Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter

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Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman - Tessa Hofreiter


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knallgelben Hemd, in dem er aussah wie ein fetter Kanarienvogel. Konnte froh sein, dass er bei den Holzers in der alten Arbeiterhütte unterschlüpfen durfte, sonst wäre er auf der Straße gelandet, der feine Herr.«

      »Jetzt hörst du aber auf, so gehässig über den Wendelin zu reden!«, befahl Kathi streng. »Ja, er ist früher ein unangenehmer Typ gewesen und, ja, weder sein Auftreten noch sein Aussehen waren besonders sympathisch. Aber er hat sich geändert und ist ein netter Kerl geworden. Ich will nichts Unfreundliches mehr über ihn hören.«

      »Ha!«, machte Burgl noch einmal und schaute die junge Frau aus schmalen Augen an. »Du legst dich ja mächtig ins Zeug für diesen Verlierer. Ist er etwa dein heimlicher Liebster?«

      »Nein, das ist er nicht, und er interessiert mich nicht als Mann«, erwiderte Kathi kühl. »Ich finde nur, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient und dass es falsch und ungerecht ist, wenn du so bösartig über Wendelin redest.«

      »Einmal Taugenichts, immer Taugenichts«, trumpfte Burgl auf und knallte eine gusseiserne Pfanne auf das Abtropfbrett.

      Wendelin hatte mehr als genug gehört. Lautlos stellte er das Geschirr ab und ging zu seinem Fahrrad hinüber. Streuner folgte ihm auf dem Fuß, und sein Blick klebte an Herrchens Gesicht. Er spürte genau, dass sein Mensch traurig war.

      »Komm, Streuner, fahren wir heim«, sagte Wendelin leise. Der treuherzige Blick des Tieres tat ihm gut, und dankbar kraulte er ihn hinter den seidigen Ohren. »Wenn es auch nur eine Hütte für Wanderarbeiter ist und auf dem Gelände des Sägewerks steht, ist es doch unser Zuhause, gell?«

      Streuner kuschelte sich unter Wendelins Hand und fiepte begeistert. Etwas getröstet stieg der Mann aufs Rad und bog in den abschüssigen Waldweg ein, der an der Försterei vorbei zum Dorf führte.

      Wendelin fuhr langsam, um keines der nachtaktiven Tiere zu gefährden, die ihm über den Weg laufen konnten. Sein Hund trabte zuverlässig neben ihm her. Der Mann konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken wieder zu dem Gespräch in der Spülküche zurückkehrten.

      Dass Burgl so gehässig über ihn gesprochen hatte, traf ihn nicht besonders. Er wusste, dass die alte Frau bei aller Boshaftigkeit nicht ganz Unrecht hatte: Er war ein unangenehmer Typ mit großspurigem Auftreten und ein totaler Versager gewesen, der es seinen Mitmenschen nicht leicht machte. Sein Leben war völlig den Bach hinunter gegangen, er lebte von der Hand in den Mund. Und an allem waren natürlich immer nur die anderen schuld, niemals er selbst. Sein Aussehen war genauso unmöglich wie sein Auftreten, und kaum jemand wollte etwas mit ihm zu tun haben.

      Dann spielte er seinem ehemaligen Schulkameraden Kaspar, der krank geworden war, übel mit, und diese Sache hätte böse enden können. Zum Glück ging alles gut aus, und Wendelin erlitt einen heilsamen Schock. Zum ersten Mal stellte er sich seiner Verantwortung und lernte, wie gut das tat. Er bekam kleine Jobs und gewann allmählich wieder festen Boden unter den Füßen.

      Später begegnete er dem getretenen, vernachlässigten, gequälten jungen Streuner, der ihn vom ersten Augenblick an liebte und ihm bedingungslos vertraute. Und er lernte die energische Tierärztin Rieke kennen, die ihm ohne Zögern die Verantwortung für den armen Hund übertrug und die niemals daran zweifelte, dass er es gut machen würde.

      Das war der Wendepunkt in Wendelins Leben. Er liebte Streuner ebenso innig wie der Hund ihn und er tat alles, damit es das Tierchen gut hatte. Wendelin wurde freundlich, fleißig und zuverlässig. Er bekam eine feste Anstellung beim Forstamt und lebte ein gesundes Leben an frischer Luft. Ebenso wie er sein großspuriges Auftreten verlor, verlor er auch sein schwammiges Äußeres. Er sah jetzt sauber und kräftig aus, trug einen modischen Haarschnitt und kleidete sich unauffällig.

      Das war alles gut und schön, und es brachte ihm neue, echte Freunde ein, aber was hatte seine heimliche Liebe vorhin über ihn gesagt? Er sei völlig durchschnittlich, nichts falle an ihm besonders auf, und sie sei an ihm als Mann überhaupt nicht interessiert.

      Das klang nun leider ganz und gar nicht nach Märchenprinz, und wider alle Vernunft hoffte ein Zipfel seines Herzens ja doch, dass Kathi eines Tages in ihm ihren Liebsten erkennen würde und …

      Ein lautes Krachen und Knacken links neben ihm im Gebüsch ließ Wendelin aus seinen einsamen Gedanken auffahren. War ein größeres Tier im Anmarsch, vielleicht ein Reh oder gar ein Wildschwein? Auch Streuner war abrupt stehen geblieben und witterte angespannt in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Er stieß ein warnendes Knurren aus.

      »Moment, nur keine Panik. Hier ist keine Gefahr im Anzug, nur ein verirrter Wanderer!«, rief eine männliche Stimme, und der Lichtkegel einer Taschenlampe flammte auf. Es raschelte gewaltig in der dichten Böschung seitlich des Weges, dann teilte sich das Laub, und ein Mann drängte sich zwischen den Zweigen und Brombeerranken hindurch. »Guten Abend!«, grüßte er forsch.

      Der Unbekannte mochte in Wendelins Alter sein, ungefähr Anfang Vierzig. Er war mittelgroß, schlank und trug modische, sehr teure Outdoor-Bekleidung. Sein Haar, das unter dem edel zerknitterten Schlapphut herausschaute, war blond, und er hatte braune Augen, die Wendelin fast ein wenig herausfordernd musterten. Auf dem Rücken trug er einen großen Rucksack.

      »Sie sind vom Weg abgekommen? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Wendelin.

      »Vielleicht. Ich, ich suche diesen Weg, der in südliche Richtung nach Bergmoosbach führt und in nördliche zu diesem Hof ›Zum Gamsbart‹, antwortete der Mann. Er redete wieder sehr forsch, wirkte aber gleichzeitig seltsam abgelenkt.

      »Den haben Sie gefunden. Es ist genau der Weg, auf dem wir stehen«, antwortete Wendelin.

      »Na, fantastisch«, antwortete der Mann. »Und in welcher Richtung liegt das Dorf?«

      »Hier entlang«, erwiderte Wendelin und wies nach links. »Sie haben noch ein ganzes Stück zu gehen und müssen einige Mal abbiegen. Werden Sie sich zurechtfinden oder wollen wir zusammen gehen? Ich will auch nach Bergmoosbach.«

      »Nein, vielen Dank, es passt schon«, antwortete der Wanderer hastig. »Ich habe ja die Navigation durch mein Handy, nur war das nutzlos, als ich mich im Unterholz verfranst hatte.«

      »Was haben Sie denn so weit abseits gemacht? Sie wissen schon, dass Sie sich besonders während dieser Hitzeperiode und der erhöhten Waldbrandgefahr nur auf den Wanderwegen aufhalten sollten?«, erinnerte Wendelin ihn.

      »Sind Sie hier der Förster?«, fragte der Mann zurück. Es klang lauernd.

      »Nein, aber ich arbeite für das Forstamt«, erwiderte Wendelin ruhig. »Und ich muss Sie nicht extra darauf aufmerksam machen, dass Sie bei Ihrer Nachtwanderung unter gar keinen Umständen irgendwo ein Lagerfeuer entzünden dürfen?«

      »Natürlich nicht! Auf die Idee würde ich niemals kommen«, lautete die empörte Antwort.

      Wendelin nickte bedächtig, ohne den Fremden aus den Augen zu lassen. »Dann ist es ja gut«, antwortete er. »Ich wünsche Ihnen einen sicheren Heimweg. Servus.«

      »Ich Ihnen auch, und danke, dass Sie mir den Weg gewiesen haben.« Der Mann setzte sich mit energischen Schritte Richtung Bergmoosbach in Bewegung.

      Wendelin überholte den Mann nach wenigen Metern, nickte ihm zu und fuhr weiter. Als er sich wenig später noch einmal umdrehte und zurückblickte, war der Weg hinter ihm leer. Der Mann war ebenso plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war.

      »Seltsamer Vogel«, sagte Wendelin zu Streuner, »was der wohl im Wald zu suchen hat?«

      Streuners gebellte Antwort hörte sich ebenso skeptisch an, wie die Stimme seines Herrchens geklungen hatte.

      Ohne weitere Begegnungen erreichte Wendelin sein Zuhause, eine schlichte Hütte auf dem Hofplatz des Sägereibesitzers Holzer. Es war eine sehr einfache Unterkunft, aber auch die hatte seit Streuners Einzug eine bemerkenswerte Veränderung erfahren. Sie war sauber und aufgeräumt, anstelle der alten Pritsche stand dort jetzt ein hübsches Bettsofa, es gab farbige Kissen, eine Lampe, die heimeliges Licht verbreitete, und sogar mehrere Tontöpfe mit duftenden Kräutern und Lavendel.

      Wendelin ließ sich auf das Sofa


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