Peter Grant - Ein Leben für Led Zeppelin. Mark Blake
Читать онлайн книгу.Kommentare, Politik und Drogen spielten ebenfalls eine Rolle. Der Begriff „psychedelisch“ wurde willkürlich mit allem in Zusammenhang gebracht, das den Einfluss des Halluzinogens LSD nahelegte. Im Sommer dieses Jahres veröffentlichten die Beatles mit Sgt. Pepperʼs Lonely Hearts Club Band ein Album von beispielloser Reichweite und Vorstellungskraft.
Einst galt die LP schlicht als Trägermedium für zwölf de facto zufällig zusammengewürfelte Nummern. Nun bot sie das Vehikel für eine musikalische Reise und glich somit eher einer klassischen Sinfonie. Die Rolling Stones und The Who sollten es den Beatles nachmachen und mit Their Satanic Majesties Request und The Who Sell Out ähnlich ambitionierte Alben vorlegen, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg.
Grant und Most beobachteten diese Entwicklungen. Allerdings war Mickies große Stärke nun einmal die Pop-Single und auch wenn Grant gerne den Hippie-Prinzen Donovan gemanagt hätte, so glaubte er nicht an dessen blumige Rhetorik.
Wer ihn damals in seinem Büro besuchte, erinnert sich auch daran, wie er seinen Mund unter seinem Mandarin-Bart zu einem Grinsen verzog und milde über verträumte Barden und Poeten, die die Gegend unsicher machten, zu spotten pflegte. „In der Flower-Power-Ära, als Künstler und ihre Manager Frieden und Liebe predigten, machten sich Mickie und Peter gerne über sie lustig“, erinnert sich Chris Hayes. „Sie nahmen das nicht einmal ansatzweise ernst.“
Irgendwie rollte Peter Grant aber dennoch ausgerechnet Englands führende psychedelische R&B-Gruppe in den Schoß, The Yardbirds. Dies war der wohl glücklichste Zufall in seiner bisherigen Karriere.
Die Yardbirds hatten sich fünf Jahre zuvor in den Londoner Vororten zusammengefunden und mauserten sich zur Hausband im Crawdaddy Club in Richmond, dem Dreh- und Angelpunkt der boomenden R&B-Szene. Ein ehemaliger Betreuer der Stones, Giorgio Gomelsky, managte die Band zunächst, bis er sie an einen jungen Unternehmer namens Simon Napier-Bell weitervermittelte.
Das erste Mitglied, das als Hauptattraktion der Yardbirds fungierte, war ihr launenhafter Leadgitarrist Eric Clapton. Im Frühling 1965, als die Gruppe sich vom reinen Blues abwandte und sich dem Pop öffnete, kehrte der Blues-Purist den Yardbirds jedoch angewidert den Rücken. Sein Ersatzmann war ein weiterer begnadeter Musiker, Jeff Beck, der der Band von seinem Freund Jimmy Page empfohlen worden war.
Zwischen 1965 und 1966 veröffentlichten die Yardbirds etliche Singles wie „For Your Love“, „Shapes of Things“ und „Happenings Ten Years Time Ago“, die Popmusik und amerikanischen R&B mit trance-artigen Rhythmen, indischen Raga-Passagen und Gitarrensolos untermalten, die wie Sirenen bei einem Luftangriff klangen.
Dem aufregenden Chaos der Musik konnte mitunter auch das Tohuwabohu auf und abseits der Bühne das Wasser reichen. So wurde Page Zeuge eines turbulenten Auftritts in Oxford, bei dem der betrunkene Leadsänger Keith Relf das Publikum auf die Probe stellte: „Keith rollte über die Bühne, blies seine Mundharmonika konsequent an den falschen Stellen und sang irgendeinen Unsinn daher.“ Für Relf endete der Gig offenbar mit einer gebrochenen Hand, nachdem er einem Sessel einen Karate-Hieb verpasst hatte: „Keith zog so eine Art Punk-Nummer ab. Damit war er seiner Zeit aber so krass voraus, dass nicht einmal seine Bandkollegen bereit dafür waren.“
Das traf zum Beispiel auf den Bassisten Paul Samwell-Smith zu, der sich im Anschluss daran rasch aus dem Staub machte. Ohne viel darüber nachzudenken, bot Page an, dessen Position in der Band zu übernehmen. Dieses Arrangement sollte nicht von langer Dauer sein. Als Beck ein Konzert verpasste, musste Page für ihn einspringen. Bald darauf wechselte der Rhythmusgitarrist Chris Dreja an den Bass und Page übernahm dauerhaft die Rolle des Gitarristen. „Manchmal war das schon fantastisch mit Jeff und Jimmy an den Gitarren, manchmal aber auch nicht“, erinnert sich der Drummer Jim McCarty. „Jeff war überdreht und Jimmy äußerst selbstsicher.“ Die Yardbirds sicherten sich ihren Platz als Englands hippste Combo, als sie in jenem Sommer in Michelangelo Antonionis Film über Swinging London, Blow-Up, mitwirkten. Und so wie schon vor ihm Eric Clapton war nun auch Jeff Beck unglücklich.
Im Mai 1966 betätigte sich Beck abseits seiner angestammten Band und nahm in den Londoner IBC Studios mit Page, dem Bassgitarristen John Baldwin (später bekannt als John Paul Jones), dem Klavierspieler Nicky Hopkins sowie dem Who-Drummer Keith Moon eine Session auf. Ihre feurige, gitarrenlastige Neuinterpretation von Maurice Ravels „Bolero“ trug den Titel „Beckʼs Bolero“.
Der Track erschien jedoch erst im März 1967, als er als B-Seite von Becks erster Solo-Single „Hi Ho Silver Lining“ das Licht der Welt erblickte. Die Nummer deutete an, in welche musikalische Richtung sich er und Page in Zukunft bewegen wollten, selbst wenn keinem der beiden das bewusst gewesen sein mag.
Im August schlossen sich die Yardbirds dem Dick Clark Caravan of Stars an und gingen auf Amerika-Tour. Sie teilten sich einen maroden Tourbus mit Sam the Sham & the Pharaos („Wooly Bully“) und traten unter anderem auch in einem Einkaufszentrum und auf einer Eislaufbahn auf. Oft genug mussten sie in ihrer Garderobe auf ihren Auftritt warten, weil irgendein Handlanger noch zu ermitteln versuchte, welcher amerikanischer Act dem Regulativ der Musicians Union zufolge an ihrer statt gerade in England unterwegs war. Grants Standardantwort „Count Basie Orchestra“ hatte nur einmal funktioniert. All das überforderte Beck, der vorgab, krank zu sein, und nach wenigen Shows das Handtuch warf, womit Page die Rolle des alleinigen Leadgitarristen zufiel.
Becks Abschied markierte außerdem einen Wendepunkt für den Yardbirds-Manager Simon Napier-Bell. Er hatte schwierige Popmusiker satt und bot Mickie den Managerposten an. Dann meldete sich aber Grant zu Wort.
„Mein erster Eindruck von Peter? Hässlich, ungehobelt und unattraktiv“, gesteht Napier-Bell. „Sorry, aber ich glaube, dass deckt sich mit dem, was sich die meisten dachten – und Peter nutzte das zu seinem Vorteil. Später fiel mir auf, dass er auch eine ziemlich sensible Seite hatte, die er gut zu verbergen verstand.“
Kurz vor Weihnachten 1966 verkündete der Melody Maker, dass Peter Grant der neue Manager der Yardbirds sei. Aber war er das tatsächlich? „Die ganze Sache war ziemlich schräg“, sagt Jim McCarty. „Wir dachten, dass Simon sich das Management mit Peter teilte, aber Simon verschwand von der Bildfläche und Peter meinte, dass er uns fortan managen würde.“ Nachdem schon Giorgio Gomelsky die Band an Napier-Bell weitergereicht hatte, stellte niemand zu viele Fragen. McCarty empfand Grant, so wie die meisten Leute, als imposante Gestalt. „Ich hatte nie irgendwelche Probleme mit ihm“, versichert er. „Meine einzige Sorge war, mit ihm den Lift in der Oxford Street teilen zu müssen. Peter war ein großer Mann und wir sahen uns alle gegenseitig an und dachten: Schaffen wir es überhaupt bis in den sechsten Stock?“
Bevor er sich zurückzog, hatte Napier-Bell Grant noch beiseite genommen. „Er sagte: ‚In der Band gibt es einen Unruhestifter, einen echten Tunichtgut.‘ Ich fragte nach, wer das denn sei. Er sagte: ‚Jimmy Page.‘“
Page erklärte Grant, dass sie nonstop auf Tour gewesen wären, Singles aufgenommen und gerade in Blow-Up mitgespielt hätten, aber kein Geld zu sehen bekämen: „Jimmy war der Einzige, der die Eier hatte und clever genug war, um aufzustehen und zu sagen, dass das nicht ausreichte.“
Anders als Mickie Most war Grant nie selbst als Künstler oder Musiker unterwegs gewesen. Seiner Familie zufolge hätte er „nicht einmal mit einem Eimer eine Melodie tragen können“. Stattdessen bemühte er sich, Jimmy Pages Talent zu fördern, was er tat, indem er ihn von der Außenwelt abschottete und ihm eine eigentümliche, vorbehaltlose Loyalität entgegenbrachte.
Viele aus Grants näherem Umfeld glauben, dass Jimmy in seinem Leben eine größere Rolle spielte als irgendjemand sonst, abgesehen von seinen Kindern. „Es herrschte ein wunderbarer gegenseitiger Respekt“, sagt Helen. „Er erfüllte Jimmy jeden Wunsch.“
Geboren im Januar 1944 im Westen Londons, genoss James Patrick Page eine bequeme Nachkriegskindheit im vorstädtischen Epsom in Surrey. So wie Grant wuchs auch Jimmy als Einzelkind auf. „Bis ich fünf Jahre alt war, war ich total isoliert von anderen Kindern meines Alters“, erzählte er einmal. „Diese frühe Isolation hatte wahrscheinlich viel damit zu tun, wie ich mich später entwickelte.“
1958 trat der 13-jährige Page