Paulas Töchter. Hans Garbaden

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Paulas Töchter - Hans Garbaden


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      Hans Garbaden

      Paulas Töchter

      Ein historischer Kriminalfall

      aus Worpswede und Bremen

      FUEGO

      - Über dieses Buch -

      Im Frühsommer des Jahres 1921 geraten der beschauliche Künstlerort Worpswede und der Bremer Stadtteil Findorff in Aufruhr: Bereits vier kleine Mädchen sind innerhalb kurzer Zeit spurlos verschwunden. Der Bremer Kriminalkommissar Harm Logemann und sein junger Kollege, Wachtmeister Dirk Murken, stehen vor einem Rätsel. Fest steht nur: Alle Mädchen fuhren mit dem Moor-Express, der zwischen Bremen und Worpswede pendelt. Seltsam ist, dass alle Mädchen den Vornamen Paula haben. Ein Zufall? Gibt es möglicherweise eine Verbindung zur Malerin Paula Modersohn-Becker, die bis zu ihrem frühen Tod hier lebte und arbeitete? Zusammen mit dem Worpsweder Dorfpolizisten Johann Behrens und der Bremer Journalistin Lena Geffken versuchen Logemann und Murken den Ursachen auf die Spur zu kommen. Währenddessen macht sich ein geheimnisvoller und gefährlicher Fremder auf die Suche nach einem neuen Opfer …

      Basierend auf einer wahren Begebenheit, wird in ›Paulas Töchter‹ das historische Künstlerdorf Worpswede lebendig – als Schauplatz eines spannenden Kriminalfalls.

      Ihr Haar war von florentinischem Golde.

      Ihre Stimme hatte Falten

      wie Seide. Ich sah sie nie so

      zart und schlank in ihrer

      weißen Mädchenhaftigkeit.

      Rainer Maria Rilke

      in seinem Tagebuch nach einem Besuch bei Paula Modersohn-Becker

      17. Juni 1921

      »Schon wieder ne Deern.« Der junge Wachtmeister Dirk Murken legte seinem Chef, Kriminalkommissar Logemann, im Bremer Polizeipräsidium die Vermisstenmeldung auf den Schreibtisch.

      Harm Logemann überflog die Zeilen: Paula Lehmkuhl, zehn Jahre alt, vermisst seit gestern Nachmittag im Bereich Findorff-Utbremen. »Verdammter Schiet«, entfuhr es ihm, »und wieder eine Paula.«

      Murken räusperte sich: »Ich habe schon alles Nötige veranlasst, die Suchaktion ist eingeleitet.«

      Kommissar Logemann nahm seinen Mantel vom Haken. »Kommen Sie, Murken, wir wollen uns vor Ort umsehen.«

      Auf dem Weg ins Bremer Findorffviertel rekapitulierte Logemann die bisherigen Vorgänge: »Seit dem siebten Juni sind jetzt vier Mädchen zwischen neun und elf Jahren mit dem Vornamen Paula aus den Stadtvierteln Findorff und Utbremen spurlos verschwunden.«

      Murken ergänzte: »Paula Stein, Paula Schütte, Paula Cordes und gestern Paula Lehmkuhl. Alle mit dem Vornamen Paula, wie Ihre Tochter, Herr Kommissar.«

      »Das weiß ich auch, verdammt noch mal; aber bevor meiner Tochter ein Haar gekrümmt wird, werden wir den oder die Entführer hinter Schloss und Riegel gebracht haben, so wahr ich Harm Logemann heiße.«

      Murken sagte nichts mehr.

      Inzwischen waren die beiden auf dem Weg zum Findorffer Polizeirevier in der Fürther Straße angekommen. Ein Pferdegespann der Bremer Haake-Beck Brauerei, schwer mit Holzbierfässern beladen, kreuzte gerade die Hemmstraße. Der Kutscher ließ seine Peitsche knallen.

      Als die beiden Beamten das Revier betreten hatten und mit Revierleiter Lüder Schnaars ein paar Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, erstattete der seinen Bericht: »Heute früh machten Cord und Becka Lehmkuhl eine Vermisstenmeldung. Ihre zehnjährige Tochter Paula ist seit gestern Nachmittag verschwunden. Sie hat gegen vierzehn Uhr, nachdem sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte, das Haus verlassen, um mit dem Moor-Express nach Worpswede zu fahren und ihre Tante, Meta Tietjen, zu besuchen. Sie wollte in ihrem Garten Johannisbeeren pflücken und sich von der Tante einen Vers in ihr Poesiealbum schreiben lassen. Nachdem die kleine Paula gestern nicht zurückgekommen ist, haben die Eltern etwas leichtgläubig angenommen, dass ihr Kind – wie schon so oft – bei ihrer Tante übernachtet hätte. Die Tante ist aber heute Morgen mit dem ersten Moor-Express nach Bremen gekommen und hat vor einem geplanten Einkauf die Lehmkuhls besucht, weil Paula den Korb mit frischgepflückten Johannisbeeren in Worpswede vergessen hatte. Meta Tietjen hat ausgesagt, dass ihre Nichte den Moor-Express um achtzehn Uhr genommen hatte. Sie hat das Mädchen zur Bahn gebracht, die Abfahrt des Zuges nach Bremen jedoch nicht mehr abgewartet. Die Frau ist – natürlich genau wie die Eltern – total verzweifelt und macht sich Vorwürfe, dass sie die kleine Paula nicht zum Übernachten bei sich überredet hat.« Harm Logemann kratzte sich am Hinterkopf.

      »Links und rechts der Gleise sind Suchmannschaften mit Spürhunden unterwegs; den Zugführer Hein Steinke können wir in einer halben Stunde bei der Ankunft aus Worpswede befragen«, sagte Murken.

      Der Kommissar nickte: »Gut gemacht, Murken, also auf zum Bahnhof.«

      Es fiel leichter Nieselregen, als sie auf dem nahegelegenem Bahnhof der Kleinbahn Bremen-Findorff – Worpswede eintrafen. Ungefähr zehn Leute warteten auf die Ankunft des Moor-Express aus Worpswede. Darunter einige junge Städter, die einen Ausflug an die Hamme ins Teufelsmoor machen wollten, und ein junger Maler, der in Bremen Malfarben, Pinsel und Leinwand gekauft hatte und zurück in sein Atelier in der Künstlerkolonie Worpswede wollte. Eine Großfamilie, Vater, Mutter und fünf Kinder – gewachsen wie die Orgelpfeifen –, die mit Botanisiertrommeln und Schmetterlingsnetzen ausgerüstet war, wollte eine naturkundliche Exkursion ins Teufelsmoor unternehmen. Auf einer Bank der Station saßen zwei Invaliden des Weltkrieges. Einer der beiden hatte nur einen Arm und ein durch Granatensplitter entstelltes Gesicht. Der andere war blind.

      Als der Stationsbeamte die in Kürze erfolgende Ankunft des Zuges per Lautsprecher ankündigte, stürmte in großer Eile eine junge, sportliche Frau mit einer flotten Mütze schräg auf den blonden Locken auf den Bahnsteig, blieb vor den beiden Polizeibeamten stehen und stellte sich vor: »Lena Geffken vom Bremer Kurier. Ich habe von der neuen Vermisstenmeldung erfahren. Haben Sie schon Erkenntnisse? Wann gibt es eine Pressekonferenz oder zumindest eine Pressemitteilung? Unsere Leser haben ein Anrecht auf Informationen!«

      Harm Logemann unterbrach den Redeschwall der Reporterin: »Nun mal langsam, junges Fräulein, wenn es etwas Neues gibt, werden Sie es erfahren.«

      Sein Mitarbeiter, Dirk Murken, konnte seinen Blick nicht von der attraktiven Reporterin lassen, bis ihm sein Chef in die Seite stieß: »Da kommt der Zug, Murken, sprechen wir doch mal mit dem Zugführer«, und zu der jungen Reporterin gewandt, »und zwar ohne Sie.«

      Unter lautem Getöse und Gequietsche der Zugbremsen und dabei dicke Rauchwolken aus dem Schornstein der Dampflok stoßend, kam der Moor-Express zum Stehen. Frauen mit Kopftüchern, in dicken, groben, langen Röcken unschwer als Moorbäuerinnen zu erkennen, schleppten große Körbe mit Obst, Gemüse und lebendem Federvieh wie Gänsen, Enten, und Hühnern aus dem Zug auf den Bahnsteig. Sie hofften, auf dem nahen Markt auf der Bürgerweide Abnehmer dafür zu finden.

      Hein Steinke, der Zugführer, sprang aus seiner Lok und kämpfte sich durch das Getümmel der aussteigenden und wartenden Menschen zum Dienstraum des Stationsbeamten durch.

      Auch Logemann und Murken begaben sich dorthin.

      Nach der Begrüßung schüttelte Hein Steinke den Kopf. »Tut mir leid, ich habe wieder nichts Auffälliges während der Fahrt gesehen. Und auf den Stationen ist mir auch nichts aufgefallen. Auch Helmke, mein Heizer, hat seine Augen offengehalten – ihm ist ebenso nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«

      Logemann knirschte mit den Zähnen und wandte sich an den Wachtmeister: »Murken, die nächste Fahrt machen Sie mit, einmal Worpswede hin und zurück. Sehen Sie sich auf den Stationen um und schauen Sie sich die ein- und aussteigenden Leute genau an. In Worpswede gehen Sie zur Polizeistation und bitten den Ortspolizisten Johann Behrens – ein alter Kriegskamerad von mir –, mit Ihnen die Tante von Paula Lehmkuhl aufzusuchen. Vielleicht kann diese Meta Tietjen uns irgendwelche Hinweise geben.«

      »In Ordnung, Chef.«

      »Ich muss dann auch mal wieder, wenn ich den Fahrplan einhalten will«, ließ sich Zugführer Steinke vernehmen, hob grüßend seine Hand an die Dienstmütze


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