Kritik der reinen Vernunft. Immanuel Kant

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Kritik der reinen Vernunft - Immanuel Kant


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dabei zunichte gehen. In dieser Beschäftigung habe ich Ausführlichkeit mein großes Augenmerk sein lassen, und ich erkühne mich zu sagen, dass nicht eine einzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüssel dargereicht worden. In der Tat ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Einheit: dass, wenn das Prinzip derselben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, unzureichend wäre, man dieses immerhin nur wegwerfen könnte, weil es alsdann auch keiner der übrigen mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen sein würde.

      Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Gesichte des Lesers einen mit Verachtung vermischten Unwillen über, dem Anscheine nach, so ruhmredige und unbescheidene Ansprüche wahrzunehmen, und gleichwohl sind sie ohne Vergleichung gemäßigter als die eines jeden Verfassers des gemeinsten Programms, der darin etwa die einfache Natur derS e e l e,oder die Notwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu beweisen vorgibt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkenntnis über alle Grenzen möglicher Erfahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demütig gestehe: dass dieses mein Vermögen gänzlich übersteige, an dessen statt ich es lediglich mit der Vernunft selbst und ihrem reinen Denken zu tun habe, nach deren ausführlicher Kenntnis ich nicht weit um mich suchen darf, weil ich sie in mir selbst antreffe und wovon mir auch schon die gemeine Logik ein Beispiel gibt, dass sich alle ihre einfachen Handlungen völlig und systematisch aufzählen lassen; nur dass hier die Frage aufgeworfen wird, wie viel ich mit derselben, wenn mir aller Stoff und Beistand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen dürfe.

      So viel von derV o l l s t ä n d i g k e i tin Erreichung einesj e d e n,und derA u s f ü h r l i c h k e i tin Erreichung allerZ w e c k ezusammen, die nicht ein beliebiger Vorsatz, sondern die Natur der Erkenntnis selbst uns aufgibt, als der Materie unserer kritischen Untersuchung.

      Noch sindG e w i s s h e i tundD e u t l i c h k e i tzwei Stücke, die die Form derselben betroffen, als wesentliche Forderungen anzusehen, die man an den Verfasser, der sich an eine so schlüpfrige Unternehmung wagt, mit Recht tun kann.

      Was nun dieG e w i s s h e i tbetrifft, so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen: dass es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei, zu meinen und dass alles, was darin einer Hypothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht für den geringsten Preis feil stehen darf, sondern sobald sie entdeckt wird, beschlagen werden muss. Denn das kündigt eine jede Erkenntnis, die a priori feststehen soll, selbst an: dass sie für schlechthin notwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch viel mehr, die das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewissheit sein soll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheischig mache, in diesem Stücke geleistet habe, das bleibt gänzlich dem Urteile des Lesers anheim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemt, Gründe vorzulegen, nicht aber über die Wirkung derselben bei seinen Richtern zu urteilen. Damit aber nicht etwas unschuldigerweise an der Schwächung derselben Ursache sei, so mag es ihm wohl erlaubt sein, diejenigen Stellen, die zu einigem Misstrauen Anlass geben könnten, ob sie gleich nur den Nebenzweck angehen, selbst anzumerken, um den Einfluss, den auch nur die mindeste Bedenklichkeit des Lesers in diesem Punkte auf sein Urteil, in Ansehung des Hauptzwecks, haben möchte, bei Zeiten abzuhalten.

      Ich kenne keine Untersuchungen, die zur Ergründung des Vermögens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung der Regeln und Grenzen seines Gebrauchs, wichtiger wären als die, welche ich in dem zweiten Hauptstücke der transzendentalen Analytik, unter dem Titel derD e d u k t i o nd e rr e i n e nV e r s t a n d e s b e g r i f f e,angestellt habe; auch haben sie mich die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Mühe gekostet. Diese Betrachtung, die etwas tief angelegt ist, hat aber zwei Seiten. Die eine bezieht sich auf die Gegenstände des reinen Verstandes und soll die objektive Gültigkeit seiner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch wesentlich zu meinen Zwecken gehörig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht, mithin ihn in subjektiver Beziehung zu betrachten und, obgleich diese Erörterung in Ansehung meines Hauptzwecks von großer Wichtigkeit ist, so gehört sie doch nicht wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermögen zu denken selbst möglich? Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu einer gegebenen Wirkung ist, und insofern etwas einer Hypothese Ähnliches an sich hat (ob es gleich, wie ich bei anderer Gelegenheit zeigen werde, sich in der Tat nicht so verhält), so scheint es, als sei hier der Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zum e i n e n,und dem Leser also auch freistehen müsse, anders zum e i n e n.In Betracht dessen muss ich dem Leser mit der Erinnerung zuvorkommen: dass, im Fall meine subjektive Deduktion nicht die ganze Überzeugung, die ich erwarte, bei ihm gewirkt hätte, doch die objektive, um die es mir hier vornehmlich zu tun ist, ihre ganze Stärke bekomme, wozu allenfalls dasjenige, was Seite 78 bis 79 gesagt wird, allein hinreichend sein kann.

      Was endlich dieD e u t l i c h k e i tbetrifft, so hat der Leser ein Recht, zuerst died i s k u r s i v e(logische)D e u t l i c h k e i t,durch Begriffe, dann aber auch einei n t u i t i v e(ästhetische)D e u t l i c h k e i t,durch Anschauungen, d. i. Beispiele oder andere Erläuterungen in concreto zu fordern. Für die erste habe ich hinreichend gesorgt. Das betraf das Wesen meines Vorhabens, war aber auch die zufällige Ursache, dass ich der zweiten, obzwar nicht so strengen, aber doch billigen Forderung nicht habe Genüge leisten können. Ich bin fast beständig im Fortgange meiner Arbeit unschlüssig gewesen, wie ich es hiermit halten sollte. Beispiele und Erläuterungen schienen mir immer nötig und flossen daher auch wirklich im ersten Entwurfe an ihren Stellen gehörig ein. Ich sah aber die Größe meiner Aufgabe und die Menge der Gegenstände, womit ich es zu tun haben würde, gar bald ein und da ich gewahr ward, dass diese ganz allein, im trockenen, bloßs c h o l a s t i s c h e nVortrage das Werk schon genug ausdehnen würden, so fand ich es unratsam, es durch Beispiele und Erläuterungen, die nur inp o p u l ä r e rAbsicht notwendig sind, noch mehr anzuschwellen, zumal diese Arbeit keineswegs dem populären Gebrauche angemessen werden könnte und die eigentlichen Kenner der Wissenschaft diese Erleichterung nicht so nötig haben, ob sie zwar jederzeit angenehm ist, hier aber sogar etwas Zweckwidriges nach sich ziehen konnte. AbtT e r r a s s o nsagt zwar: Wenn man die Größe eines Buchs nicht nach der Zahl der Blätter, sondern nach der Zeit misst, die man nötig hat, es zu verstehen, so könne man von manchem Buche sagen:d a s se sv i e lk ü r z e rs e i nw ü r d e,w e n ne sn i c h ts ok u r zw ä r e.Andererseits aber, wenn man auf die Fasslichkeit eines weitläufigen, dennoch aber in einem Prinzip zusammenhängenden Ganzen spekulativer Erkenntnis seine Absicht richtet, könnte man mit eben so gutem Rechte sagen:m a n c h e sB u c hw ä r ev i e ld e u t l i c h e rg e w o r d e n,w e n ne sn i c h ts og a rd e u t l i c hh ä t t ew e r d e ns o l l e n.Denn die Hilfsmittel der Deutlichkeit helfen zwar inT e i l e n,zerstreuen aber öfters im Ganzen, indem sie den Leser nicht schnell genug zur Überschauung des Ganzen gelangen lassen und durch alle ihre hellen Farben gleichwohl die Artikulation oder den Gliederbau des Systems verkleben und unkenntlich machen, auf den es doch um über die Einheit und Tüchtigkeit desselben urteilen zu können, am meisten ankommt.

      Es kann, wie mich dünkt, dem Leser zu nicht geringer Anlockung dienen, seine Bemühung mit der des Verfassers zu vereinigen, wenn er die Aussicht hat, ein großes und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollführen. Nun ist Metaphysik, nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wissenschaften, die sich eine solche Vollendung, und zwar in kurzer Zeit und mit nur weniger, aber vereinigter Bemühung, versprechen darf, so dass nichts für die Nachkommenschaft übrig bleibt, als in derd i d a k t i s c h e nManier alles nach ihren Absichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im Mindesten vermehren zu können. Denn es ist nichts als dasI n v e n t a r i u maller unserer Besitze durch reine Vernunft, systematisch geordnet. Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gänzlich aus sich selbst hervorbringt, sich nicht verstecken kann, sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald man nur das gemeinschaftliche Prinzip desselben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit dieser Art Erkenntnisse, und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne dass irgendetwas von Erfahrung, oder auch nur besondere Anschauung, die zur bestimmten Erfahrung leiten sollte, auf sie einigen Einfluss haben kann, sie zu erweitern und zu vermehren, macht


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