Die Augen des Professors. Группа авторов
Читать онлайн книгу.der Gesellschaft. Schließlich traten die Preisträger ein. Allen voran ging Röntgen. Danach begann das Orchester mit einer pompösen Festival-Ouvertüre. Es folgten Reden und Rezitationen von Gedichten, bevor die Preisverleihung aus der Hand von Kronprinz Gustav begann. Den Abschluss der Zeremonie bildete ein Marsch des Komponisten Johann August Södermann. Im nahe gelegenen Grand Hotel gingen die Feierlichkeiten weiter.
Entgegen seiner Gewohnheit ergriff Röntgen beim Bankett vor den Gästen das Wort. Das war eine Seltenheit. Es gibt nur wenige Nachweise darüber, dass Röntgen außerhalb seiner eigenen Lehrveranstaltungen an der Universität öffentlich sprach. Es folgte eine brillante Ansprache. Darin beschrieb er die Preisverleihung als ein »skandinavisches Abenteuer«, das für ihn wie ein Traum sei. Das Publikum dankte mit anhaltendem Applaus. Dennoch, im Mittelpunkt der großen Aufmerksamkeit zu stehen, hatte ihm nicht gefallen: »Da die Feier sich auf drei oder eigentlich vier Leute verteilte und ich nur 1 ½ Tage mitmachte, ließ sich das Gefeiert werden noch aushalten«, schrieb Röntgen an seine Frau Bertha. Am nächsten Tag reiste Röntgen wieder ab. Allerdings blieb er zeit seines Lebens der Nobelstiftung etwas schuldig: Den nach den Statuten geforderten Vortrag hat er nie gehalten und fand immer wieder neue Ausreden. Er hatte »Lampenfieber«, wie er in einem Brief zugab. Ihm muss aber spätestens zu diesem Zeitpunkt klar geworden sein, dass gerade durch ihn Wissenschaft und Öffentlichkeit zu einem neuen Verhältnis gefunden hatten. Röntgen hatte Lampenfieber – dieses Eingeständnis unterstrich nur ein weiteres Mal, wie sehr der Naturwissenschaftler auf einer Bühne stand, auf die das Publikum erwartungsvoll blickte und huldvoll applaudierte. Röntgen machte das Schauspiel um seine Person allerdings nur wider Willen mit.
Die Nobelpreisurkunde von Wilhelm Conrad Röntgen, 1901
Vor der Show
Röntgens Entdeckung und Berthas Hand
Im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu stehen, ist nie das Ziel des Würzburger Professors gewesen. Die öffentlichen Huldigungen standen im krassen Gegensatz zu seinem Lebensstil. Nicht der eigene Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit zählte für ihn, sondern die fachliche Reputation und wissenschaftlicher Fortschritt an sich. Die kommerzielle Verwertung eigener Forschungsergebnisse stand weit im Hintergrund. Öffentlichkeit bedeutete für Röntgen wie für den deutschen Durchschnittsprofessor der damaligen Zeit: die Studentenschaft in den Vorlesungen, die Leser der einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften und Besucher akademischer Konferenzen, auf denen man seinesgleichen regelmäßig zum Wissensaustausch traf. Innerhalb dieser akademischen Öffentlichkeit spielte sich Forschung und Lehre ab. Röntgens Weg zum Medienstar hatte jedoch eine eigene Geschichte, bei der nach damaligen Maßstäben die Normalität des akademischen Getriebes mächtig durcheinandergebracht wurde. Folgen wir den Spuren, die uns nach Würzburg in den 1890er Jahren führen, zum Arbeitsplatz von Röntgen. An der Würzburger Universität hatte Röntgen nach Stationen in Hohenheim, Straßburg und Gießen endlich eine seinen Vorstellungen entsprechende Arbeitsstätte gefunden. Er befasste sich intensiv mit Fragen, die auch viele andere Physiker beschäftigten.
Entdeckung hinter verschlossener Tür: Die Labortür des Würzburger Instituts, Aufnahme von Röntgen …
… und die geröntgte Labortür mit Bleifällungen
Mit diesem Versuchsaufbau entdeckte Röntgen 1895 die Strahlen: Funkeninduktor, Deprez-Unterbrecher mit Röhre und Vakuumpumpe, 1896
Ende des 19. Jahrhunderts fragten sie sich, inwieweit Gase elektrischen Strom leiten könnten. Eine Frage, die es experimentell zu untersuchen galt. Unterschiedliche Versuchsaufbauten kamen zur Anwendung. Viele – wie auch Röntgen – verwendeten einen Glaskolben, in den zwei Elektroden eingeschmolzen waren. Man füllte den Glaskolben mit einem Gas und legte an die beiden dort eingeschmolzenen Elektroden eine Spannung an. Oberhalb einer gewissen Spannung entlud sich ein Strom über die Elektroden durch das Gas. Mit dieser Versuchsanordnung konnte die Leitfähigkeit von verschiedenen Gasen bewiesen werden. Man nannte die verwendeten Glaskolben daher auch Gasentladungsröhren. Die Entladung erfolgte über einen Strahl aus Elektronen, der als Kathodenstrahl bezeichnet wurde. Gasentladungen sind meist mit faszinierenden Leuchterscheinungen verbunden. Heute finden sie u.a. Anwendung in Leuchtstoffröhren, Glimmlampen und Hochdrucklampen.
Auch Röntgen experimentierte mit Gasentladungsröhren. Seinem Freund und Kollegen Ludwig Zehnder teilte er 1894 mit, »dass ich die Kathodenstrahlen in Luft und in Wasserstoff […] gesehen habe, und von dem schönen Versuch ganz begeistert bin.« Röntgen experimentierte weiter. So auch im Herbst 1895, dem Jahr, das ihm den späteren Weltruhm einbrachte. Über die genauen Umstände in der Entdeckungsnacht vom 8. November 1895 herrscht bis heute Unklarheit. Fest steht: Röntgens Entdeckung war nicht das Ergebnis zielstrebiger Untersuchungen. »Ich dachte nicht, ich untersuchte« – nichts ist bezeichnender als dieser von Röntgen geäußerte Kommentar.
Aber was passierte in der Nacht der Entdeckung? Zur Rekonstruktion der Ereignisse ist detektivische Kleinarbeit notwendig. Wahrscheinlich ist, dass Röntgen beim Experimentieren mit Kathodenstrahlen zufällig das rätselhafte Leuchten eines mit einem lichtempfindlichen, fluoreszierenden Stoff (Bariumplatinzyanür) beschichteten Papiers sah. Es befand sich in einiger Entfernung von einer Gasentladungsröhre, mit der er gerade arbeitete. Selbst nachdem Röntgen die Röhre mit Karton abgeschirmt hatte, endete das fluoreszierende Leuchten nicht. Der Forscher erkannte, dass er hier auf etwas völlig Neues gestoßen war. Zunächst registrierte er die bloßen Phänomene: Anders als Lichtstrahlen durchdrangen die neuen Strahlen andere Körper und wurden nicht komplett absorbiert. Das lichtempfindliche Papier reagierte auf die Strahlen und war der Beweis für das Durchdringungsvermögens der Strahlen.
In den Tagen und Nächten nach seiner Entdeckung erforschte Röntgen penibel die Eigenschaften dieser Strahlen. Röntgen untersuchte sie sieben Wochen lang, Tag und Nacht. Er hinterfragte und prüfte seine Versuchsergebnisse so genau, wie es die damaligen Standards zuließen. Um sich ganz dieser Arbeit widmen zu können, ließ er sich Bett und Essen ins Labor bringen.
Er untersuchte sie so genau, dass seine Ergebnisse erst 17 Jahre später um weitere wesentliche Erkenntnisse ergänzt wurden. Zu den grundsätzlichen Feststellungen gehörte, dass die Strahlen nahezu alles durchdringen können – auch die Hand seiner Frau Bertha, nicht aber deren Knochen. Sie hinterließen auf einer fotoempfindlichen Platte einen Schatten. Bertha war die erste Versuchsperson ihres Mannes.
Berthas Hand: Aufnahme Röntgens von der Hand seiner Frau, angefertigt am 22. Dezember 1895. Berthas Hand ist eine der ersten Röntgenaufnahmen überhaupt
Röntgen beschrieb seine Forschungsergebnisse in der elfseitigen Veröffentlichung »Über eine neue Art von Strahlen. Vorläufige Mitteilung« vom 28. Dezember 1895. Darin notierte Röntgen bereits die wesentlichen Eigenschaften der neuen Strahlen. Dass sie den Eintritt in eine neue Zeit und Weltsicht sowie einen ersten Schritt zur Atomphysik signalisierten, war ihm jedoch selbst nicht klar.
Der Fall X – Entstehung der Röntgenstrahlung
Die neue Art von Strahlen entstand, wie Röntgen präzise beschrieb, als Nebenprodukt in Gasentladungsröhren bei sehr hohen Spannungen. In Gasentladungsröhren werden Elektronen von der Kathode zur Anode hin beschleunigt. Treffen die Elektronen auf die Anode, werden sie abgebremst und geben ihre Bewegungsenergie ab – ähnlich