Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Der Ausweg - Gundolf S. Freyermuth


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Macht mit schöner Regelmäßigkeit abgeben mussten. Wahrscheinlich, sobald sie im Bett versagten. Wenn er seine private Theorie über Lust und Herrschaft in der real existierenden Ehe auf den speziellen Fall übertrug, bedeutete das: Vielleicht könnte er heute Abend die Weichen stellen für ein zweites, privateres Treffen mit Kellings schöner Gallathea.

      „Na, denn mal Prost“, sagte Kelling und hielt Mann den Champagnerkelch hin. „Auf gutes Gelingen!“

      Sie stießen an, und dann nahm Kelling seinen Gast am Arm und führte ihn hinaus auf die Terrasse. Auch hier hatte die Frau des Hauses ihren gestalterischen Talenten freien Lauf gelassen. Der Garten glich dem Ausstellungsgelände eines Fachhandels für Freizeitbedarf: eine halb überdachte und mit Elektroheizern bestückte Sitzecke an den hohen Hecken rechts, ein halbes Dutzend bunter Plastikliegen rund um den ovalen Pool in der Mitte und ein alternatives Glashäuschen zum Kräuteranbau links. Der überpflegte Rasen dazwischen hätte genauso gut aus Plastik sein können.

      In der Nähe des Swimmingpools stand Gallathea Kelling mit einer großen und sehr dünnen, fast ausgemergelten Frau von bestimmt siebzig Jahren. Gallathea sprach kein Wort. Die andere Frau wandte den Ankömmlingen ihren Rücken zu. Um den knabenhaften Körper trug sie einen schwarzen, Smoking-ähnlichen Anzug mit Bauchscherpe, für den mancher Sargträger sein Leben gegeben hätte. Ihre vollen kurzen Haare schimmerten lila. Harry Mann hatte das dumme Gefühl, dass die beiden auf ihn warteten.

      „Das ist Irene Hexter, meine Halbschwester“, sagte Kelling leise, während die beiden Männer in Richtung Pool gingen. „Versuchen Sie, einen guten Eindruck zu machen. Es hängt einiges davon ab.“

      Mann meinte, einen Hauch Ehrfurcht in der Stimme seines Chefs zu hören. Beide Frauen schienen in ernste Gedanken versunken. Ihre Silhouetten boten einen scharfen Kontrast. Unwillkürlich gingen Kelling und Mann etwas langsamer. Die Szene am Pool glich einem romantischen Genrebild. Zweimal Narziss; einmal die Lust, einmal der Tod.

      Als Kelling und Mann näherkamen, wandte Irene Hexter ihnen ihr zerfurchtes Gesicht zu. Mann schreckte unwillkürlich zusammen. So hatte er sich, wenn in den Zeitungen von Konzentrationslagern und Lampenschirmen aus Menschenhaut die Rede gewesen war, immer die weiblichen Aufseher vorgestellt. Hagere, böse und inzwischen natürlich uralte Todesengel.

      „Sie sind also Harry Mann“, sagte Irene Hexter mit einem leichten, nicht identifizierbaren Akzent in der Stimme. „Sie haben uns warten lassen ...“

      „Tut mir leid.“ Er hörte selbst, dass es nicht sehr bedauernd klang. „Ich hatte noch einen Termin.“

      „Doch nicht etwa gearbeitet?“ Der spöttische Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „So spät noch, am heiligen Freitag?“

      „Was Arbeit betrifft, bin ich Atheist.“

      Kelling schaute unglücklich drein. Sie hatten einen klaren Fehlstart.

      Die Alte verzog die beiden roten Drähte, die ihr als Lippen dienten. „Das will ich Ihnen gerne glauben.“ Sie lachte kurz auf, bevor sie seine Worte in ihrem Mund verdrehte. „Mein Bruder erzählte schon, dass Sie Fleiß nicht sonderlich anbetungswürdig finden. Ihre Stärke liegt wohl eher in der Vermeidung von Arbeit.“

      Irene Hexters Stimme war ein wenig zu schnarrig und ihre Gesten überheblich.

      „Ich bitte dich ...“, widersprach Kelling hilflos.

      „Lassen Sie ruhig.“ Aber es klang nicht echt. Manns Tonfall war ganz beleidigte Unschuld. Das höfliche Heucheln bereitete ihm schon immer Schwierigkeiten.

      Natürlich hatte er einen Großteil seines Lebens schlicht in einem Berliner Hinterhof verpennt, und natürlich hatte er auch nicht vor, an seinem neuen Arbeitsplatz mehr als notwendig zu tun. Warum auch?

      Sollte er sein Herzblut an die Computerisierung der bekloppten Transaktionen vergeuden, mit denen Kelling und seine Kretins sich im hoch subventionierten Osthandel gesundstießen? Schon jetzt, fünf Wochen, bevor er seine neue Stelle antreten sollte, konnte er das scheinheilige Gesäusel nicht mehr hören: Berlin, die Brücke zwischen Ost und West! Es war zum Kotzen. Bestenfalls eine brüchige Eselsbrücke war die Halbstadt für dieses Pack, eine willkommene Abkürzung auf dem Schleichweg von Unfähigkeit zu Erfolg, von Dummheit zu Reichtum.

      Irene Hexter jedenfalls gab keine Ruhe. Ein kleiner Streit schien ihr der beste Aperitif. „Ich tue Ihnen doch nicht Unrecht?“

      „Ihre Bemerkung mag vielleicht der Wahrheit entsprechen“, sagte Mann und spürte, wie die seit Tagen unterdrückte Wut über seine private Kapitulation ihn gestelzt klingen ließ, „aber besonders höflich ist sie nicht.“

      „In meinem Alter“, gab Irene Hexter zurück und trank aus ihrem Glas etwas, das wie Cognac mit Kohlensäure aussah, „hat man keine Zeit mehr für allzu viel Höflichkeit.“

      „Wer dafür zu alt ist, sollte eben zu Hause bleiben. Oder seinen Mund halten.“

      „Harry, ich dulde nicht ...“, setzte Kelling in seinem Büroton an.

      „Ich bitte dich, hör mit dem Unsinn auf!“ sagte Irene Hexter. Es klang nicht wie eine Bitte. Sie erteilte Kelling einen Befehl. Die schöne Gallathea legte ihre Hand auf den Arm ihres Angetrauten.

      „Es tut mir leid, dass ich Ihnen den Abend ...“, sagte Harry Mann steif und hatte plötzlich das frohe Gefühl, dass gleich alles überstanden sein würde. „Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt gehe.“

      „Sie gefallen mir, junger Mann.“

      Irene Hexter strahlte ihn unvermittelt an.

      Ihre Freundlichkeit machte all seine Hoffnungen auf ein schnelles Entkommen zunichte. War die Alte auf Koks? Abrupte Stimmungsumschwünge wie diesen kannte er nur aus der Zeit, als sein bester Freund Peter sich mit allem vollpumpte, was gerade greifbar war. Er wünschte einmal mehr, er wäre gar nicht erst gekommen.

      Die anderen taten, als sei nichts passiert. Sie schienen sich dabei nicht einmal sonderlich verstellen zu müssen. Als sie ihren Cocktail vernichtet hatte, stöckelte Kellings Frau zu dem vorbereiteten Tisch in der laubenartigen Sitzecke, zerrte die Plastikfolien und Handtücher von den Platten und Schüsseln und brachte zum Vorschein, was ein Partyservice dort aufgebaut hatte. Schließlich klatschte sie in die Hände und rief mit falscher Fröhlichkeit: „Auf zur Schlacht am kalten Buffet.“

      Mann fiel dazu das passende Lied ein, derselbe Klampfensong, an den die Gastgeberin wahrscheinlich auch gedacht hatte, und es schüttelte ihn doppelt. Der Rest des Abends versprach so öde zu werden, wie man es von einem Stehempfang für vier Personen erwarten durfte.

      Sie aßen eine Weile im Garten. Anschließend setzten sie sich auf die Terrasse vor dem Wintergarten, und während in den hohen Büschen, die das Grundstück vor den Blicken der Nachbarn schützten, die Grillen zirpten, schwadronierte Kelling über seine Zukunft als Pensionär, über lukrative Gelegenheits-Geschäfte und große Urlaubsreisen, die er nie machen würde. Seine Frau schaute gelangweilt, und Irene Hexter trank auf Teufel komm raus ihr dubioses Gemisch aus Cognac und Champagner.

      Mann schien es, als könnten sie in seiner Gegenwart über nichts reden, was ihnen wichtig war, und doch wollten sie ihn nicht gehen lassen. Seine Versuche, Geistreiches zum Gespräch beizusteuern, beschränkten sich weitgehend auf gelegentliches Kopfnicken. Wann immer er aber mehr als zwei Silben äußerte, widmeten die drei anderen ihm sofort ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, und er wurde den Verdacht nicht los, gerade einen eigentümlichen Eignungstest zu absolvieren.

      „Verdienen Sie genug, mein Lieber?“ unterbrach Irene Hexter schließlich das dahinplätschernde Gespräch.

      Wollte sie ihm schon vor seinem ersten Arbeitstag einen anderen, besseren Job anbieten? Er schaute ihr in die Augen, weiche, tiefbraune Hundeaugen, die so gar nicht zu ihrem zerknitterten Gesicht passten. Sie imponierte ihm. Sie trank mehr als die anderen und verlor doch keinen Augenblick die Kontrolle.

      „Ich meine“, setzte sie nach, „reicht Ihnen das Gehalt, das Sie bei ,Schlosser‘ bekommen werden?“

      Ihr Ton war jetzt


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