Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten Krystofiak

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Münster - Was nicht im Stadtführer steht - Carsten Krystofiak


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der Kneipe oft gegen das BtMG verstoßen wurde, waren auch immer einige Zivilbeamte vom Friesenring anwesend. Diese konnten schon von weitem an ihrer schlechten Kostümierung erkannt werden (Wildlederjacke mit Nina Hagen-Button und – kein Witz! – The Police-T-Shirt). Die bemühten sich dann ebenso verzweifelt wie vergeblich um Kontakt.

      Während viele Bürger vor Punks noch Respekt hatten oder hilflos herumschimpften (»Unter Adolf hätte man euch ...!!« – »Geht doch nach drüben in die DDR!!«), und die Studenten-Hippies grundsätzlich pazifistisch waren, hatten die Punks nur einen natürlichen Feind zu fürchten: den gemeinen Mofa-Assi. Die Hauptschul-Prolls von der berüchtigten Überwasserschule oder diverse Bunken-Clans aus Coerde machten Jagd auf »Punkerschweine«, und man hatte Glück, wenn man mit einem blauen Auge davonkam. Der Punk-Lifestyle selber forderte indes schwerere Opfer: Die, die dachten, sie könnten ewig so weitermachen, landeten in Psychiatrie und Knast, als Pflegefall oder auf dem Friedhof. Das alles ist jetzt so lange her, dass es zur Würde gereift ist, die Düsseldorfer Kunsthalle zu schmücken. Wenn einer den Penner-Punks am Bahnhof mal sagen könnte, dass ihre Attitüde museumsreif ist.

      (Erschienen 2002)

      Anmerkung:

      Der Regisseur eines Dokuspielfilms über die berüchtigten »Chaostage« sagte: »Heute wird man ja beim ZDF nicht mehr Programmdirektor, wenn man nicht mindestens sechs Wochen lang Punk gewesen ist.« Das trifft zu und darum ist Punk auch endgültig restlos tot. Das Komische daran: Damals dachte man wirklich (und beileibe nicht nur in Münster), dass nach Punk eigentlich keine innovative Jugendkultur mehr kommen könne! Der weitere Lebenslauf der damaligen Mitglieder von Münsters Punkszene lässt sich grob gesagt in zwei Alternativen teilen: Kulturbetrieb oder Tod.

      Im Kumpelnest.

      Das alte »Odeon« war Münsters Wohnzimmer für Waver, Punks & Nachtvögel.

      Wenn dieser Tage der letzte Applaus nach dem Konzert von Dr. Ring Ding verklungen ist, wird im Odeon an der Frauenstraße für immer das Licht ausgemacht. Die »Grande Dame der münsterschen Clubs« nimmt ihre letzte Huldigung entgegen. Die Institution Odeon hat mindestens drei Generationen von Teenagern sozialisiert und deren Jugend entscheidend geprägt. Deshalb ist uns die anekdotenreiche Geschichte des Odeons einen Rückblick wert. Bitte einsteigen zur Zeitreise ...

      Die 70er Jahre sind soeben vorbei und der Zeitgeist diktiert Coolness. New Wave und NDW sind angesagt; die Frauen tragen Neonschmuck. Helmut Kohl steht kurz vor seiner Machtergreifung. In Münster provozieren sich samstags am Lambertibrunnen Punks und Popper; die Kronenburg und der Bunte Vogel auf der Rothenburg sind die aktuellen Szenekneipen. Am 8.10.1982 übernehmen vier befreundete junge Leute das wenige Jahre zuvor (vom heutigen GoGo-Betreiber Jürgen Köhn) eröffnete Odeon in der ehemaligen »Gaststätte Freitag« im Schatten der Überwasserkirche. Zunächst wird der Laden vom neuen Team auf die Höhe der Zeit gebracht: Die Flipperautomaten fliegen raus, und von der Bühnenrückwand grüßt frisch gesprayt eine Mickymaus mit zackiger Elektrogitarre aus einem pinkroten Amischlitten. Ein gewisser Maximilian Lenz darf im »O« Platten auflegen und nennt sich »DJ Westfalia Bambaata«. Später verkürzt er den umständlichen Künstlernamen (eine Hommage an sein Vorbild, den Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaata) schmissig zu Westbam und zieht nach Berlin.

      Viele erfolgreiche Künstler haben am Beginn ihrer Karriere als No-Name-Bands im Odeon gespielt (und sind später gerne wiedergekommen). Etwa die Toten Hosen. Christine Rosenthal: »Die standen 1983 eines Nachmittags vor der Tür und klopften an die Scheibe. Ich war gerade am Aufräumen. Ich sag: Wer seid ihr denn? Die: Wir sind ’ne Punkband und wollten fragen, ob wir hier mal spielen können. Ich sag: Habt ihr denn schon ’ne Platte? Die: Äh ... nee, aber wir haben ne Cassette dabei ...« Oder die Red Hot Chili Peppers, die damals wenigstens schon ein bisschen bekannt waren, aber noch als Geheimtipp galten. Veronika Fischer: »Für die hatte ich Abendessen gekocht. Musiker kriegen ja sonst meist nur Junkfood. Ehrlich – die wollten, dass ich für den Rest der Tour als Köchin mitfahre und ließen gar nicht locker.« Die hühnerknochenbehängten Gothicrocker von Christian Death fanden ihre eigene Musik offenbar so genial, dass sie nach vier Stunden (!) Nonstop-Konzert selbst noch weiterspielten, als das Publikum längst entnervt verschwunden und das Saallicht eingeschaltet war. Nur das Abschalten des Stroms bewegte sie schließlich aufzuhören. Ganz anders die Lausejungs von den Bollock Brothers – die englischen Punkrüpel erklärten den sprachlosen Zuschauern nach nur 20 Minuten, sie müssten jetzt dringend zurück ins Hotel, um den Übertragungsbeginn irgendeines hochwichtigen Fußballspiels nicht zu verpassen. Weil ihre Musik nicht im Gedächtnis blieb, lieferten King Kurt eine Bühnenshow, die niemand vergessen sollte. Eimerweise Eier, Mehl, Farbgelee und Wasser flogen von der Bühne ins Publikum und zurück. Ein Gast erinnert sich: »Alles hat in einer knietiefen Pampe gewogt – es war fantastisch!« Auch die anrückende Polizei – wegen der Lebensmittelschlacht vor der Tür gerufen – wurde mit Eiern und Mehltüten empfangen. So manch einer hat nach diesem Abend Jacke und Schuhe nur noch in die Mülltonne werfen können. Aus den Haaren bekam man den zementartigen Brei sowieso nicht mehr heraus.

      Die MS-Punks Potpourri Boys folgten dem Beispiel von King Kurt und warfen von der Bühne rohe Hühner, die durch eingeführte Silvesterböller über den Köpfen der Zuschauer explodierten. Später wunderte man sich im Odeon wochenlang über widerlichen Verwesungsgeruch, bevor endlich jemand die Reste des Hühnchens fand, das auf dem Videobeamer unter der Saaldecke gelandet war. »Münsters letzte Punkband« (Selbstbezeichnung) Äni(x)Väx verabschiedete sich 1986 ebenfalls mit fliegender Nahrung (Pizza) in einer wilden Show für immer von den Fans.

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      In den legendären Katakomben des Odeons verewigten sich Stars an den Wänden – und indem sie ins Waschbecken pinkelten, sehr zum Ärger von Wirt Möppel ...

      An den Wänden des Backstage-Kellers verewigten sich u. a. Johnny Thunders, Gun Club, R.E.M., Killing Joke, L7, The Godfathers, Fleshtones, Georgette Dee, Die Ärzte, Die Leningrad Cowboys undwiesieallehießen.

      Inspiriert durch das Stadtjubiläum »1200 Jahre Münster« drehte der harte Kern der Odeon-Tresenhelden 1993 den Videofilm »1200 Jahre Odeon«. Der »monumentale Historienschinken mit vielen Massenszenen« (Werbetext) ist eine obertrashige Geschichtsparodie, die Helge Schneider die Schamröte ins Gesicht treiben würde und zeigt die nicht ganz wahre Entstehungsgeschichte des Odeons von der Steinzeit über Antike, Mittelalter, den 50er und 70er Jahren bis zur jüngsten Gegenwart. Götz Alsmann liefert darin eine Szene als Jugendheim-DJ. Gedreht wurde u. a. in einem echten Domina-Studio. Bei den Dreharbeiten kam es zu einem schweren Unfall: Bei einem »Livekonzert« der Sex Pistols (dargestellt durch die vier Inhaber) zerschlug Wirt Möppel in voller Action einem Statisten versehentlich eine elektrische Gitarre auf dem Kopf. Die »Erste Hilfe« eines angetrunkenen Kumpels bestand darin, die Körperumrisse des Bewusstlosen mit Kreide auf dem Boden nachzuzeichnen. Natürlich wurde die Unfallszene später nicht (!) herausgeschnitten!

      Sogar die transsilvanischen Untoten liebten das Odeon: Münsters Grufties trafen sich monatlich zum »Tanz der Vampire« an der Frauenstraße. Die Anhänger der Szene zeichneten sich nicht nur durch ein gruseliges Geisterbahn-Outfit, sondern gleichfalls durch vorbildliche Höflichkeit aus. So staunte das Thekenpersonal immer wieder über Typen, die so erschröcklich aussahen wie Marilyn Manson, Hannibal Lecter und Rumpelstilzchen zusammen, aber schüchternleise flüsterten: »Kann ich bitte eine Apfelschorle?«

      Eine Zeit lang durfte der Kreis der Stammgäste seine Wohnzimmertheke an Montagabenden sogar in Eigenverantwortung ohne Aufsicht selbst betreiben. Motto: Selbst zapfen, Geld in die Kasse legen, hinterher abschließen – keinen Scheiß bauen. Das entgegenkommende Vertrauen der Inhaber zahlte sich jedoch nicht aus, weil zwar in Selbstbedienung gezapft, aber nicht immer bezahlt wurde. Auch Münsters singendes Wermutbruder-Original »Caruso« kannte das Geheimnis bargeldloser Zahlung: Er schaffte es immer wieder, die Thekenkräfte zu überrumpeln, indem er einen Cognac bestellte, blitzschnell hinunterstürzte und triumphierend erklärte: »Hab’ kein Geld ...« Caruso war übrigens Mitglied des Odeon-Männergesangsvereins


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