Bei abnehmendem Mond. Jörg M. Pönnighaus

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Bei abnehmendem Mond - Jörg M. Pönnighaus


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zu dem Mädchen.

      Es lag inzwischen auf der Liege neben dem Ultraschallgerät, war aber noch nicht ausgezogen.

      Es muss sich ausziehen, sagte ich zu den Klötzen.

      Sie erklärten es dem Mädchen in KiSukuma.

      Der Bauch von dem Mädchen war angeschwollen, die Ärmchen und die Beine waren ganz dünn.

      »Seit wann ist der Bauch so angeschwollen?«

      »Noch keinen Monat.«

      Ich tastete den Bauch ab. Es hatte einen harten Tumor im Bauch. Der zog sich quer durch den Bauch bis in den rechten Unterbauch. Ging er von der Milz aus? War es eine riesig vergrößerte Milz? Möglich, wir hatten in den letzten zwei oder drei Monaten schon zwei solche Kinder gehabt. Nein, der Tumor schien sich von der Milz abgrenzen zu lassen. Oder doch nicht? Ich nahm den Schallkopf vom Ultraschallgerät zur Hand. Da war die Milz und in der Milz war irgendwie ein großer Rundherd – ein Abszess? – und dann war da eben der Tumor, der sich quer durch den Bauch zog. Es sah so aus, als sei es eine vergrößerte Milz, eine riesig vergrößerte Milz.

      Ich bat Mwahija, mir eine Spritze zu geben. Ich wollte den Abszess (?) anpunktieren. Wenn es ein Abszess war, dann hatte ich ja immerhin so etwas wie eine Diagnose. Es konnte auch eine TB sein.

      Das Mädchen hielt still.

      Es hatte überhaupt noch kein einziges Wort gesagt, fiel mir auf.

      Es ließ sich nichts aspirieren, jedenfalls kein Eiter.

      Ich überlegte.

      Die beiden Klötze mit ihren schwarzen Umhängen sahen mich erwartungsvoll an.

      »Das Mädchen hat einen großen Tumor im Bauch«, sagte ich schließlich.

      »Einen großen Tumor?«

      »Ja, einen großen Tumor.«

      »Einen großen Tumor«, nickten die beiden.

      Ich sagte, dass das Mädchen wieder aufstehen und sich wieder anziehen könne.

      »Ich weiß nicht, ob ich helfen kann.«

      »Es hat einen großen Tumor im Bauch?«

      »Ja, ich kann versuchen es zu operieren, aber ich kann nicht versprechen, dass ich ihm damit helfen kann.«

      »Den Tumor operieren?«

      »Ja, aber ich kann nicht versprechen, dass ich ihm helfen kann.«

      Die beiden Klötze dachten nach.

      »Einen großen Tumor im Bauch?«

      Mwahija sah zart und zerbrechlich aus neben den beiden.

      Vielleicht dachten die beiden an die Kühe, an den Brautpreis, die der Familie entgehen würden, wenn das Mädchen starb.

      »Und Sie können es operieren?«

      »Ja, aber ich kann nicht versprechen, dass ich dem Mädchen mit einer Operation helfen kann.«

      »Es hat einen großen Tumor im Bauch«, nickten die beiden.

      »Ja.«

      Die beiden schwiegen eine Weile. Mwahija wiederholte, dass ich versuchen wolle, dem Mädchen zu helfen, aber dass ich nichts versprechen könne.

      »Einen großen Tumor im Bauch? Nein, das können wir nicht entscheiden. Das muss die Familie entscheiden. Da müssen wir erst wieder nach Hause gehen mit dem Mädchen.«

      »Kommen Sie zurück, wenn Sie sich für eine Operation entschieden haben. Die Operation kostet zwanzigtausend TSH.«

      Die beiden Sukuma wandten sich zum Gehen. Das Mädchen hatte immer noch kein Wort gesagt. Vielleicht gehörte sich das nicht, dass sie etwas sagte, während ihre Brüder dabei waren.

      Aber wahrscheinlich sprach sie einfach kein Wort Kiswahili.

      »Wer reitet …«

      [5. August 2006]

      Irgendwie mache ich nicht so sonderlich gerne Visite auf der Frauen- und Kinderstation. Ich meine, inzwischen liegen die meisten Frauen bei uns wegen AIDS, und die Kinder haben fast alle Durchfall oder Malaria oder eine Lungenentzündung oder zwei von den dreien oder alles drei. Und was soll ich da groß zu sagen? Die Behandlungen sind standardisiert, es geht alles seinen Gang. Natürlich bemerke ich fast bei jeder Visite zwei oder drei übersehene Diagnosen oder falsche Diagnosen. Aber trotzdem.

      Lenna, die Stationsschwester mag ich natürlich gern. Sie ist tüchtig und eine wirklich liebe. Zu mir jedenfalls. Ansonsten hat sie ordentlich Haare auf den Zähnen, und es kommt vor, dass Mama Chogo, die Oberschwester, mich bittet, ich solle etwas mit Lenna bereden. Ihr, Mama Chogos, Blutdruck steige zu sehr an, wenn Lenna ihr Widerworte gebe. Wenn Lenna mir gegenüber widerborstig werden will, können wir doch meist darüber lachen. Oder ich lasse Lenna einfach, bis sie von sich aus einlenkt. Oder ich gebe ihr eine Streicheleinheit, bis sie wieder schnurrt.

      Im Laufe der letzten Jahre habe ich irgendwie einen Blick dafür bekommen, ob Kinder auf dem Weg der Besserung sind oder ob etwas nicht stimmt. Und ich höre es auch dem »nzuri«‹ der Mütter an, ob alles in Ordnung ist, wenn ich frage, wie es den Kindern geht. Das »nzuri«‹, das gut, kann viele Schattierungen haben: von gut, ich möchte entlassen werden, bis zum gut, dem Kind geht es schlecht. Anfangs hatte ich natürlich gedacht, eine Mutter spinnt, wenn sie antwortete, ihrem Kind ginge es gut, wenn das Kind offensichtlich aus dem letzten Loch pfiff.

      Es kommt vor, dass ein Vater sich um ein krankes Kind kümmert. Aber das ist selten. Eigentlich sehe ich das nur, wenn ein Kind eine Verbrennung hat oder eine Fraktur. Es liegen immer ein, zwei oder auch drei Kinder mit Verbrennungen auf der Station. Die sehe ich mir selbstverständlich regelmäßig an, um bei tiefen Verbrennungen zu entscheiden, wann es Zeit ist für eine Hautverpflanzung. Ich bin froh, dass ich Hautverpflanzungen aus dem ff beherrsche, und finde es ein wenig schade, dass Moses sich so gar nicht dafür interessiert. Wenn ich gehe, werden Kinder wieder durch Keloidnarben verkrüppelt werden. Oder sterben.

      Egal.

      Dem Kind in dem Bett am Fenster im zweiten Zimmer ging es nicht gut. So wie es in den Armen seiner Mutter lag, stimmte etwas nicht. Ich las mir die Geschichte durch. Vor ein paar Tagen war das Kind mit Durchfall gekommen. Es ging ihm dann scheint’s besser und es sollte schon entlassen werden. Aber dann ging es ihm plötzlich schlechter und es war eine Behandlung mit Ampicillin und Gentamicin begonnen worden. Also mit einer Behandlung für eine Lungenentzündung. Befunde waren nicht aufgeschrieben worden, und vermutlich waren auch keine erhoben worden; sondern waren die beiden Antibiotika einfach so verordnet worden. Nicht einmal die Atemfrequenz war bei dem Kind notiert worden. Nichts.

      Ich nahm mein Stethoskop. Hörte das Kind ab. Mit den Lungen war ganz sicher nichts, aber das Kind hatte Fieber, hohes Fieber. Mindestens 40 Grad. Ich sah in der Kurve nach. Am Morgen waren 37 Grad gemessen worden. Na ja, aufgeschrieben worden.

      »Wer hat denn Nachtdienst?«

      »Mduda«, sagte Lenna.

      Ach ja. Das werde ich wohl auch nie erreichen, dass vor allem bei Kindern Fieber wirklich sorgfältig gemessen wird. Es konnte mir ja keiner erzählen, dass dieses Kind am Morgen noch eine normale Temperatur gehabt hatte.

      »Messen Sie mal nach«, sagte ich zu Jessica.

      Es waren 40,2 Grad. Ich bewegte den Kopf, der Nacken war steif. Das Kind hatte Meningitis. Kein Zweifel.

      »Fangen Sie jetzt sofort mit Ceftriaxon an«, sagte ich zu Lenna, »und nach der Visite machen Sie als erstes eine Lumbalpunktion. Als erstes. Mit dem Ampicillin und dem Gentamicin können wir natürlich aufhören. Das hat die Meningitis nur kaschiert.«

      Lenna antwortete nichts.

      Es gereichte ihr ja auch nicht zur Ehre, dass wieder einmal eine Meningitis übersehen worden war.

      Jessica ging, um Ceftriaxon zu holen.


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