Reds. Dietrich Schulze-Marmeling

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Reds - Dietrich Schulze-Marmeling


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und Glasgow exportiert.

      In Liverpool und Glasgow wurde der Katholizismus zu einem „irischen Phänomen“. Um 1890 war Liverpool die größte römisch-katholische Diözese in England, hier konzentrierte sich fast ein Fünftel der katholischen Bevölkerung des Landes.

      Katholiken und Protestanten wohnten und arbeiteten häufig getrennt. Irischstämmige katholische Arbeiter lebten in Liverpool vorwiegend südlich der Scotland Road, die Viertel der protestantischen Arbeiter lagen im Norden und Nordosten der Stadt, u. a. in der Gegend um die beiden Stadien, die nur wenige Hundert Meter Luft-linie trennen. Die katholischen Iren arbeiteten in den Süd-Docks, die protestantischen Engländer und Nordiren in den Nord-Docks.

      Auch in Liverpool tobten im 19. Jahrhundert gewalttätige Ausschreitungen zwischen Katholiken und Protestanten, sogar früher und schwerer als in Glasgow. Die Stadt firmierte als „Englands Belfast“ – was auch daran lag, dass die Zahl der irisch-katholischen wie der irisch-protestantischen Einwanderer in Liverpool noch größer und ihre Anwesenheit damit noch spürbarer war als in Glasgow. Außerdem befand sich die schottische Industrie zum Zeitpunkt der Einwanderungswellen auf dem Höhepunkt ihrer Expansion und war deshalb besser als Liverpool in der Lage, billige und ungelernte Arbeitskräfte zu integrieren. Liverpools letzte schwere sektiererische Unruhen datieren aus dem Jahr 1909. Schauplatz der Kämpfe war die Gegend um die Netherfields Road, wo katholische und protestantische Gebiete aneinandergrenzten. Der Fußball spielte bei diesen keine Rolle.

      Die „konfessionelle“ Spaltung manifestierte sich auch im Wahlverhalten. Anders als Manchester war Liverpool lange Zeit eine Tory-Stadt, dank der Unterstützung, die die Konservativen durch große Teile der protestantischen Arbeiterschaft erfuhren. Bis in die 1950er Jahre hinein wählten solide protestantische Arbeiterbezirke wie St Domingo, Kirkdale, Netherfield oder Breckfield konservative Kandidaten. Katholische Arbeiter wählten später die Labour Party, die in Liverpool bis in die 1950er hinein eine konfessionelle Partei war. Ein Problem Labours war das Fehlen eines Fabrikproletariats, das in anderen Städten und Regionen den Kern der Labour-Wählerschaft stellte. Erst 1955 konnte Labour in der Arbeiterstadt Liverpool die konservative Mehrheit brechen. Aber der Stimmenanteil der Tories betrug da immerhin noch 49,1 Prozent. In den 1950ern und 1960ern führten die Sanierung der Slums und der Bau neuer Wohnviertel am Rande der Stadt zur Auflösung des konfessionell getrennten Lebens.

      Anders als in Glasgow entstand in Liverpool kein mit Celtic vergleichbarer „irisch-katholischer“ Fußballklub. In den 1890ern existierten zwar mindestens neun irische Fußballklubs in der Stadt, die Celtic, Celtic Rovers, Liverpool Celtic, Liverpool Hibernian oder 5th Irish Club hießen. Aber Ende desselben Jahrzehnts gab es davon schon keinen mehr. Liverpools katholische Hierarchie begrüßte die Neubürger als Katholiken, aber nicht als Iren. Um im anglikanischen England als Katholik respektiert zu werden, versuchte man, den Neubürgern ihre irische Identität auszutreiben und sie zu loyalen britischen Bürgern zu erziehen. In Liverpool war die „Denationalisierung“ der irisch-katholischen Einwanderer erfolgreicher als in Glasgow. Dazu trug auch bei, dass nur 90 von 391 katholischen Priestern aus Irland kamen. Obwohl in Liverpool die demografischen Voraussetzungen für einen mächtigen „irisch-katholischen“ Klub à la Celtic sogar besser waren als in der schottischen Industriemetropole, kam es hier zu keiner vergleichbaren Initiative. Liverpools irisch-nationalistische Politiker zeigten wenig Interesse an einer „irisch-katholischen Alternative“ zum FC Liverpool und FC Everton. Stattdessen förderte man die Gaelic Games. Aber die überwiegende Mehrheit der Einwanderer zog den Fußball vor.

      So blieb Liverpool ein „Fußball-Krieg“ wie in Glasgow erspart. In der Stadt am Mersey war Fußball immer schon wichtiger als Religion und Politik. Anders als in Glasgow wurde der Sport hier nicht zur Bühne einer religiösen und ethnisch-kulturellen Rivalität, im Gegenteil: Der Fußball trug zu ihrem Abbau bei. In Glasgow wird man kaum Familien finden, in denen es sowohl Celtic- wie Rangers-Fans gibt. Katholiken, die für die Rangers sind, existieren so gut wie gar nicht. Protestanten, die es mit Celtic halten, schon eher, aber auch ihre Zahl ist sehr klein. In der Regel handelt es sich dabei um liberale oder politisch linksorientierte Protestanten. In Liverpool ist das anders. Michael Owen, der beim FC Liverpool groß wurde und für diesen von 1991 bis 2004 spielte, war als Kind ein Fan des FC Everton. Sein Vater war ein- oder zweimal für Everton aufgelaufen. Dem Magazin 11 Freunde erzählte Owen: „Als ich klein war, musste ich mir einen Klub aussuchen. Meine beiden älteren Brüder hielten zu Everton, weil es der größte Verein war, für den unser Vater gespielt hatte. Also wurde ich auch Everton-Fan.“ Der Vater sei allerdings als Kind ein Fan der „Reds“ gewesen. Und Michael Owen ist mit dieser Einstellung kein Einzelfall. Auch andere LFC-Stars waren zunächst Evertonians – so u. a. Ian Rush, Robbie Fowler, Steve McManaman oder Jamie Carragher. Owen: „Die Spieler, die zu meiner Zeit aus der Jugend kamen, waren fast ausschließlich Evertonians. Eigentlich war nur Steven Gerrard echter Liverpool-Fan.“

      Der FC Liverpool wurde zunächst von konservativen Protestanten und Freimaurern dominiert, deren Konstitution 1723 der presbyterianische Geistliche James Anderson geschrieben hatte. Die katholische Hierarchie bezichtigte die Freimaurer der Häresie und ächtete sie als „kirchenfeindliche“ Gruppierung, Geheimgesellschaft und „Sekte“. Von den 46 Gründern des FC Liverpool waren 17 Freimaurer, von den ersten sechs Direktoren vier. Zwischen 1892 und 1914 waren 15 der 23 Liverpool-Direktoren Freimaurer. In Nordirland, Schottland und England war die Freimaurerei militant antikatholisch. Auch viele Tory-Politiker waren Freimaurer. Katholiken, Liberale und Anhänger der Abstinenzbewegung waren in den ersten Vorständen des FC Liverpool komplett abwesend. Hinzu kam noch die Connection zum nordirischen Protestantismus. John Houlding, der Vater des FC Liverpool, gehörte dem sektiererischen Oranier-Orden an, der protestantische Vorherrschaftbeanspruchte und dessen Hochburgen in Nordirland waren. Ebenso John McKenna, der erste Manager des Klubs, ein Presbyterianer aus der irischen Grafschaft Monaghan, die zur historischen Provinz Ulster gehört. Bei Nordirlands Protestanten ist der FC Liverpool auch heute noch der nach den Rangers aus Glasgow beliebteste Klub. Nordirlands Katholiken präferieren hingegen Celtic und Manchester United. Allerdings gibt es auch in katholischen Gebieten Supporter-Klubs der „Reds“. In der „katholischen“ Republik Irland sind es sogar 33 und damit deutlich mehr, als Manchester United hier unterhält. Das protestantische Image des LFC wurde anfänglich auch durch die große Zahl schottischer Spieler geprägt, die in der Regel Protestanten waren.

      Der FC Everton, ebenfalls eine protestantische Gründung, erwarb mit der Zeit das Image einer katholikenfreundlichen Adresse. Ein Grund war die liberale Ausrichtung des Klubs. Die protestantische Arbeiterschaft wählte die Tories, die katholische eher die Liberalen und später Labour. Ein weiterer Grund war die Person James Clement Baxter (1857–1928). Der Arzt war ein tiefgläubiger Katholik und von 1906 bis 1920 Abgeordneter der Liberal Party für den Wahlbezirk St Anne. Baxter widmete sich den irischen Immigranten und Waisenkindern und unterstützte finanziell den Bau von Goodison Park. Da der FC Liverpool von einem Oranier, Protestanten und Tory geführt wurde, bot Everton mit dem liberalen Katholiken Baxton gewissermaßen eine Alternative für Liverpools Katholiken. Aber anders als im Falle von Celtic und Rangers in Glasgow war in Liverpool keiner der Klubs eindeutig einer bestimmten religiösen oder kulturellen Identität zuzuordnen.

      Bis in die 1950er hinein rekrutierten der FC Liverpool und der FC Everton ihre Spieler aus Jugendteams, die entweder „protestantisch“ oder „katholisch“ waren. Was aber weniger religiöse denn ganz pragmatische Gründe hatte: Auf diese Weise vermied man eine unnötige Konkurrenz um lokale Talente.

      Religion und „ethnische Herkunft“ spielten also auch im Liverpooler Fußball eine Zeit lang eine gewisse Rolle, aber nur unterschwellig. Als Tommy Smith sich 1962 dem FC Liverpool anschloss, bekam er vom Leiter seiner katholischen Schule zu hören, dass dies der „falsche Klub“ sei. Als 1980 Evertons Fußballlegende Dixie Dean starb, erklärte Bill Shankly: „Heute gibt es kein Rot und Blau, kein Schwarz und kein Weiß, keine Protestanten und Katholiken – wir trauern allein um einen großen Fußballer.“ Dass Shankly es für nötig hielt, die Rivalität der beiden Konfessionen zu erwähnen, kann man als Hinweis darauf verstehen, dass diese im Liverpooler Fußball durchaus ein Thema war. Noch Ende der 1980er waren antikatholische oder antiirische Graffiti an den Mauern des Stadions an der Anfield Road nicht außergewöhnlich. Aber mit der Situation in Glasgow war


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