4:0 die Oberhand. Hieber: „Da kam jemand von außen, da kam dieser schmächtige Mensch mit Namen Cruyff und zerlegte meine Mannschaft. Das war demütigend, nötigte mir aber auch Hochachtung ab.“

      Das Ganze wiederholte sich einige Jahre später. „Im März 1973 wurde der FC Bayern im Europapokal von Ajax mit dem gleichen Ergebnis überfahren. Aber da war ich schon längst auf der Seite der Holländer. Es war ein Sieg, den ich als persönlichen Triumph erlebte.“ Diese Identifikation verband sich vor allem mit Cruyff, dessen Spielweise Hieber so beschreibt: „Wie Libuda spielte er die Gegner schwindlig, er konnte so unbeschreibliche und unmögliche Tore machen wie Gerd Müller – und wie Netzer gebot er über die Tiefe des Raums. Es war die Synthese aus Schönheit, Übersicht und Effizienz. Was mich ungemein faszinierte, war die Leichtigkeit, mit der er über das Spielfeld marschierte. Cruyff war überall und agierte nach dem Motto: ,Der Platz gehört mir.’“

      Zwar wollte Hieber damals Cruyff ganz bewusst nicht idolisieren: „Diese Über-Identifizierung mit Stars machte man als Post-Achtundsechziger ja nicht mit.“ Aber seine Begeisterung galt auch keineswegs nur dem Fußballer: „In den Jahren 1968 bis 1974 sah ich mich mit Cruyff auf einer Wellenlänge. Cruyff war mit der Weltanschauung, die ich mir bildete, absolut kompatibel.“ Pelé sei dagegen eher „eine fiktive Figur aus exotischer Ferne, ein Märchenprinz aus dem Wunderland Brasilien“ gewesen. „Wir aber lebten rebellische und unpatriotische Jahre, in denen sich junge Leute zum Nachbarn Niederlande hingezogen fühlten, einem kleinen Land, das aus unserer Sicht besser war, freier, unspießiger. Cruyff und Co. waren der Inbegriff des Antiautoritären. Und Cruyff war der Oberindianer der Antiautoritären.“

      Damit fungierte der Niederländer als Gegenfigur zu Franz Beckenbauer, den Hieber erst sehr viel später, im Vorfeld der WM 2006, wirklich kennen und schätzen lernte. In den 1970er Jahren aber galt: „Franz Beckenbauer stand für etwas, gegen das wir ganz entschieden waren: das Establishment. So fiel die Sympathie-Wahl logischerweise auf Netzer und Cruyff. Netzer repräsentierte eher die weiche Variante der Unangepasstheit, er war ein Pop-Phänomen, ein ,Easy Rider’ auf dem Highway des Zeitgeistes. Johan Cruyff hingegen: Das war Rock ’n’ Roll auf dem Rasen.


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